Nachdem wir uns im vorherigen Teil dieser Serie mit der Insel Curaçao beschäftigten, wollen wir uns nun mit den Orangen dieses Namens beschäftigen. Was gibt es über sie zu berichten?
Beginnen wir einmal mit Allgemeinem: die Pomeranze wird auch als Bitterorange oder als Sevilla-Orange bezeichnet. Sie entstand vermutlich im Süden Chinas als Hybride aus Pampelmuse und Mandarine. Seit mehr als 4000 Jahren wird sie kultiviert. Die ersten Erwähnungen der Pomeranze im Mittelmeerraum finden sich im 10. Jahrhundert in arabischen Schriften. Spätestens im 11. Jahrhundert hatte die Pomeranze Italien erreicht. Die süßen Orangen erreichten Europa hingegen erst im 15. Jahrhundert. [17]
Die Spanier, die die Insel Curaçao besiedelten, bauten dort auch Pomeranzen an. Diese verwilderten und es entstand eine eigene Unterart der Pomeranze, Citrus aurantium currassuviensis. [9-210][16][19-484]
Die ältesten Hinweise
Den ältesten Beleg, den wir für die „Curaçao-Orange“ finden konnten, stammt aus dem Jahr 1720. In diesem Jahr schreibt P. Marins in seinem niederländisch-französischen Wörterbuch: „CURAÇAOS oder CURASSOUWSE-Äpfel, Orangenäpfel von Curaςao. Branntwein auf Schalen von Curacao-Äpfeln oder auf Orangenschalen. Eau de vie auf Curaςao-Orangenschalen. CURASSOUWS-VAARDER [CURAÇAO-FAHRER] Schiff oder Kapitän, die nach Curaçao fahren.“ [3-173]
– „CURAÇAOS of CURASSOUWSE Appelen, Oranje Appelen van Curaςao. Des Oranges de Curassau. Brandewyn op schillen van Curaçaos appelen of op Oranjeschillen. De l’Eau de vie sur de l’ecorce d’Oranges de Curassau. CURASSOUWS-VAARDER, Schip of Schipper op Curaçao vaarende. Vaisseau ou Capitaine allant à Curassau.“ [3-173]
Interessant bei diesem Fund ist auch, daß hier schon ein Zusammenhang mit der Verwendung der Schalen als Spirituosenzutat hergestellt wird. Man mazerierte sie in Branntwein und man stellte auch ein Destillat daraus her. Was das genau bedeutet, werden wir später noch genauer betrachten.
Leider konnten wir keine älteren Hinweise finden, weder in Büchern noch in digitalisierten niederländischen Zeitschriften, obwohl wir die zahlreichen überlieferten Schreibweisen für Curaçao berücksichtigt haben, als da wären Curacao, Curacoa, Curassao, Curassouw, Curacaure, Cvracao, Quracao, Carasou, Carazou oder Corresao. Auch der Versuch, über die Suchbegriffe Oranje, Oranjeboom, Oranjeappelen etwas zu finden, war von keinem Erfolg gekrönt. Dabei gibt es genügend ältere Quellen, die über Orangen berichten. So beschreibt beispielsweise ein anderes niederländisches Werk aus dem Jahr 1676 die verschiedenen Sorten an Zitrusfrüchten. Der Begriff „Curaçao“ kommt darin nicht vor. [13]1708 erschien ein französisch-niederdeutsches Wörterbuch. Darin wird das Wort „Curaçao“ ebenfalls nicht erwähnt. [19-191] Zur Orange sind aber zahlreiche Einträge vorhanden, beispielsweise: „ORANGE, s,f, Fruit. Oranje-appel. Orange aigre. Orange de la Chine. Een zuure oranje appel. Een Chinaas appel.“ [19-484] Auch der niederdeutsch-französische Teil, 1710 erschienen, hält es so. Dort gibt es nur den Eintrag „Oranjenappel. orange.“ [20-36] Auch das italienisch-Niederdeutsche Wörterbuch aus dem Jahr 1710 kennt „Curaçao“ nicht, nur „oranje-appelen“, [21-141] „oranje appel“ [21-957] und „Oranjeappelen“. [22-485]
Diese Quellenlage spricht dafür, daß die Bezeichnung „Curaçao“ für eine Orange erst nach 1700 entstand. Vielleicht bedeutet dies auch, daß die Schalen derselben zuvor nicht nach Europa importiert wurden? Denn auch dafür haben wir keine Belege gefunden.
Die Schalen der Curaçao-Orange
Doch das ändert sich auch mit dem Jahr 1726. In jenem Jahr werden am 10. Oktober im Amsterdamse Courant 5 Behälter gefüllt mit Curaçao-Orangenschalen, „5 canassers Curacao Oranje Schillen“ angeboten. [30] Was genau unter einem canasser zu verstehen ist, konnten wir nicht ergründen. Manchmal heißt es, das sei so etwas wie ein Korb. [14-28]
Doch am 3. Dezember 1726 werden „3 Canassers Curaçao Oranje Schillen“ [7] angeboten. Auf derselben Seite werden auch Dinge in „Korven“, also Körben, angeboten. Ein Canasser muß also nicht unbedingt ein Korb sein. Wer hier mehr weiß, möge sich bitte melden.
1757 werden im Leeuwarder Courant in einer Rezeptur gegen Fieber „Curacao Appelen“ genannt. [18]
Ein 1765 in London erschienenes medizinisches Werk verwendet Curaçao-Orangen, „Curassao oranges“, in den Rezepturen für „infusum antiscorbuticum“ [12-276] und „elixir stomachicum“. [12-305]Bei letzterer wird geschrieben: „Dieses Elixier unterscheidet sich von dem früherer Ausgaben durch den Ersatz frischer Orangenschalen durch Curaçao-Orangen und durch die Zugabe einer halben Unze virginischer Snakeroot. Ersteres ist ein wohltuender aromatischer Bitterstoff, und letzteres verleiht dem Elixier eine gewisse Schärfe, die der Absicht entspricht.“ [12-305]
– „This elixir differs from that of former editions, in the substitution of Curassao oranges to fresh orange peel, and in the addition of half an ounce of Virginian snakeroot. The first is a grateful aromatic bitter, and the latter superadds a degree of pungency coinciding with the intention.“[12-305]
Wir sehen also, daß die Schalen der Curaçao-Orange aufgrund ihrer aromatischen Eigenschaften bevorzugt wurden. Dieses Werk wurde in Folgejahren oftmals neu aufgelegt. Es erschien auch in einer 1773 erschienenen niederländischen Übersetzung. In dieser Übersetzung schreibt man zu einem anderen Magenbitter: „Die Schale der Sevilla-Orangen aus den vorherigen Ausgaben wurde hier durch die junge, unreife Frucht des Orangenbaums, Curaçao Orange genannt, ausgetauscht; ein Artikel, der sich gut für Mischungen dieser Art eignet, da er ein würziger Bitterstoff mit einem sehr angenehmen Duft ist.“ [23-306]
– „De Seville Oranjeschil van de voorgaande uitgaven, is hier verruild voor de jonge onrype vrugt van den Oranjeboom, Curassao Oranjes genaamd; een artikel, dat wel geschikt is voor saamenmengsels van deezen aart, als zynde een speceryagtig bitter van eenen zeer aangenaam en geur.“ [23-306]
Bereits in diesen frühen Jahren zeigt sich die allgemeine Verwirrung, die bei der Curaçao-Orange grundsätzlich vorherrscht. Man meint zwar zunächst, es müßten aus Curaçao stammende Orangen sein, doch das ist meistens nicht der Fall. Wir werden im Folgenden noch weitere Belege dafür finden. Hier verstand man darunter unreife Orangen jedweder Herkunft.
Dieselbe Erklärung, nämlich daß man unter Curaçao-Orangen die junge, unreife Frucht von Pomeranzen verstand, unabhängig davon, ob sie von der auf Curaçao wachsenden Pomeranzenvarietät stammen, wird in den folgenden Jahren immer wieder publiziert. Um Wiederholungen zu vermeiden, weisen wir schon jetzt auf diesen Umstand hin und brauchen uns so nicht bei der Betrachtung der folgenden Zitate immer wieder darauf einlassen.
In seiner Oekonomischen Encyklopädie beschreibt Johann Georg Krünitz im 1774 erschienenen dritten Teil unter dem Stichwort Aurantium die verschiedenen Pomeranzen-Arten. Dazu zählen auch die Süßorangen, bei ihm „süßsaftige Pomeranzen“ genannt, die er aber von den Apfelsinen unterscheidet. [1] Curaçao-Orangen führt er nicht gesondert als eigene Art auf, sondern schreibt später im Text: „Die kleinen unreifen Pomeranzen, insgemein Curassau genannt, Mala aurantia immatura oder viridia, Fr. Petites Oranges, oder Orangelettes, ingleichen Petit-Grain, werden in den Handlungen der Specereihändler, Droguisten, Apotheker und Italiener insgemein getrocknet geführt, und, weil sie getrocknet sehr hart und vest sind, gedrechselt, polirt, und als Corallen angereihet verkauft; und sind, wegen ihres guten Geruchs, zu Paternostern und Rosencränzen sehr beliebt.“ [1]
Im Jahr 1779 schreibt ein deutsches Buch über das aus den Schalen der Orangen gewonnene Öl: „Auch dieses wird auf doppelte Weise zubereitet, wie es beim Öl der Zitrone gesagt wurde, indem man die frische Schale mit Wasser destilliert und ausdrückt. Ersteres schlug das angegebene Arzneibuch vor. Die andere, sicherlich die auf der Insel Curaçao praktizierte, besteht darin, dass das Öl aus der frischen Rinde des reifsten Apfels [gemeint ist die Orange] gepresst, gegen die schiefe Ebene einer Glasplatte abgeschüttelt und beim Herunterfließen zur Verwendung gesammelt wird. … Auf Curaçao wird dieses Öl besonders wegen seiner herz-, magen- und verdauungsfördernden Eigenschaften empfohlen. .“ [34-300]
– „Duplici modo et hoc, prout de oleo Citri dictum est, paratur, destillatione corticis recentis cum aqua, et expressione. Primum proposuit Pharmacopoea indicata. Alter, certe qui in insula Curassao exercetur , hic est, quod oleum ex cortice recenti Mali maturissimi presso, versus planum inclinatum laminae vitreae excutiatur defluensque ad vsum colligatur. … In Curassao oleum hoc commendabile maxime se reddit vi cardiaca stomachica et carminatiua.“ [34-300]
Diesem Buch zufolge scheint man auf der Insel Curaçao Öl aus den Schalen der dort wachsenden Orangen gewonnen zu haben – seltsam nur, daß dies in keiner anderen Quelle bestätigt wird. Und auch der Autor scheint sich nicht ganz sicher gewesen zu sein, sonst hätte er auf das Wort „sicherlich“ verzichtet.
1785 bestätigt ein Lexikon unter dem Stichwort „aurantia hispalensis“, was wir bereits festgestellt haben: „Die jungen, unreifen Sevilla-Orangen werden Curaçao oder Curaçao-Äpfel genannt; auch Aurantia curassaventia, Aurantia enaseentia und Aurantia immatura. Sie sind wohltuend, aromatisch, bitter und haben einen ganz anderen Geschmack als die Schalen der reifen Früchte, und ohne jegliche Säure; die geringe Säure, die sie im frischen Zustand haben, verlieren sie beim Trocknen. Weingeist entzieht ihnen ihre ganze Kraft, Wasser nur unvollkommen; in Wein oder Branntwein eingelegt, bieten sie einen guten Bitterstoff für den Magen.“ [33]
– „The young unripe Seville oranges are called curassoa, or curassao apples; also aurantia curassaventia, aurantia enaseentia, and aurantia immatura. They are a grateful aromatic bitter, of a flavour very different from that of the peel from the ripe fruit, and without any acid, what little tartness they have when fresh, is lost in drying. Spirit of wine extracts all their virtue; water but imperfectly; infused in wine or brandy they afford a good bitter for the stomach.“ [33]
In den niederländischen Zeitungen wurde regelmäßig annonciert, welche Waren in den Häfen angelandet wurden und im Verkauf erhältlich waren. Man kann in diesem Zusammenhang zwar feststellen, daß „Curacao Oranje Schillen“ in den niederländischen Zeitungen des 18. Jahrhunderts vorkommen, aber selten. Ansonsten findet man oft Orangenschalen mit anderer Herkunft genannt. Das kann eigentlich nur bedeuten, daß Curacao-Orangen ein seltenes Handelsgut waren.
Am 26. Oktober 1791 werden im Leydse Courant 22 Fässer mit Schalen der Curaçao-Orange, „22 Vaten Cort. Curacao“, angeboten. [6] Schalen der Curaçao-Orange werden auch angeboten am 16. Februar 1796 im Amsterdamsche Courant, [5] am 8. März 1791 im Rotterdamse Courant [4] und am 22. März 1791 im Rotterdamse Courant [2] Dies sind nur beispielhaft erwähnte Funde. In den Folgejahren gibt es noch zahlreiche andere Fundstellen, wenn auch in Summe nicht viele.
1806 beschreibt ein Produkt-Wörterbuch die Schalen: „Die Kurassao- oder Curassau-Äpfel sind unreife getrocknete Pomeranzen von der Westindischen Insel Curassao, und, wie der davon abgezogene Branntwein, wegen ihrer vorzüglichen Bitterkeit oder aromatischen Theile, sehr beliebt. Häufig nennt man auch die kleinen getrockneten Pomeranzen überhaupt Curassaoäpfel. Im südlichen Europa macht man diese unreifen Früchte sehr viel in Zucker ein und versendet sie häufig zu allerley Gebrauch, in geistigen Getränken u.s.f. Die Schalen von den reifen Früchten gebraucht man sowohl frisch auf mancherley Art zur Destiliation eines Oels u. a. Absichten, als auch in Zucker eingemacht (s. Succade), oder getrocknet, auf langen Fäden. Auf beide letztere Art versendet das südliche Europa sehr viel davon. Wenn das weiße, schwammige, unangenehm schmeckende Mark davon ausgeschält ist, so nennt man in den Apotheken das Uebriggebliebene das Gelbe der Pomeranzenschalen. Unter diesen sind die von der Insel Curassao, welche man der Angabe nach von unreifen Früchten sammlet, ungleich dünner, dürfen daher nicht ausgeschält werden, und haben einen weit angenehmern Geschmack und Geruch. Von einer Abart der Pomerangen, die auf der Insel Barbados wachsen und Bergamotten genannt werden, erhält man aus den frischen Schalen durch eine bloße mechanische Behandlung ohne Destillation ein sehr wohlriechendes Oel unter dem Namen Bergamots- oder Orangenöl, wovon 160 Früchte nur 2 bis 3 Loth geben sollen. Von dem Italienischen Bergamotöl s. den Art. Bergamotessent.“ [11-376]
Dieser Lexikoneintrag bestätigt das bisher Gefundene: Man verstand unter Curaçao-Orangen alle kleinen unreifen Früchte aus Curaçao und Pomeranzen, gleich welcher Herkunft oder aber auch von der Insel Curaçao stammend. Der Text erweckt den Eindruck, daß Orangenschale in Curaçao ein Exportartikel war; wie wir jedoch belegt haben, war sie dies mit größter Wahrscheinlichkeit nicht. Vermutlich berichtet der Autor hier vom Hörensagen und nicht aus explizitem Wissen heraus. Ähnliche Zweifel bezüglich der Provenienz kommen auch bei einigen anderen Texten, aus denen wir im Folgenden zitieren. Man schreibt zwar, daß die Schalen der Curaçao-Orangen von der gleichnamigen Insel stammen. Dies ist aus den erwähnten Gründen wenig wahrscheinlich. Wir werden auf diese Widersprüchlichkeit im Folgenden nicht mehr jedesmal hinweisen, um Wiederholungen zu vermeiden.
Diese Verallgemeinerung war jedoch noch umfänglicher, wie ein Bericht des Jahres 1832 belegt. Man verstand unter der Bezeichnung Curaçao nämlich auch die Schalen von Zitronen: „CURAÇAO. So nennt man die Schale oder Rinde von Orangen und Zitronen, die getrocknet wurden. Man verkauft diese Schalen in Beuteln verpackt. Sie werden zum Aromatisieren bestimmter ausgefallener Biere, verschiedener Liköre und vor allem desjenigen verwendet, der den Namen Curaçao trägt, Curaçao von Holland, etc. Siehe den Artikel SPIRITS LIQUEURS.“ [32-774]
– „CURAÇAO. On nomme ainsi les zesies ou écorces, d’oranges et de citrons qu’on a fait dessécher. On vend ces zestes emballés dans des sacs. Ils sont employés pour aromatiser certaines bières de fantaisie, plusieurs liqueurs, et notamment celle qui porte elle-mème le nom de curaçao, curaçao d’Hollande, etc. Voyez l’article LIQUEURS SPIRITUESES.“ [32-774]
In einem 1834 publizierten Rezept wird nach „Curaçao d’Hollande *“ [10-732] als Zutat verlangt. Dies ist mit einer Fußnote versehen, in der es heißt: „* Die unter dem Namen cortices aurantiorum curassavicorum bekannte feine Sorte von Pomeranzenschalen.“ [10-732]
Auch ein Bericht aus dem Jahr 1839 wirft ein interessantes Licht auf diese Problematik: „Curassao, ein aus Curassao-Aepfeln (s. d. Art.) bereiteter feiner Liqueur, von Berlin, Breslau, Danzig und Quedlinburg zu beziehen. Curassao Aepfel, Curassavica Aurantia, die kleinen grünen, unreifen Früchte einer ausgezeichneten Spielart des Pomeranzenbaumes, welche in Südamerika und Westindien, namentlich auf der Insel Curassao wächst. Man pflückt sie dort, wenn sie die Große einer starken Erbse bis zu einer Kirsche erlangt haben, um sie mit Zucker einzumachen oder zu trocknen. Frisch sind sie grün und schmecken etwas herbe; getrocknet bekommen sie eine braungrüne oder schwarzgrüne Farbe, ein etwas runzliches Ansehen und einen angenehmen gewürzigen Geruch, und einen sehr bittern Geschmack. Sie werden vorzüglich in Apotheken in wässerigem, weinigem oder geistigem Aufgusse, oder auch unter Magenpulvern gebraucht. Auch benutzt man sie zur Liqueurbereitung. Curassao-Schalen, kurassavische Schalen, Cortex Curassao, u. d. N. kommt eine Pomeranzenschale in Handel, die sich von der gewöhnlichen Pomeranzenschale, s. Pomeranzen, dadurch unterscheidet, daß sie fast gar kein weißes Mark enthält, mithin dünner und kräftiger, äußerlich gelbgrünlich, größer und bei weitem theurer ist, indem sie den Preis der gewöhnlichen 3 bis 4 Mal übersteigt. Der Baum wächst in Westindien und Süd-Amerika, ist eine Abart des Pomeranzenbaums, jedoch noch nicht hinlänglich beschrieben. Die Engländer treiben starken Handel auf der Insel Curassao damit, woher sie auch ihren Namen hat. Ueber London, Triest zu beziehen.“ [28-344]
Dieser Bericht schränkt etwas ein, denn ihm zufolge sind Curaçao-Orangen durchaus als eine eigene Varietät zu verstehen, und nicht grundsätzlich alle Pomeranzen. Es ist aber keinesfalls so, daß es die auf Curaçao wachsende sein muß; vielmehr wird berichtet, daß diese Varietät auf den Westindischen Inseln und in Süd-Amerika wächst.
Der Hinweis auf die Handelsaktivitäten der Engländer läßt Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Quelle aufkommen. Wie wir festgestellt haben, waren Orangen kein wichtiges Produkt der Insel Curaçao, warum also hätte dann damit auf der Insel ein starker Handel getrieben worden sein, und dann ausgerechnet von den Engländern, wo doch die Insel niederländisch verwaltet wurde, und daher sicherlich niederländische Kaufleute dort den stärksten Handel trieben. Vielleicht muß man den Text so interpretieren, daß Curaçao-Fahrer von Curaçao kommend in Barbados geladen wurden. Ein Bericht aus dem Jahr 1857, auf den wir noch eingehen werden, läßt dies wahrscheinlich erscheinen.
Es sei auch aus einem Conversations-Lexicon aus dem Jahr 1846 zitiert: „Curassao- oder Curassau-Aepfel nennt man die unreifen, getrockneten Pomeranzen von der Westindischen Insel Curassao, welche wegen ihrer vorzüglichen Bitterkeit und aromatischen Theile höher geschätzt werden, als die ähnlichen Früchte aus dem südlichen Europa; man gebraucht sie zur Zubereitung eines beliebten Likörs, Curassao-Wasser oder Rosoli. – Curassao-Schalen sind die Schalen der nicht ganz reifen Pomeranzen und kommen von der erwähnten Insel; sie fallen ungleich dünner aus als die Pomeranzenschalen aus Spanien und Sicilien, dürfen nicht ausgeschält werden und haben einen weit angenehmern und stärkern Geruch und Geschmack; siehe Pomeranzenschalen.“ [29-164]
Vielleicht ist es so, daß man die auf Curaçao endemische Pomeranzenvarietät andernorts, auf den anderen Westindischen Inseln und in Südamerika zu kultivieren versuchte? Dies läßt ein Bericht aus dem Jahr 1847 vermuten: „Cortex Aurantiorum curassavicorum s. Cortex Curassao. Curassao-Schalen. Diese Rinde stammt von der Frucht einer Abart der Pomeranze, welche ursprünglich auf der americanischen Insel Curassao zu Hause ist. Sie gilt als die beste Sorte von Pomeranzenschalen und wird daher trotz ihres etwas höheren Preises öfters vorgezogen.“ [26-448]
Wenn dies so gewesen wäre, müßte die Schale der Curaçao-Orangen unabhängig von ihrer Herkunft doch relativ leicht erhältlich gewesen sein. Dies jedoch war sie nicht, zumindest nicht in Frankreich, wie wir im Jahr 1855 aufgeklärt werden: „CURAÇAO DE HOLLANDE. — So nennt man die Schale der Frucht einer bestimmten Orangenbaumart, die auf der Insel Curaçao, einer der Westindischen Inseln, wächst und die vor der Reife vom Baum fällt. Seine trockenen Schalen haben einen starken, aromatischen und sehr angenehmen Geruch und sind dünn und bronze-grün gefärbt. Echte holländische Curaçao-Rinde ist im Handel sehr schwer zu finden: Sie wird oft durch curaçao commun ou carton [gemeint ist gewöhnliche Pomeranzenschale] ersetzt, die viermal weniger wertvoll ist. CURAÇAO COMMUN OU CARTON. — Die getrocknete Schale der Orange des in Frankreich, Italien und Spanien beheimateten gewöhnlichen Pomeranzenbaums. Das wesentliche Produkt dieses Baumes ist die Schale seiner Früchte; sie wird vom Apfel getrennt, indem man sie in Viertel schneidet, und dann getrocknet, bevor sie verschifft wird. Wenn sie trocken ist, ist die Rinde dick und hat einen sehr leichten Duft. Es gibt auch eine Sorte von Curaçao auf dem Markt, die gedreht ist und keine weiße Haut hat, und die bevorzugt werden sollte. Einige Drogisten wählen sorgfältig curaçao commun ou carton mit einer dünnen weißen Haut und einer bronzenen Farbe aus und verkaufen sie als curaçao de Hollande. CURAÇOAO DOUX ODER ORANGENSCHALEN. – Fruchtfleischige Hülle der Orangenbaumfrucht. Die Schale hat eine goldgelbe Farbe, ist bitter und stark aromatisch, Eigenschaften, die sie auch nach dem Trocknen beibehält. Es gibt auch getrocknete Orangenschalen in Bändern. Dieses Produkt wird als Tonikum verwendet.“ [31-425][31-426]
– „CURAÇAO DE HOLLANDE. — On nomme ainsi les zestes ou écorces d’un fruit d’une espèce particulière d’oranger-bigaradier croissant dans l’île de Curaçao, l’une des Antilles, et qui tombe de l’arbre avant sa maturité. Ses écorces sèches sont douées d’une forte odeur aromatique très-agréable, elles doivent être peu épaisses et d’une couleur vert bronié. Les véritables écorces de curaçao de Hollande sont fort difficiles à trouver dans le commerce: on leur substitue souvent celles de curaçao carton, dont la valeur vénale est quatre fois moindre. CURAÇAO COMMUN OU CARTON. — Ecorce sèche de l’orange du bigaradier commun qui croît en France, en Italie et en Espagne. Le produit essentiel de cet arbre est dans l’écorce de son fruit; on la sépare de la pomme en la coupant par quartiers, puis on la fait sécher avant de l’expédier. Sèche, cette écorce est épaisse et son parfum très-léger. On trouve aussi dans le commerce un genre de curaçao commun en rubans, c’est-à-dire tourné et complètement privé de pellicule blanche, auquel on devra donner la préférence. Certains droguistes choisissent avec soin les écorces de curaçao carton dont la pellicule blanche est mince et dont la couleur est broniée, puis les vendent pour du curaçao de Hollande. CURAÇAO DOUX OU ÉCORCES D’ORANGES. — Enveloppe charnue du fruit de l’oranger. Cette écorce, d’une couleur jaune d’or, est amère et fortement aromatique, qualités qu’elle possède même après aa dessiccation. Il existe aussi des zestes d’oranges sèches en rubans. Ce produit est employé comme tonique.“ [31-425][31-426]
Interessant an diesem Bericht ist vor allem dieses: Alle Bitterorangenschalen wurden als Curaçao-Schalen bezeichnet. Süßorangen erhielten darüber hinaus auch die Bezeichnung Curaçao Doux, also süße Curaçao.
Man nannte die getrockneten Schalen der Süßorange aber auch Curaçao de Paris, wie wir einem Buch aus dem Jahr 1868 entnehmen können: „Die Schalen von Bitterorangen sind unter dem Namen Curaçao des Iles oder de Hollande bekannt und werden am meisten geschätzt. Sie ist grün und wird von unreifen Früchten entfernt. Die gelbe oder gelbliche Schale stammt von reifen Früchten und ist am wenigsten geschätzt. Die trockene Schale von Süßorangen wird als curaçâo de Paris bezeichnet.“ [15-670]
– „Les zestes des oranges amères est connu sous le nom de curaçao des Iles ou de Hollande; c’est le plus estimé. Il es vert et est enlevé aux fruits qui n’ont pas atteint leur maturité. L’écorce jaune ou jaunâtre provient des fruits mûrs; elle est la moins estimée. L’écorce sèche des oranges douces porte le nom de curaçâo de Paris.“ [15-670]
Eine Zeitschrift des Jahres 1857 bestätigt erneut die allgemeine Verwirrung: „Die in dem Handel als vorzüglichste Curaçao-Pomeranzenschalen ausgebotene Drogue ist entweder absichtlich oder irrthümlich mit diesem Namen bezeichnet worden. Die Insel Curaçao (sprich Kurassaagu; seit 1814 im Besitz der Niederländer) in Westindien liegt in der Nähe des Festlandes Südamerika, war eine Schmugglerstation; ist nach den neuesten Reisebeschreibungen [1830]*) sammt dem dazu gehörenden kleineren Eilande nur 28 geographische Quadratmeilen gross, gehört den Niederländern, hat nur 18,000 Einwohner und ist fast nur ein Felsen, dessen von Natur unfruchtbarer Boden durch den Fleiss der Einwohner hauptsächlich Salz (circa 69,000 Fässer), Mais und einige westindische Handelsproducte in nicht grosser Menge hervorbringen. Seit 1841 ist hier die Nopalcultur zur Gewinnung von Cochenille eingeführt. Die Curassaoäpfel, Citrus aurantium currasaviensis (auch Curassavica aurantia), sind klein, werden mit Zucker eingemacht, sind jedoch kein Exportartikel von Belang. Sondern die von Curaçao kommenden Schiffe, die auf der britischen Insel Barbadoes landen und Frachten wechseln [freighted] **), nehmen von den hier in grosser Menge wachsenden Orangen und Citronen zur Verfahrung auf. Barbadoes, die östlichste Insel unter den Antillen in Westindien, ist 10 Quadratmeilen gross, hat unter den Antilleninseln das gesundeste Klima, ist durch die Einwirkung der Engländer ausserordentlich angebaut, cultivirt ausser Zucker, dessen Ausfuhr 1852 schon 743,010 Centner betragen hat, Kaffee, besonders viele Orangen und Citronen, die einen Exportartikel bilden. Die Ziffer dieses Exportartikels beabsichtige ich aus der „englischen Handelsstatistik“ ***) nachzutragen. Die zu Barbadoes gezogenen Orangefrüchte sind eine Spielart von Citrus aurantium, haben ein angenehmes, starkes Aroma, und deren Schalen ein sehr dünnes Parenchym. Ob jedoch der kostspielige Transport mit Orangenschalen von den Antillen nach Norddeutschland die Unkosten lohnt? Diese Frage muss ich den betreffenden Handelshäusern zur Beantwortung anheimstellen. Kaufmännische Speculation hat die im Handel vorkommenden Pomeranzenschalen mit dünnem Parenchym von Citrus Aurantium latifolium, C. A. tahiticum, C. A. sinense, C. A. costatum, C. A. angustifolium, C. A. multiflorum und C. A. longifolium aus dem südlichen Europa recht bequem und viel wohlfeiler mit Curassaoschalen getauft. Es ist notorisch, wie viel diese Bequemlichkeit Schuld an der Synonimik in der mercantilischen Droguenkunde hat.“ [25-138]
Wir bekommen also erneut bestätigt, daß die Orangen aus Curaçao kein Exportartikel waren, sondern daß vielmehr Orangen und Zitronen von den Schiffen, die auf Curaçao anlandeten, anschließend in Barbados geladen wurden, die dort ein Exportartikel waren. Desweiteren wurden allerlei Pomeranzenvarietäten, die ebenfalls ein dünnes Parenchym besaßen, als Curaçao-Orangen vermarktet.
Das „Lehrbuch der Pharmakognosie des Pflanzenreiches“ schreibt 1867: „Die Früchte einer auf der westindischen Insel Curaçao und auch wohl auf Barbadoes cultivirten Abart der bitteren Orange bleiben grün und waren seit dem XVII. oder dem Anfange des XVIII. Jahrhunderts ihrer dünnen, sehr aromatischen Schalen wegen besonders beliebt. Jetzt erhält man statt dieser Curassavischen Schalen wohl immer nur die von unreifen französischen Früchten gesammelten oder wahrscheinlicher die Schalen einer dortigen grünfrüchtigen Spielart, da sie z. B. aus Nimes in gleicher Grösse geliefert werden wie die gewöhnlichen gelbrothen.“ [8-568]
Dieses Buch bestätigt das, was wir bereits hergeleitet haben. Auch die auf Barbados kultivierten Pomeranzen wurden mit denen auf Curaçao gleichgesetzt. Auch deutet der Text an, daß der Gebrauch der Curaçao-Schalen wohl auf das späte 17. bis frühe 18. Jahrhundert zurückzudatieren ist. Wir erinnern uns: Unser ältester Fund stammt aus dem Jahr 1720.
Vor dem zuvor Geschriebenen versteht man nun, warum ein Buch des Jahres 1867 den Begriff für „Curassaoäpfel“ recht weit faßt: „Curassao, ein aus den Curassaoäpfeln bereiteter feiner Likör. Curassaoäpfel, Curassavica aurantia, nennt man die kleinen grünen unreifen Früchte einer Abart des Pomeranzenbaumes, des Curassaopomeranzencitronenbaumes, Citrus Aurantium curassaviensis oder Malus Auranti major, der in Westindien und besonders auf der Insel Curassao wächst. Die Früchte werden gepflückt, wenn sie die Größe einer Erbse bis zu einer Kirsche haben, und werden entweder getrocknet oder in Zucker eingemacht. Die ersteren sind braungrün oder schwarzgrün, etwas runzelig, haben einen angenehm gewürzhaften Geruch und sehr bitteren Geschmack, und sind so hart, daß sie sich drechseln und poliren lassen. Man benutzt sie in den Apotheken zu wässerigen, weinigen und geistigen Aufgüssen, zu Magenpulvern, zur Bereitung von Bischofessenz und bitteren Likören, und abgedreht legt man sie in Fontanelle, in denen ein starker Reiz erzeugt werden soll. Curassaoschalen, Cortices Aurantiorum curassaviensum, sind die in Viertel geschnittenen, getrockneten Schalen der reifen Curassaoäpfel. Sie unterscheiden sich von den gewöhnlichen Pomeranzenschalen besonders dadurch, daß sie auf der innern Seite nur wenig Mark haben, welches daher nicht ausgeschnitten zu werden braucht; auch ist ihr Geschmack angenehmer gewürzhaft und erwärmend. Sie sind aber viel theurer als jene und werden deshalb weniger gebraucht. Die äußere Seite ist graubraun oder braungelb von Farbe, das Mark gewöhnlich bräunlich und weniger dick, als bei anderen Pomeranzenarten. Man nennt sie ächte oder braune, zum Unterschied von den unächten oder grünen, welche von einer in Spanien wachsenden Orangenart kommen. Diese sind grünlichgrau von Farbe und ihr Geschmack ist den vorigen fast gleich, nur etwas weniger gewürzhaft. Sie sind erst in der neueren Zeit in den Handel gekommen und da sie nur ohngefähr den sechsten Theil der ächten kosten, so werden sie häufig an deren Stelle gebraucht. Beide Arten werden hauptsächlich zur Verfertigung des Curassaolikörs benutzt.“ [24-357]
Im Jahr 1882 wurde geschrieben: „Die unreifen Früchte sind die von selbst abfallenden erbsen- bis kirschengrossen, rundlichen, aussen dunkel graubraunen, innen hellbraunen, runzeligen, rauhen, ziemlich harten, dichten Früchte; sie riechen angenehm gewürzhaft, zumal beim Zerreiben, schmecken aromatisch bitter, etwas herbe. Die reifen Früchte sind bereits oben beschrieben. Ihre Schalen kommen getrocknet in den Handel als elliptische, an beiden Enden spitze Stücke, die 1/4 bis 1/6 der ganzen Frucht ausmachen. Man unterscheidet a) Gewöhnliche Orangenschalen; sie sind 3 — 4 Millim. dick, aussen braun, z. Th. mehr oder weniger dem Rothen und Gelben sich nähernd, vertieft punktirt, und enthalten viel weisses schwammiges Mark. Die besten kommen aus Spanien und Portugal. b) Kurassavische Orangenschalen; sie kommen von einer eigenen Varietät, die auf der westindischen Insel Kurassao gezogen wird, sind weit dünner als die europäischen, selten 2 Millim. dick, aussen dunkel schmutzig grün, enthalten weniger und dichteres weisses Mark, riechen stärker und angenehmer aromatisch als jene. Beide schmecken stark gewürzhaft bitter, während der untere weisse schwammige Theil zwar auch einen bitteren, aber keinen aromatischen Geschmack besitzt. Als kurassavische Schalen werden jetzt jedoch meist die Schalen von unreifen, noch grünen Orangen aus dem südlichen Europa in den Handel gebracht.“ [27-612]
Fazit
Der älteste von uns gefundene Beleg, der auf „Curaçao-Orangen“ verweist, stammt aus dem Jahr 1720. Man schrieb bereits, daß man diese Schalen mazeriere und auch ein Destillat daraus herstelle. Die Quellenlage spricht dafür, daß diese Begrifflichkeit um 1700 entstanden sein muß.
Es gibt die Aussage, daß Curaçao-Orangen, die ursprünglich aus Curaçao stammten, wohl identisch zu der auf Barbados kultivierten Varietät seien und ungefähr um 1700 besonders beliebt waren. Vielleicht wurde versucht, die aus Curaçao stammende Varietät auch auf anderen Westindischen Inseln und in Südamerika anzubauen, oder die Pomeranzen der Region waren sich unabhängig davon ähnlich.
Bereits die älteren Texte sprechen davon, daß man unter einer Curaçao-Orange die unreife Frucht des Pomeranzenbaums verstand, unabhängig davon, ob diese wirklich aus Curaçao stammte oder zu der dort ansässigen Pomeranzenvarität zugehörig ist. Dennoch sprechen manche Quellen davon, daß Curaçao-Orangen ein Exportartikel von Curaçao seien. Manche Autoren scheinen sich hierbei unsicher zu sein oder aber nur vom Hörensagen zu berichten. Dem widerspricht unsere Erkenntnis aus dem vorherigen Beitrag dieser Serie. Orangen waren auf Curaçao mit größter Wahrscheinlichkeit kein Exportartikel. Es gibt jedoch Hinweise darauf, daß Curaçao-Fahrer Zitrusfrüchte auf ihrem Rückweg nach Europa erst bei einer Zwischenlandung im britischen Barbados an Bord nahmen.
Die Schalen der Curaçao-Orange wurden aufgrund ihrer aromatischen Eigenschaften bevorzugt. Was die „echte“ Curaçao-Orange auszeichnet, ist neben ihrer Aromatik auch ihr dünnes Parenchym, so daß man grundsätzlich wohl alle Pomeranzen mit einem dünnen Parenchym als Curaçao-Orange handelte. Gleichwohl wurden oftmals allerlei verschiedene Pomeranzenschalen als Curaçao-Orange gehandelt. Die Verwirrung ging manchmal sogar so weit, daß man sogar Zitronenschale als „Curaçao-Schale“ bezeichnete, auch Süßorangen bezeichnete man als Curaçao-Orangen, als Curaçao Doux oder Curaçao de Paris.
Vielleicht muß man sich die Etymologie der Curaçao-Orange ähnlich vorstellen, wie beim Hamburger. Diese Bezeichnung leitet sich von der Bezeichnung „hamburger steak“ für gebratenes Hackfleisch ab, das hamburger Einwanderer im 19. Jahrhundert in die USA als Tradition mitbrachten. [35] Solch ein „Hamburger“ trägt zwar den Namen der Stadt, doch das Hackfleisch kommt jedoch in den seltensten Fällen wirklich aus dem Gebiet Hamburgs. Man kann sich vorstellen, daß auf ähnliche Art die Bezeichnung Curaçao-Orange auf alle gleichartigen Pomeranzenvarietäten im Handel überging, manchmal sogar auf Zitrusfruchtschalen ganz allgemein.
Nachdem wir nun verstanden haben, was man unter Curaçao-Orangen wirklich zu verstehen hat, wenden wir uns im nächsten Teil dieser Serie der Spirituose zu, die damit hergestellt wurde und nach ihr bezeichnet wurde.
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Nachdem wir uns im vorherigen Teil dieser Serie mit der Insel Curaçao beschäftigten, wollen wir uns nun mit den Orangen dieses Namens beschäftigen. Was gibt es über sie zu berichten?
Beginnen wir einmal mit Allgemeinem: die Pomeranze wird auch als Bitterorange oder als Sevilla-Orange bezeichnet. Sie entstand vermutlich im Süden Chinas als Hybride aus Pampelmuse und Mandarine. Seit mehr als 4000 Jahren wird sie kultiviert. Die ersten Erwähnungen der Pomeranze im Mittelmeerraum finden sich im 10. Jahrhundert in arabischen Schriften. Spätestens im 11. Jahrhundert hatte die Pomeranze Italien erreicht. Die süßen Orangen erreichten Europa hingegen erst im 15. Jahrhundert. [17]
Die Spanier, die die Insel Curaçao besiedelten, bauten dort auch Pomeranzen an. Diese verwilderten und es entstand eine eigene Unterart der Pomeranze, Citrus aurantium currassuviensis. [9-210] [16] [19-484]
Die ältesten Hinweise
Den ältesten Beleg, den wir für die „Curaçao-Orange“ finden konnten, stammt aus dem Jahr 1720. In diesem Jahr schreibt P. Marins in seinem niederländisch-französischen Wörterbuch: „CURAÇAOS oder CURASSOUWSE-Äpfel, Orangenäpfel von Curaςao. Branntwein auf Schalen von Curacao-Äpfeln oder auf Orangenschalen. Eau de vie auf Curaςao-Orangenschalen. CURASSOUWS-VAARDER [CURAÇAO-FAHRER] Schiff oder Kapitän, die nach Curaçao fahren.“ [3-173]
– „CURAÇAOS of CURASSOUWSE Appelen, Oranje Appelen van Curaςao. Des Oranges de Curassau. Brandewyn op schillen van Curaçaos appelen of op Oranjeschillen. De l’Eau de vie sur de l’ecorce d’Oranges de Curassau. CURASSOUWS-VAARDER, Schip of Schipper op Curaçao vaarende. Vaisseau ou Capitaine allant à Curassau.“ [3-173]
Interessant bei diesem Fund ist auch, daß hier schon ein Zusammenhang mit der Verwendung der Schalen als Spirituosenzutat hergestellt wird. Man mazerierte sie in Branntwein und man stellte auch ein Destillat daraus her. Was das genau bedeutet, werden wir später noch genauer betrachten.
Leider konnten wir keine älteren Hinweise finden, weder in Büchern noch in digitalisierten niederländischen Zeitschriften, obwohl wir die zahlreichen überlieferten Schreibweisen für Curaçao berücksichtigt haben, als da wären Curacao, Curacoa, Curassao, Curassouw, Curacaure, Cvracao, Quracao, Carasou, Carazou oder Corresao. Auch der Versuch, über die Suchbegriffe Oranje, Oranjeboom, Oranjeappelen etwas zu finden, war von keinem Erfolg gekrönt. Dabei gibt es genügend ältere Quellen, die über Orangen berichten. So beschreibt beispielsweise ein anderes niederländisches Werk aus dem Jahr 1676 die verschiedenen Sorten an Zitrusfrüchten. Der Begriff „Curaçao“ kommt darin nicht vor. [13] 1708 erschien ein französisch-niederdeutsches Wörterbuch. Darin wird das Wort „Curaçao“ ebenfalls nicht erwähnt. [19-191] Zur Orange sind aber zahlreiche Einträge vorhanden, beispielsweise: „ORANGE, s,f, Fruit. Oranje-appel. Orange aigre. Orange de la Chine. Een zuure oranje appel. Een Chinaas appel.“ [19-484] Auch der niederdeutsch-französische Teil, 1710 erschienen, hält es so. Dort gibt es nur den Eintrag „Oranjenappel. orange.“ [20-36] Auch das italienisch-Niederdeutsche Wörterbuch aus dem Jahr 1710 kennt „Curaçao“ nicht, nur „oranje-appelen“, [21-141] „oranje appel“ [21-957] und „Oranjeappelen“. [22-485]
Diese Quellenlage spricht dafür, daß die Bezeichnung „Curaçao“ für eine Orange erst nach 1700 entstand. Vielleicht bedeutet dies auch, daß die Schalen derselben zuvor nicht nach Europa importiert wurden? Denn auch dafür haben wir keine Belege gefunden.
Die Schalen der Curaçao-Orange
Doch das ändert sich auch mit dem Jahr 1726. In jenem Jahr werden am 10. Oktober im Amsterdamse Courant 5 Behälter gefüllt mit Curaçao-Orangenschalen, „5 canassers Curacao Oranje Schillen“ angeboten. [30] Was genau unter einem canasser zu verstehen ist, konnten wir nicht ergründen. Manchmal heißt es, das sei so etwas wie ein Korb. [14-28]
Doch am 3. Dezember 1726 werden „3 Canassers Curaçao Oranje Schillen“ [7] angeboten. Auf derselben Seite werden auch Dinge in „Korven“, also Körben, angeboten. Ein Canasser muß also nicht unbedingt ein Korb sein. Wer hier mehr weiß, möge sich bitte melden.
1757 werden im Leeuwarder Courant in einer Rezeptur gegen Fieber „Curacao Appelen“ genannt. [18]
Ein 1765 in London erschienenes medizinisches Werk verwendet Curaçao-Orangen, „Curassao oranges“, in den Rezepturen für „infusum antiscorbuticum“ [12-276] und „elixir stomachicum“. [12-305] Bei letzterer wird geschrieben: „Dieses Elixier unterscheidet sich von dem früherer Ausgaben durch den Ersatz frischer Orangenschalen durch Curaçao-Orangen und durch die Zugabe einer halben Unze virginischer Snakeroot. Ersteres ist ein wohltuender aromatischer Bitterstoff, und letzteres verleiht dem Elixier eine gewisse Schärfe, die der Absicht entspricht.“ [12-305]
– „This elixir differs from that of former editions, in the substitution of Curassao oranges to fresh orange peel, and in the addition of half an ounce of Virginian snakeroot. The first is a grateful aromatic bitter, and the latter superadds a degree of pungency coinciding with the intention.“ [12-305]
Wir sehen also, daß die Schalen der Curaçao-Orange aufgrund ihrer aromatischen Eigenschaften bevorzugt wurden. Dieses Werk wurde in Folgejahren oftmals neu aufgelegt. Es erschien auch in einer 1773 erschienenen niederländischen Übersetzung. In dieser Übersetzung schreibt man zu einem anderen Magenbitter: „Die Schale der Sevilla-Orangen aus den vorherigen Ausgaben wurde hier durch die junge, unreife Frucht des Orangenbaums, Curaçao Orange genannt, ausgetauscht; ein Artikel, der sich gut für Mischungen dieser Art eignet, da er ein würziger Bitterstoff mit einem sehr angenehmen Duft ist.“ [23-306]
– „De Seville Oranjeschil van de voorgaande uitgaven, is hier verruild voor de jonge onrype vrugt van den Oranjeboom, Curassao Oranjes genaamd; een artikel, dat wel geschikt is voor saamenmengsels van deezen aart, als zynde een speceryagtig bitter van eenen zeer aangenaam en geur.“ [23-306]
Bereits in diesen frühen Jahren zeigt sich die allgemeine Verwirrung, die bei der Curaçao-Orange grundsätzlich vorherrscht. Man meint zwar zunächst, es müßten aus Curaçao stammende Orangen sein, doch das ist meistens nicht der Fall. Wir werden im Folgenden noch weitere Belege dafür finden. Hier verstand man darunter unreife Orangen jedweder Herkunft.
Dieselbe Erklärung, nämlich daß man unter Curaçao-Orangen die junge, unreife Frucht von Pomeranzen verstand, unabhängig davon, ob sie von der auf Curaçao wachsenden Pomeranzenvarietät stammen, wird in den folgenden Jahren immer wieder publiziert. Um Wiederholungen zu vermeiden, weisen wir schon jetzt auf diesen Umstand hin und brauchen uns so nicht bei der Betrachtung der folgenden Zitate immer wieder darauf einlassen.
In seiner Oekonomischen Encyklopädie beschreibt Johann Georg Krünitz im 1774 erschienenen dritten Teil unter dem Stichwort Aurantium die verschiedenen Pomeranzen-Arten. Dazu zählen auch die Süßorangen, bei ihm „süßsaftige Pomeranzen“ genannt, die er aber von den Apfelsinen unterscheidet. [1] Curaçao-Orangen führt er nicht gesondert als eigene Art auf, sondern schreibt später im Text: „Die kleinen unreifen Pomeranzen, insgemein Curassau genannt, Mala aurantia immatura oder viridia, Fr. Petites Oranges, oder Orangelettes, ingleichen Petit-Grain, werden in den Handlungen der Specereihändler, Droguisten, Apotheker und Italiener insgemein getrocknet geführt, und, weil sie getrocknet sehr hart und vest sind, gedrechselt, polirt, und als Corallen angereihet verkauft; und sind, wegen ihres guten Geruchs, zu Paternostern und Rosencränzen sehr beliebt.“ [1]
Im Jahr 1779 schreibt ein deutsches Buch über das aus den Schalen der Orangen gewonnene Öl: „Auch dieses wird auf doppelte Weise zubereitet, wie es beim Öl der Zitrone gesagt wurde, indem man die frische Schale mit Wasser destilliert und ausdrückt. Ersteres schlug das angegebene Arzneibuch vor. Die andere, sicherlich die auf der Insel Curaçao praktizierte, besteht darin, dass das Öl aus der frischen Rinde des reifsten Apfels [gemeint ist die Orange] gepresst, gegen die schiefe Ebene einer Glasplatte abgeschüttelt und beim Herunterfließen zur Verwendung gesammelt wird. … Auf Curaçao wird dieses Öl besonders wegen seiner herz-, magen- und verdauungsfördernden Eigenschaften empfohlen. .“ [34-300]
– „Duplici modo et hoc, prout de oleo Citri dictum est, paratur, destillatione corticis recentis cum aqua, et expressione. Primum proposuit Pharmacopoea indicata. Alter, certe qui in insula Curassao exercetur , hic est, quod oleum ex cortice recenti Mali maturissimi presso, versus planum inclinatum laminae vitreae excutiatur defluensque ad vsum colligatur. … In Curassao oleum hoc commendabile maxime se reddit vi cardiaca stomachica et carminatiua.“ [34-300]
Diesem Buch zufolge scheint man auf der Insel Curaçao Öl aus den Schalen der dort wachsenden Orangen gewonnen zu haben – seltsam nur, daß dies in keiner anderen Quelle bestätigt wird. Und auch der Autor scheint sich nicht ganz sicher gewesen zu sein, sonst hätte er auf das Wort „sicherlich“ verzichtet.
1785 bestätigt ein Lexikon unter dem Stichwort „aurantia hispalensis“, was wir bereits festgestellt haben: „Die jungen, unreifen Sevilla-Orangen werden Curaçao oder Curaçao-Äpfel genannt; auch Aurantia curassaventia, Aurantia enaseentia und Aurantia immatura. Sie sind wohltuend, aromatisch, bitter und haben einen ganz anderen Geschmack als die Schalen der reifen Früchte, und ohne jegliche Säure; die geringe Säure, die sie im frischen Zustand haben, verlieren sie beim Trocknen. Weingeist entzieht ihnen ihre ganze Kraft, Wasser nur unvollkommen; in Wein oder Branntwein eingelegt, bieten sie einen guten Bitterstoff für den Magen.“ [33]
– „The young unripe Seville oranges are called curassoa, or curassao apples; also aurantia curassaventia, aurantia enaseentia, and aurantia immatura. They are a grateful aromatic bitter, of a flavour very different from that of the peel from the ripe fruit, and without any acid, what little tartness they have when fresh, is lost in drying. Spirit of wine extracts all their virtue; water but imperfectly; infused in wine or brandy they afford a good bitter for the stomach.“ [33]
In den niederländischen Zeitungen wurde regelmäßig annonciert, welche Waren in den Häfen angelandet wurden und im Verkauf erhältlich waren. Man kann in diesem Zusammenhang zwar feststellen, daß „Curacao Oranje Schillen“ in den niederländischen Zeitungen des 18. Jahrhunderts vorkommen, aber selten. Ansonsten findet man oft Orangenschalen mit anderer Herkunft genannt. Das kann eigentlich nur bedeuten, daß Curacao-Orangen ein seltenes Handelsgut waren.
Am 26. Oktober 1791 werden im Leydse Courant 22 Fässer mit Schalen der Curaçao-Orange, „22 Vaten Cort. Curacao“, angeboten. [6] Schalen der Curaçao-Orange werden auch angeboten am 16. Februar 1796 im Amsterdamsche Courant, [5] am 8. März 1791 im Rotterdamse Courant [4] und am 22. März 1791 im Rotterdamse Courant [2] Dies sind nur beispielhaft erwähnte Funde. In den Folgejahren gibt es noch zahlreiche andere Fundstellen, wenn auch in Summe nicht viele.
1806 beschreibt ein Produkt-Wörterbuch die Schalen: „Die Kurassao- oder Curassau-Äpfel sind unreife getrocknete Pomeranzen von der Westindischen Insel Curassao, und, wie der davon abgezogene Branntwein, wegen ihrer vorzüglichen Bitterkeit oder aromatischen Theile, sehr beliebt. Häufig nennt man auch die kleinen getrockneten Pomeranzen überhaupt Curassaoäpfel. Im südlichen Europa macht man diese unreifen Früchte sehr viel in Zucker ein und versendet sie häufig zu allerley Gebrauch, in geistigen Getränken u.s.f. Die Schalen von den reifen Früchten gebraucht man sowohl frisch auf mancherley Art zur Destiliation eines Oels u. a. Absichten, als auch in Zucker eingemacht (s. Succade), oder getrocknet, auf langen Fäden. Auf beide letztere Art versendet das südliche Europa sehr viel davon. Wenn das weiße, schwammige, unangenehm schmeckende Mark davon ausgeschält ist, so nennt man in den Apotheken das Uebriggebliebene das Gelbe der Pomeranzenschalen. Unter diesen sind die von der Insel Curassao, welche man der Angabe nach von unreifen Früchten sammlet, ungleich dünner, dürfen daher nicht ausgeschält werden, und haben einen weit angenehmern Geschmack und Geruch. Von einer Abart der Pomerangen, die auf der Insel Barbados wachsen und Bergamotten genannt werden, erhält man aus den frischen Schalen durch eine bloße mechanische Behandlung ohne Destillation ein sehr wohlriechendes Oel unter dem Namen Bergamots- oder Orangenöl, wovon 160 Früchte nur 2 bis 3 Loth geben sollen. Von dem Italienischen Bergamotöl s. den Art. Bergamotessent.“ [11-376]
Dieser Lexikoneintrag bestätigt das bisher Gefundene: Man verstand unter Curaçao-Orangen alle kleinen unreifen Früchte aus Curaçao und Pomeranzen, gleich welcher Herkunft oder aber auch von der Insel Curaçao stammend. Der Text erweckt den Eindruck, daß Orangenschale in Curaçao ein Exportartikel war; wie wir jedoch belegt haben, war sie dies mit größter Wahrscheinlichkeit nicht. Vermutlich berichtet der Autor hier vom Hörensagen und nicht aus explizitem Wissen heraus. Ähnliche Zweifel bezüglich der Provenienz kommen auch bei einigen anderen Texten, aus denen wir im Folgenden zitieren. Man schreibt zwar, daß die Schalen der Curaçao-Orangen von der gleichnamigen Insel stammen. Dies ist aus den erwähnten Gründen wenig wahrscheinlich. Wir werden auf diese Widersprüchlichkeit im Folgenden nicht mehr jedesmal hinweisen, um Wiederholungen zu vermeiden.
Diese Verallgemeinerung war jedoch noch umfänglicher, wie ein Bericht des Jahres 1832 belegt. Man verstand unter der Bezeichnung Curaçao nämlich auch die Schalen von Zitronen: „CURAÇAO. So nennt man die Schale oder Rinde von Orangen und Zitronen, die getrocknet wurden. Man verkauft diese Schalen in Beuteln verpackt. Sie werden zum Aromatisieren bestimmter ausgefallener Biere, verschiedener Liköre und vor allem desjenigen verwendet, der den Namen Curaçao trägt, Curaçao von Holland, etc. Siehe den Artikel SPIRITS LIQUEURS.“ [32-774]
– „CURAÇAO. On nomme ainsi les zesies ou écorces, d’oranges et de citrons qu’on a fait dessécher. On vend ces zestes emballés dans des sacs. Ils sont employés pour aromatiser certaines bières de fantaisie, plusieurs liqueurs, et notamment celle qui porte elle-mème le nom de curaçao, curaçao d’Hollande, etc. Voyez l’article LIQUEURS SPIRITUESES.“ [32-774]
In einem 1834 publizierten Rezept wird nach „Curaçao d’Hollande *“ [10-732] als Zutat verlangt. Dies ist mit einer Fußnote versehen, in der es heißt: „* Die unter dem Namen cortices aurantiorum curassavicorum bekannte feine Sorte von Pomeranzenschalen.“ [10-732]
Auch ein Bericht aus dem Jahr 1839 wirft ein interessantes Licht auf diese Problematik: „Curassao, ein aus Curassao-Aepfeln (s. d. Art.) bereiteter feiner Liqueur, von Berlin, Breslau, Danzig und Quedlinburg zu beziehen. Curassao Aepfel, Curassavica Aurantia, die kleinen grünen, unreifen Früchte einer ausgezeichneten Spielart des Pomeranzenbaumes, welche in Südamerika und Westindien, namentlich auf der Insel Curassao wächst. Man pflückt sie dort, wenn sie die Große einer starken Erbse bis zu einer Kirsche erlangt haben, um sie mit Zucker einzumachen oder zu trocknen. Frisch sind sie grün und schmecken etwas herbe; getrocknet bekommen sie eine braungrüne oder schwarzgrüne Farbe, ein etwas runzliches Ansehen und einen angenehmen gewürzigen Geruch, und einen sehr bittern Geschmack. Sie werden vorzüglich in Apotheken in wässerigem, weinigem oder geistigem Aufgusse, oder auch unter Magenpulvern gebraucht. Auch benutzt man sie zur Liqueurbereitung. Curassao-Schalen, kurassavische Schalen, Cortex Curassao, u. d. N. kommt eine Pomeranzenschale in Handel, die sich von der gewöhnlichen Pomeranzenschale, s. Pomeranzen, dadurch unterscheidet, daß sie fast gar kein weißes Mark enthält, mithin dünner und kräftiger, äußerlich gelbgrünlich, größer und bei weitem theurer ist, indem sie den Preis der gewöhnlichen 3 bis 4 Mal übersteigt. Der Baum wächst in Westindien und Süd-Amerika, ist eine Abart des Pomeranzenbaums, jedoch noch nicht hinlänglich beschrieben. Die Engländer treiben starken Handel auf der Insel Curassao damit, woher sie auch ihren Namen hat. Ueber London, Triest zu beziehen.“ [28-344]
Dieser Bericht schränkt etwas ein, denn ihm zufolge sind Curaçao-Orangen durchaus als eine eigene Varietät zu verstehen, und nicht grundsätzlich alle Pomeranzen. Es ist aber keinesfalls so, daß es die auf Curaçao wachsende sein muß; vielmehr wird berichtet, daß diese Varietät auf den Westindischen Inseln und in Süd-Amerika wächst.
Der Hinweis auf die Handelsaktivitäten der Engländer läßt Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Quelle aufkommen. Wie wir festgestellt haben, waren Orangen kein wichtiges Produkt der Insel Curaçao, warum also hätte dann damit auf der Insel ein starker Handel getrieben worden sein, und dann ausgerechnet von den Engländern, wo doch die Insel niederländisch verwaltet wurde, und daher sicherlich niederländische Kaufleute dort den stärksten Handel trieben. Vielleicht muß man den Text so interpretieren, daß Curaçao-Fahrer von Curaçao kommend in Barbados geladen wurden. Ein Bericht aus dem Jahr 1857, auf den wir noch eingehen werden, läßt dies wahrscheinlich erscheinen.
Es sei auch aus einem Conversations-Lexicon aus dem Jahr 1846 zitiert: „Curassao- oder Curassau-Aepfel nennt man die unreifen, getrockneten Pomeranzen von der Westindischen Insel Curassao, welche wegen ihrer vorzüglichen Bitterkeit und aromatischen Theile höher geschätzt werden, als die ähnlichen Früchte aus dem südlichen Europa; man gebraucht sie zur Zubereitung eines beliebten Likörs, Curassao-Wasser oder Rosoli. – Curassao-Schalen sind die Schalen der nicht ganz reifen Pomeranzen und kommen von der erwähnten Insel; sie fallen ungleich dünner aus als die Pomeranzenschalen aus Spanien und Sicilien, dürfen nicht ausgeschält werden und haben einen weit angenehmern und stärkern Geruch und Geschmack; siehe Pomeranzenschalen.“ [29-164]
Vielleicht ist es so, daß man die auf Curaçao endemische Pomeranzenvarietät andernorts, auf den anderen Westindischen Inseln und in Südamerika zu kultivieren versuchte? Dies läßt ein Bericht aus dem Jahr 1847 vermuten: „Cortex Aurantiorum curassavicorum s. Cortex Curassao. Curassao-Schalen. Diese Rinde stammt von der Frucht einer Abart der Pomeranze, welche ursprünglich auf der americanischen Insel Curassao zu Hause ist. Sie gilt als die beste Sorte von Pomeranzenschalen und wird daher trotz ihres etwas höheren Preises öfters vorgezogen.“ [26-448]
Wenn dies so gewesen wäre, müßte die Schale der Curaçao-Orangen unabhängig von ihrer Herkunft doch relativ leicht erhältlich gewesen sein. Dies jedoch war sie nicht, zumindest nicht in Frankreich, wie wir im Jahr 1855 aufgeklärt werden: „CURAÇAO DE HOLLANDE. — So nennt man die Schale der Frucht einer bestimmten Orangenbaumart, die auf der Insel Curaçao, einer der Westindischen Inseln, wächst und die vor der Reife vom Baum fällt. Seine trockenen Schalen haben einen starken, aromatischen und sehr angenehmen Geruch und sind dünn und bronze-grün gefärbt. Echte holländische Curaçao-Rinde ist im Handel sehr schwer zu finden: Sie wird oft durch curaçao commun ou carton [gemeint ist gewöhnliche Pomeranzenschale] ersetzt, die viermal weniger wertvoll ist. CURAÇAO COMMUN OU CARTON. — Die getrocknete Schale der Orange des in Frankreich, Italien und Spanien beheimateten gewöhnlichen Pomeranzenbaums. Das wesentliche Produkt dieses Baumes ist die Schale seiner Früchte; sie wird vom Apfel getrennt, indem man sie in Viertel schneidet, und dann getrocknet, bevor sie verschifft wird. Wenn sie trocken ist, ist die Rinde dick und hat einen sehr leichten Duft. Es gibt auch eine Sorte von Curaçao auf dem Markt, die gedreht ist und keine weiße Haut hat, und die bevorzugt werden sollte. Einige Drogisten wählen sorgfältig curaçao commun ou carton mit einer dünnen weißen Haut und einer bronzenen Farbe aus und verkaufen sie als curaçao de Hollande. CURAÇOAO DOUX ODER ORANGENSCHALEN. – Fruchtfleischige Hülle der Orangenbaumfrucht. Die Schale hat eine goldgelbe Farbe, ist bitter und stark aromatisch, Eigenschaften, die sie auch nach dem Trocknen beibehält. Es gibt auch getrocknete Orangenschalen in Bändern. Dieses Produkt wird als Tonikum verwendet.“ [31-425] [31-426]
– „CURAÇAO DE HOLLANDE. — On nomme ainsi les zestes ou écorces d’un fruit d’une espèce particulière d’oranger-bigaradier croissant dans l’île de Curaçao, l’une des Antilles, et qui tombe de l’arbre avant sa maturité. Ses écorces sèches sont douées d’une forte odeur aromatique très-agréable, elles doivent être peu épaisses et d’une couleur vert bronié. Les véritables écorces de curaçao de Hollande sont fort difficiles à trouver dans le commerce: on leur substitue souvent celles de curaçao carton, dont la valeur vénale est quatre fois moindre. CURAÇAO COMMUN OU CARTON. — Ecorce sèche de l’orange du bigaradier commun qui croît en France, en Italie et en Espagne. Le produit essentiel de cet arbre est dans l’écorce de son fruit; on la sépare de la pomme en la coupant par quartiers, puis on la fait sécher avant de l’expédier. Sèche, cette écorce est épaisse et son parfum très-léger. On trouve aussi dans le commerce un genre de curaçao commun en rubans, c’est-à-dire tourné et complètement privé de pellicule blanche, auquel on devra donner la préférence. Certains droguistes choisissent avec soin les écorces de curaçao carton dont la pellicule blanche est mince et dont la couleur est broniée, puis les vendent pour du curaçao de Hollande. CURAÇAO DOUX OU ÉCORCES D’ORANGES. — Enveloppe charnue du fruit de l’oranger. Cette écorce, d’une couleur jaune d’or, est amère et fortement aromatique, qualités qu’elle possède même après aa dessiccation. Il existe aussi des zestes d’oranges sèches en rubans. Ce produit est employé comme tonique.“ [31-425] [31-426]
Interessant an diesem Bericht ist vor allem dieses: Alle Bitterorangenschalen wurden als Curaçao-Schalen bezeichnet. Süßorangen erhielten darüber hinaus auch die Bezeichnung Curaçao Doux, also süße Curaçao.
Man nannte die getrockneten Schalen der Süßorange aber auch Curaçao de Paris, wie wir einem Buch aus dem Jahr 1868 entnehmen können: „Die Schalen von Bitterorangen sind unter dem Namen Curaçao des Iles oder de Hollande bekannt und werden am meisten geschätzt. Sie ist grün und wird von unreifen Früchten entfernt. Die gelbe oder gelbliche Schale stammt von reifen Früchten und ist am wenigsten geschätzt. Die trockene Schale von Süßorangen wird als curaçâo de Paris bezeichnet.“ [15-670]
– „Les zestes des oranges amères est connu sous le nom de curaçao des Iles ou de Hollande; c’est le plus estimé. Il es vert et est enlevé aux fruits qui n’ont pas atteint leur maturité. L’écorce jaune ou jaunâtre provient des fruits mûrs; elle est la moins estimée. L’écorce sèche des oranges douces porte le nom de curaçâo de Paris.“ [15-670]
Eine Zeitschrift des Jahres 1857 bestätigt erneut die allgemeine Verwirrung: „Die in dem Handel als vorzüglichste Curaçao-Pomeranzenschalen ausgebotene Drogue ist entweder absichtlich oder irrthümlich mit diesem Namen bezeichnet worden. Die Insel Curaçao (sprich Kurassaagu; seit 1814 im Besitz der Niederländer) in Westindien liegt in der Nähe des Festlandes Südamerika, war eine Schmugglerstation; ist nach den neuesten Reisebeschreibungen [1830]*) sammt dem dazu gehörenden kleineren Eilande nur 28 geographische Quadratmeilen gross, gehört den Niederländern, hat nur 18,000 Einwohner und ist fast nur ein Felsen, dessen von Natur unfruchtbarer Boden durch den Fleiss der Einwohner hauptsächlich Salz (circa 69,000 Fässer), Mais und einige westindische Handelsproducte in nicht grosser Menge hervorbringen. Seit 1841 ist hier die Nopalcultur zur Gewinnung von Cochenille eingeführt. Die Curassaoäpfel, Citrus aurantium currasaviensis (auch Curassavica aurantia), sind klein, werden mit Zucker eingemacht, sind jedoch kein Exportartikel von Belang. Sondern die von Curaçao kommenden Schiffe, die auf der britischen Insel Barbadoes landen und Frachten wechseln [freighted] **), nehmen von den hier in grosser Menge wachsenden Orangen und Citronen zur Verfahrung auf. Barbadoes, die östlichste Insel unter den Antillen in Westindien, ist 10 Quadratmeilen gross, hat unter den Antilleninseln das gesundeste Klima, ist durch die Einwirkung der Engländer ausserordentlich angebaut, cultivirt ausser Zucker, dessen Ausfuhr 1852 schon 743,010 Centner betragen hat, Kaffee, besonders viele Orangen und Citronen, die einen Exportartikel bilden. Die Ziffer dieses Exportartikels beabsichtige ich aus der „englischen Handelsstatistik“ ***) nachzutragen. Die zu Barbadoes gezogenen Orangefrüchte sind eine Spielart von Citrus aurantium, haben ein angenehmes, starkes Aroma, und deren Schalen ein sehr dünnes Parenchym. Ob jedoch der kostspielige Transport mit Orangenschalen von den Antillen nach Norddeutschland die Unkosten lohnt? Diese Frage muss ich den betreffenden Handelshäusern zur Beantwortung anheimstellen. Kaufmännische Speculation hat die im Handel vorkommenden Pomeranzenschalen mit dünnem Parenchym von Citrus Aurantium latifolium, C. A. tahiticum, C. A. sinense, C. A. costatum, C. A. angustifolium, C. A. multiflorum und C. A. longifolium aus dem südlichen Europa recht bequem und viel wohlfeiler mit Curassaoschalen getauft. Es ist notorisch, wie viel diese Bequemlichkeit Schuld an der Synonimik in der mercantilischen Droguenkunde hat.“ [25-138]
Wir bekommen also erneut bestätigt, daß die Orangen aus Curaçao kein Exportartikel waren, sondern daß vielmehr Orangen und Zitronen von den Schiffen, die auf Curaçao anlandeten, anschließend in Barbados geladen wurden, die dort ein Exportartikel waren. Desweiteren wurden allerlei Pomeranzenvarietäten, die ebenfalls ein dünnes Parenchym besaßen, als Curaçao-Orangen vermarktet.
Das „Lehrbuch der Pharmakognosie des Pflanzenreiches“ schreibt 1867: „Die Früchte einer auf der westindischen Insel Curaçao und auch wohl auf Barbadoes cultivirten Abart der bitteren Orange bleiben grün und waren seit dem XVII. oder dem Anfange des XVIII. Jahrhunderts ihrer dünnen, sehr aromatischen Schalen wegen besonders beliebt. Jetzt erhält man statt dieser Curassavischen Schalen wohl immer nur die von unreifen französischen Früchten gesammelten oder wahrscheinlicher die Schalen einer dortigen grünfrüchtigen Spielart, da sie z. B. aus Nimes in gleicher Grösse geliefert werden wie die gewöhnlichen gelbrothen.“ [8-568]
Dieses Buch bestätigt das, was wir bereits hergeleitet haben. Auch die auf Barbados kultivierten Pomeranzen wurden mit denen auf Curaçao gleichgesetzt. Auch deutet der Text an, daß der Gebrauch der Curaçao-Schalen wohl auf das späte 17. bis frühe 18. Jahrhundert zurückzudatieren ist. Wir erinnern uns: Unser ältester Fund stammt aus dem Jahr 1720.
Vor dem zuvor Geschriebenen versteht man nun, warum ein Buch des Jahres 1867 den Begriff für „Curassaoäpfel“ recht weit faßt: „Curassao, ein aus den Curassaoäpfeln bereiteter feiner Likör. Curassaoäpfel, Curassavica aurantia, nennt man die kleinen grünen unreifen Früchte einer Abart des Pomeranzenbaumes, des Curassaopomeranzencitronenbaumes, Citrus Aurantium curassaviensis oder Malus Auranti major, der in Westindien und besonders auf der Insel Curassao wächst. Die Früchte werden gepflückt, wenn sie die Größe einer Erbse bis zu einer Kirsche haben, und werden entweder getrocknet oder in Zucker eingemacht. Die ersteren sind braungrün oder schwarzgrün, etwas runzelig, haben einen angenehm gewürzhaften Geruch und sehr bitteren Geschmack, und sind so hart, daß sie sich drechseln und poliren lassen. Man benutzt sie in den Apotheken zu wässerigen, weinigen und geistigen Aufgüssen, zu Magenpulvern, zur Bereitung von Bischofessenz und bitteren Likören, und abgedreht legt man sie in Fontanelle, in denen ein starker Reiz erzeugt werden soll. Curassaoschalen, Cortices Aurantiorum curassaviensum, sind die in Viertel geschnittenen, getrockneten Schalen der reifen Curassaoäpfel. Sie unterscheiden sich von den gewöhnlichen Pomeranzenschalen besonders dadurch, daß sie auf der innern Seite nur wenig Mark haben, welches daher nicht ausgeschnitten zu werden braucht; auch ist ihr Geschmack angenehmer gewürzhaft und erwärmend. Sie sind aber viel theurer als jene und werden deshalb weniger gebraucht. Die äußere Seite ist graubraun oder braungelb von Farbe, das Mark gewöhnlich bräunlich und weniger dick, als bei anderen Pomeranzenarten. Man nennt sie ächte oder braune, zum Unterschied von den unächten oder grünen, welche von einer in Spanien wachsenden Orangenart kommen. Diese sind grünlichgrau von Farbe und ihr Geschmack ist den vorigen fast gleich, nur etwas weniger gewürzhaft. Sie sind erst in der neueren Zeit in den Handel gekommen und da sie nur ohngefähr den sechsten Theil der ächten kosten, so werden sie häufig an deren Stelle gebraucht. Beide Arten werden hauptsächlich zur Verfertigung des Curassaolikörs benutzt.“ [24-357]
Im Jahr 1882 wurde geschrieben: „Die unreifen Früchte sind die von selbst abfallenden erbsen- bis kirschengrossen, rundlichen, aussen dunkel graubraunen, innen hellbraunen, runzeligen, rauhen, ziemlich harten, dichten Früchte; sie riechen angenehm gewürzhaft, zumal beim Zerreiben, schmecken aromatisch bitter, etwas herbe. Die reifen Früchte sind bereits oben beschrieben. Ihre Schalen kommen getrocknet in den Handel als elliptische, an beiden Enden spitze Stücke, die 1/4 bis 1/6 der ganzen Frucht ausmachen. Man unterscheidet a) Gewöhnliche Orangenschalen; sie sind 3 — 4 Millim. dick, aussen braun, z. Th. mehr oder weniger dem Rothen und Gelben sich nähernd, vertieft punktirt, und enthalten viel weisses schwammiges Mark. Die besten kommen aus Spanien und Portugal. b) Kurassavische Orangenschalen; sie kommen von einer eigenen Varietät, die auf der westindischen Insel Kurassao gezogen wird, sind weit dünner als die europäischen, selten 2 Millim. dick, aussen dunkel schmutzig grün, enthalten weniger und dichteres weisses Mark, riechen stärker und angenehmer aromatisch als jene. Beide schmecken stark gewürzhaft bitter, während der untere weisse schwammige Theil zwar auch einen bitteren, aber keinen aromatischen Geschmack besitzt. Als kurassavische Schalen werden jetzt jedoch meist die Schalen von unreifen, noch grünen Orangen aus dem südlichen Europa in den Handel gebracht.“ [27-612]
Fazit
Der älteste von uns gefundene Beleg, der auf „Curaçao-Orangen“ verweist, stammt aus dem Jahr 1720. Man schrieb bereits, daß man diese Schalen mazeriere und auch ein Destillat daraus herstelle. Die Quellenlage spricht dafür, daß diese Begrifflichkeit um 1700 entstanden sein muß.
Es gibt die Aussage, daß Curaçao-Orangen, die ursprünglich aus Curaçao stammten, wohl identisch zu der auf Barbados kultivierten Varietät seien und ungefähr um 1700 besonders beliebt waren. Vielleicht wurde versucht, die aus Curaçao stammende Varietät auch auf anderen Westindischen Inseln und in Südamerika anzubauen, oder die Pomeranzen der Region waren sich unabhängig davon ähnlich.
Bereits die älteren Texte sprechen davon, daß man unter einer Curaçao-Orange die unreife Frucht des Pomeranzenbaums verstand, unabhängig davon, ob diese wirklich aus Curaçao stammte oder zu der dort ansässigen Pomeranzenvarität zugehörig ist. Dennoch sprechen manche Quellen davon, daß Curaçao-Orangen ein Exportartikel von Curaçao seien. Manche Autoren scheinen sich hierbei unsicher zu sein oder aber nur vom Hörensagen zu berichten. Dem widerspricht unsere Erkenntnis aus dem vorherigen Beitrag dieser Serie. Orangen waren auf Curaçao mit größter Wahrscheinlichkeit kein Exportartikel. Es gibt jedoch Hinweise darauf, daß Curaçao-Fahrer Zitrusfrüchte auf ihrem Rückweg nach Europa erst bei einer Zwischenlandung im britischen Barbados an Bord nahmen.
Die Schalen der Curaçao-Orange wurden aufgrund ihrer aromatischen Eigenschaften bevorzugt. Was die „echte“ Curaçao-Orange auszeichnet, ist neben ihrer Aromatik auch ihr dünnes Parenchym, so daß man grundsätzlich wohl alle Pomeranzen mit einem dünnen Parenchym als Curaçao-Orange handelte. Gleichwohl wurden oftmals allerlei verschiedene Pomeranzenschalen als Curaçao-Orange gehandelt. Die Verwirrung ging manchmal sogar so weit, daß man sogar Zitronenschale als „Curaçao-Schale“ bezeichnete, auch Süßorangen bezeichnete man als Curaçao-Orangen, als Curaçao Doux oder Curaçao de Paris.
Vielleicht muß man sich die Etymologie der Curaçao-Orange ähnlich vorstellen, wie beim Hamburger. Diese Bezeichnung leitet sich von der Bezeichnung „hamburger steak“ für gebratenes Hackfleisch ab, das hamburger Einwanderer im 19. Jahrhundert in die USA als Tradition mitbrachten. [35] Solch ein „Hamburger“ trägt zwar den Namen der Stadt, doch das Hackfleisch kommt jedoch in den seltensten Fällen wirklich aus dem Gebiet Hamburgs. Man kann sich vorstellen, daß auf ähnliche Art die Bezeichnung Curaçao-Orange auf alle gleichartigen Pomeranzenvarietäten im Handel überging, manchmal sogar auf Zitrusfruchtschalen ganz allgemein.
Nachdem wir nun verstanden haben, was man unter Curaçao-Orangen wirklich zu verstehen hat, wenden wir uns im nächsten Teil dieser Serie der Spirituose zu, die damit hergestellt wurde und nach ihr bezeichnet wurde.
Quellen
explicit capitulum
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