Drinks

Twentieth Century

Twentieth Century.

Die Kombination aus Gin, Kakaolikör, Wermut und Zitronensaft scheint auf den ersten Blick nicht zueinander zu passen, doch der Twentieth Century ist ein wahrer Klassiker, in dem sich die Aromen perfekt ergänzen. Dieser Drink ist außergewöhnlich: er zeigt uns, wie Art déco schmeckt.

40 ml Eversbusch Doppelwachholder
20 ml Cap Corse Quinquina weiß
20 ml Dutch Cacao
20 ml Zitronensaft
2,5 ml Zuckersirup

Zubereitung: Geschüttelt.

Im Originalrezept wird Lillet verwendet. Da der heute erhältliche Lillet aber inzwischen mit einer veränderten Rezeptur hergestellt wird, sollte man ihn ersetzen. Wir haben uns für den Quinquina von Cap Corse entschieden. Da der Dutch Cacao wenig Zucker enthält, muß man zusätzlich etwas Zuckersirup hinzugeben.

Alternativ und von uns aktuell bevorzugt:

40 ml Finsbury 47 Gin
20 ml Cap Corse Quinquina weiß
20 ml Hausgemachte Crème de Cacao (3 Teile Hiebl Schokogeist : 2 Teile Zuckersirup (2:1))
20 ml Zitronensaft
2,5 ml Zuckersirup

Dieser Twentieth Century stammt vom britischen Bartender C. A. Tuck und entstand im Jahr 1937 oder davor. Jedenfalls erschien die Rezeptur erstmals 1937 im „Café Royal Cocktail Book“.

Charles A. Tuck war Head Bartender im Picadilly Hotel in London, als er im Jahr 1967 sein Buch ›Cocktails and Mixed Drinks.‹ veröffentlichte. Interessanterweise stellte in diesem Jahr der Twentieth-Century-Zug seinen Betrieb ein. Er schreibt selbst über sich: »Was mich betrifft, so habe ich in vielen berühmten Hotels in England und im Ausland gearbeitet. Angefangen habe ich im Carlton in London, einem der berühmtesten Hotels der Welt, das es heute nicht mehr gibt. Später arbeitete ich im Semiramis in Kairo und sammelte dann in ganz Europa viele Erfahrungen. Einige Jahre vor dem letzten Krieg eröffnete ich die Buttery Bar im Hyde Park Hotel in London, und als der Krieg vorbei war, eröffnete ich eine neue Cocktailbar im Flemming’s Hotel in London. Im Jahr 1950 ging ich in das Piccadilly Hotel und war dort einige Jahre lang Chef-Barkeeper. So viel zu meiner Erfahrung in der Kunst des Mixens von Getränken.« [6-11]

– »As for me, I have worked in many famous hotels in England and abroad. I started at the Carlton, in London, which was one of the most famous hotels in the world and which is no more. Later, I worked at the Semiramis in Cairo and then gained a great deal of experience all over Europe. I opened the Buttery Bar at the Hyde Park Hotel in London some years before the last war and when the war was over I opened a new Cocktail Bar at Flemming’s Hotel in London. In 1950 I went to the Piccadilly Hotel and have been Head Bartender there for a number of years. So much for my experience in the art of mixing drinks.« [6-11]

Charles Tuck war 1965 der Präsident der ›United Kingdom Bartenders Guild‹, [10-173] 1968 deren Vizepräsident. In den 1970er Jahren war er Vizepräsident der ›International Bartenders Association‹. [8]

Twentieth Century Cocktail. © Le Lion - Swetlana Holz.
Twentieth Century Cocktail. © Le Lion – Swetlana Holz. [7]

Es ist anzumerken, daß es zahlreiche andere Veröffentlichungen mehrerer Drinks mit gleichem Namen aus den Jahren zuvor gibt. Der älteste aus dem Jahr 1904 ist ein gesüßter Old Tom Gin mit Bitters und Creme de Noyaux. Ab 1913 versteht man in den Büchern unter dem Namen einen Bourbon-Sour mit einem Schuß Jamaika-Rum, der mit Ginger Ale oder Soda zu einem Highball umgewandelt wird. 1934 wird der Name für einen Gin-Alexander verwendet, dies dürfen wir als Kuriosität aber vernachlässigen. Erst 1937 taucht das Rezept auf, unter dem gemeinhin heutzutage ein Twentieth Century Cocktail verstanden wird.

Testfahrt des neuen Stromlinienzuges der Twentieth Century Limited am 9. Juni 1938. Auf dem Foto verläßt er die LaSalle Street Station in Chicago.
Testfahrt des neuen Stromlinienzuges der Twentieth Century Limited am 9. Juni 1938. Auf dem Foto verläßt er die LaSalle Street Station in Chicago. [5]

Den Namen soll der Drink von der Twentieth Century Limited erhalten haben, [2] einem zwischen 1902 und 1967 zwischen New York und Chicago verkehrenden luxuriösen Nachtreisezug, der als berühmtester Zug der Welt galt und zu einem nationalen Symbol wurde. [4]

Die anderen Drinks gleichen Namens werden wohl auch nach dieser Zugverbindung benannt worden sein. Wäre der Drink zur Feier des neuen Jahrhunderts entstanden, so wäre er sicherlich früher im Druck erschienen. Zwar mag die erste Version von 1904 noch nach dem neuen Jahrhundert benannt worden sein, doch da kurz zuvor, 1902, die Zugverbindung aufgenommen wurde, wird auch in diesem Fall eher diese namensgebend gewesen sein.

Die Hudson-Lokomotive J-3a des 20th Century Limited auf einer Werbegrafik der New York Central, 1938.
Die Hudson-Lokomotive J-3a des 20th Century Limited auf einer Werbegrafik der New York Central, 1938. [1]

Man liest auch, daß die Variante aus dem „Café Royal Cocktail Book“ bezug nehme auf  die Hudson-Lokomotive J-3a. [3] Ab dem 15. Juni 1938 wurde der Zug mit dieser Lokomotive als Stromlinienzug betrieben, dessen markante Silhouette ihn zu einem populären Art-déco-Motiv werden ließ. Der Schnellzug schaffte die 1542 km lange Strecke in 16 Stunden mit Geschwindigkeiten über 160 km/h. [4] Ob dieser Zusammenhang wirklich stimmt, sei einmal dahingestellt. Die Rezeptur erschien 1937 in einem londoner Barbuch, der Stromlinienzug wurde jedoch erst ab 1938 eingesetzt und mit einer Werbegrafik beworben. [3] Nichtsdestotrotz ist die Idee, der Drink sei von diesem Art-déco-Stromlinienzug inspiriert worden, sehr charmant, auch wenn sie wahrscheinlich nicht stimmt.  Denn der Drink schmeckt wirklich so, wie es Ted Haigh in seinem Buch „Vintage Spirits and Forgotten Cocktails“ feststellt: nach Art déco!

Im Zusammenhang mit dem Twentieth Century kann man sich die Frage stellen, welche Art von Crème de Cacaos ursprünglich eingesetzt wurde. War er ›weiß‹, also klar, oder ›braun‹? Im ›Café Royal Cocktail Book‹, dort wo er zuerst beschrieben wurde, wird in den Rezepten des Buches nur › Crème de cacao‹ angegeben, und im Anhang steht geschrieben: »Crème de cacao. – A French liqueur, chocolate in colour, with the flavour of cocoa and very sweet.« – Das bedeutet doch, daß man, um dieses Rezept originalgetreu nachzumixen, einen dunklen Crème de Cacao verwenden müßte. Allerdings ist es so daß es einen klaren Crème de Cacao schon im 19. Jahrhundert gab, wie ein Blick in die Bücher verrät. [9-311]

Quellen
    1. http://de.wikipedia.org/wiki/20th_Century_Limited#mediaviewer/File:New_York_Central_20th_Century_Limited_1938.jpg: New York Central 20th Century Limited 1938.
    2. http://www.shakestir.com/features/id/392/the-20th-century-cocktail: The 20th Century Cocktail. Von Rhet Williams, 7. Februar 2012.
    3. http://cold-glass.com/2010/03/04/twentieth-century-cocktail/: Twentieth Century Cocktail. Von Douglas Ford, 4. März 2010.
    4. http://de.wikipedia.org/wiki/20th_Century_Limited: 20th Century Limited.
    5. https://en.wikipedia.org/wiki/File:Test_run_of_streamlined_20th_Century_Limited_1938.jpg: Test run of streamlined 20th Century Limited 1938.
    6. Charles A. Tuck: Cocktails and Mixed Drinks. London, 1967.
    7. Das Foto wurde uns freundlicherweise vom Le Lion zur Verfügung gestellt.
    8. https://web.archive.org/web/20211130123124/https://cocktailbook.com/twentieth-century/ Twentieth Century.
    9. https://archive.org/details/leconfiseurmoder00mach/page/310/mode/2up?q=%22creme+de+cacao%22 J. J. Machet: Le confiseur moderne, ou, L’art du confiseur et du distillateur. Paris, 1803.
    10. http://docplayer.net/51075180-Guide-to-drinks-international.html Anonymus: The U.K.B.G. International Guide to Drinks. 4th edition. London 1965.

 

Twentieth Century.
Twentieth Century.

Historische Rezepte

1904 May E. Southworth: One Hundred and One Beverages. Seite 27. Twentieth Century.

HAVE the glass thoroughly
chilled and put in a little
cracked ice; on this put one
teaspoonful each of sugar syrup and
orange bitters, five teaspoonfuls of
Old Tom gin, and five drops of
noyau. Stir with a spoon and
lastly squeeze in a drop of oil from
the lemon peel.

1913 Jacques Straub: A Complete Manual of Mixed Drinks. Seite 103. Twentieth Century.

Juice of 1/2 Lime.
Juice of 1/2 Lemon.
1 Barspoon Sugar.
1 Jigger Bourbon.
1 Dash Jamaica Rum.
Shake well and strain into Highball
Glass. Fill with Ginger Ale or Seltzer.

1914 Jacques Straub: Drinks. Seite 80. Twentieth Century.

Juice of 1/2 a lime.
Juice of 1/2 a lemon.
1 barspoon sugar.
1 jigger bourbon.
1 dash Jamaica rum.
Shake well and strain into highball glass. Fill
with ginger ale or seltzer.

1916 Jacob Abraham Grohusko: Jack’s Manual. Seite 125. Twentieth Century.

Juice of 1/2 lime
Juice of 1/2 a lemon
1 teaspoonful of sugar
100% Bourbon
1 dash Jamaica Rum.
Shake well and strain into a high-ball glass. Fill with
Ginger Ale or seltzer.

1920 Anonymus: „Good Cheer“. Seite 55. Twentieth Century.

Juice of 1/2 a lime.
Juice of 1/2 a lemon.
1 barspoon sugar.
1 shot bourbon.
1 dash Jamaica rum.
Shake well and strain into highball glass. Fill
with ginger ale or seltzer.

1927 Anonymus: El Arte de Hacer Un Cocktail. Seite 182. Twentieth Century (Siglo XX)

Jugo de 1/2 limón .
Cucharadita de azúcar.
Vasito de whiskey Bourbon.
Gotas de ron.
Bátase bien, cuélese a vaso de higball, comple-
tándose con agua de seltz o Ginger Ale.

1933 Jacob Abraham Grohusko: Jack’s Manual. Seite 185. Twentieth Century.

Juice of half a lime
Juice of half a lemon
1 teaspoonful of sugar
100% Bourbon
1 dash Jamaica rum
Shake well and strain into a highball glass. Fill with ginger
ale or seltzer.

1934 Anonymus: A Life-Time Collection of 688 Recipes for Drinks. Seite 100. Twentieth Century.

Juice of 1/2 lime            Shake well
Juice of 1/2 lemon        Strain into highball
1 barspoon of sugar            glass
1 jigger Bourbon          Fill with Ginger Ale
1 dash Jamaica Rum            or Seltzer.

1934 William T. Boothby: „Cocktail Bill“ Boothby’s World Drink. Seite 169. Twentieth Century.

Gin . . . . . . . . . . . . . .  1/3 jigger        Creme de Cocoa . . . . . . . . . . . . . 1/3 jigger
.                             Cream . . . . . . . . . . .  1/3 jigger
Shake well with ice, strain into chilled cocktail glass, grate nutmeg
over and serve.

1937 R. de Fleury: 1800 – And All That. Seite 233. Twentieth Century.

Juice of 1/2 a Lime
Juice of 1/2 a Lemon
1 Barspoonful Sugar
1 Oz. Bourbon Whisky
1 Dash Jamaica Rum
Shake well and strain
into Highball glass.
Fill with Ginger Ale
or Seltzer.

1937 William J. Tarling: Café Royal Cocktail Book. Seite 201. Twentieth Century.

Invented by C. A. Tuck.
2/5 Booth’s Dry Gin.
1/5 Crème de Cacao.
1/5 Lillet.
1/5 Lemon Juice.
Shake.

1948 Trader Vic: Bartender’s Guide. Seite 187. Twentieth Century Cocktail.

Same as Alexander Cocktail.

1953 Anonymus: The U.K.B.G. Guide to Drinks. Seite 86. Twentieth Century.

2/5 Dry Gin.
1/5 Creme de Cacao.
1/5 Lillet.
1/5 Lemon Juice.
Shake and Strain.

1955 Anonymus: The U.K.B.G. Guide to Drinks. Seite 86. Twentieth Century.

2/5 Dry Gin.
1/5 Creme de Cacao.
1/5 Lillet.
1/5 Lemon Juice.
Shake and Strain.

1960 Anonymus: The U.K.B.G. Guide to Drinks. Seite 87. Twentieth Cantury.

2/5 Dry Gin.
1/5 Creme de Cacao.
1/5 Lillet.
1/5 Lemon Juice.
Shake and Strain.

1964 Anonymus: Manual del bar. Seite 259. Siglo XX.

.                                            4 golpes de Apricot Brandy.
Refrescado.                         4 golpes de jarabe de Grana-
Servido en una copa          dina.
de 90 gramos.                     4 golpes de crema de Cassis.
(Creación de Máximo         35 gramos de Hesperidina.
Cabo).                                  35 gramos de Dry Gin.

1965 Anonymus: The U.K.B.G. Guide to Drinks. Seite 88. Twentieth Century.

2/5 Dry Gin.
1/5 Creme de Cacao.
1/5 Lillet.
1/5 Lemon Juice.
SHAKER.

1967 Charles A. Tuck: Cocktails and Mixed Drinks. Seite 64. Twentieth Century.

2/5 Dry Gin
1/5 Creme de Cacao
1/5 Lillet
1/5 Lemon juice
Shake and strain

1976 Anonymus: International Guide to Drinks. Seite 66. Twentieth Century.

2/5 gin
1/5 Creme de Cacao
1/5 Lillet
1/5 lemon juice
Shaker

2009 Gaz Regan: The Bartender’s Gin Compendium. Seite 346. Twentieth Century Cocktail. 45 ml gin; 15 ml Lillet Blanc; 15 ml white creme de cacao; 15 ml fresh lemon juice.

2009 Ted Haigh: Vintage Spirits and Forgotten Cocktails. Seite 272. The Twentieth Century Cocktail. 1 1/2 ounces gin; 3/4 ounce Lillet Blanc; 1/2 ounce light crème de cacao (or a scant splash); 3/4 ounce fresh lemon juice.

2011 Helmut Adam, Jens Hasenbein, Bastian Heuser: Cocktailian 1. Seite 277. Twentieth Century. 4 cl Gin; 2 cl Lillet Blanc; 2 cl Crème de Cacao, weiß; 2 cl Zitronensaft.

2011 Jim Meehan: Das Geheime Cocktail-Buch. Seite 44. 20th Century. 4,5 cl Plymouth Gin; 2 cl Marie Brizard Crème de Cacao Blanc; 2 cl Lillet Blanc; 2 cl Zitronensaft.

2014 Dave Arnold: Liquid Intelligence. Seite 130. 20th-Century Cocktail. 1 1/2 Unzen Gin; 3/4 Unzen Zitronensaft; 3/4 Unzen weißer Crème de Cacao; 3/4 Unzen Lillet Blanc.

2014 David Kaplan, Nick Fauchald, Alex Day: Death & Co. Seite 139. 20th Century. 1 1/2 ounces Beefeater London Dry Gin; 3/4 ounce Marie Brizard White Crème de Cacao; 3/4 ounce Cocchi Americano; 3/4 ounce lemon juice.

2017 Gary Regan: The Joy of Mixology. Seite 287. Twentieth-Century Cocktail. 1 1/2 ounces gin; 3/4 ounce Lillet Blonde; 3/4 ounce white crème de cacao; 3/4 ounce lemon juice.

2017 Jim Meehan: Meehan’s Bartender Manual. Seite 225. 20th Century. 1,5 oz. Tanqueray gin; 0,75 oz. Marie Brizard crème de cacao (white); 0,75 oz. Lillet blanc; 0,75 oz lemon juice.

2018 Alex Day, Nick Fauchald, David Kaplan: Cocktail Codex. Seite 179. 20th Century. 1 1/2 ounces London dry gin; 3/4 ounce Lillet blanc; 3/4 ounce white crème de cacao; 3/4 ounce lemon juice.

explicit capitulum
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über

Hallo, ich bin Armin, und in meiner Freizeit als Blogger, freier Journalist und Bildungstrinker möchte ich die Barkultur fördern. Mein Schwerpunkt liegt auf der Recherche zur Geschichte der Mischgetränke. Falls ich einmal eine Dir bekannte Quelle nicht berücksichtigt habe, und Du der Meinung bist, diese müsse berücksichtigt werden, freue ich mich schon darauf, diese von Dir zu erfahren, um etwas Neues zu lernen.

3 Kommentare zu “Twentieth Century

  1. Hab ich mal auf die To-Drink-Liste gesetzt, nachdem auch Herr Meyer in einer seiner letzten Podcast-Folgen so schwärmte.

    Danke für dieses schöne Blog. Bin froh, dass ich Euch nun endlich auch im Netz gefunden habe. Habe mich auch gleich bis zum Beginn Eures Blogs vorgearbeitet – aber natürlich (noch) nicht alles gelesen.

  2. Als Ergänzung: Mixology verweist mittlerweile auf diesen Herrn Tuck als möglichen Urheber: https://euvs-vintage-cocktail-books.cld.bz/1967-Cocktails-and-Mixed-Drinks-by-Charles-A-Tuck

    • Vielen Dank für Deinen Hinweis. Ich habe es bereits notiert und werde den Text bei der nächsten „Inventur“ anpassen.

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