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Die Geschichte der Sahne als Getränkezutat. Teil 5: William Schmidt

Titelbild 2 - William Schmidt.

Im letzten Teil dieser Serie geht es um William Schmidt. Er hatte die revolutionäre Idee, Sahne mit Likör zu verbinden und sie als Zutat abseits der traditionellen Denkmuster einzusetzen.

Syllabub, Posset, Eggnog und Tom and Jerry – diese ›alten Bekannten‹, mit denen ich mich in den vorherigen Beiträgen dieser Serie beschäftigte,  finden wir in alten Bar-Büchern immer wieder. Sie sind Ausdruck einer Jahrhunderte zurückreichenden britischen Tradition. Sie konnten optional mit oder Sahne zubereitet werden. Andere Sahne-Getränke gab es in den Büchern nicht.

William Schmidt: The Flowing Bowl. 1882, Portrait
William Schmidt: The Flowing Bowl. 1892, Portrait. [2]

Dann verändert sich jedoch die Welt der Bartender. Eine neue Sicht auf die Dinge entsteht. Ein bedeutender Wechsel, ich möchte sogar sagen: eine kleine Revolution findet statt. So wie Wermut als Zutat erst des Vermouth Cocktails und dann des Manhattan Cocktails seinen Weg in die Bar fand, zu einem Ausbruch der Kreativität führte und seitdem nicht mehr wegzudenken ist, geschah etwas Gleichartiges mit der Sahne. Diese Bereicherung haben wir niemand anderem als dem »One and Only« William Schmidt zu verdanken.

David Wondrich schreibt im Oxford Companion – und ich könnte es kaum besser zusammenfassen: »Schmidt, William (1850?-1905), Spitzname „The Only William“, war der berühmteste amerikanische Barkeeper des neunzehnten Jahrhunderts. Er war wohl auch der erste Cocktail-Barkeeper, der seine Berühmtheit eher durch die Kunstfertigkeit seiner Drinks als durch die Kraft seiner Persönlichkeit erlangte. Sein Buch von 1891, The Flowing Bowl: What and When to Drink“ (Was und wann man trinken sollte) führte neue Muster, Techniken und Zutaten in die Kunst des Bartenders und einen Geist der Kreativität ein, der, obwohl er zu seiner Zeit ungewöhnlich war, bis in die heutige Mixologie hineinreicht. Von 1888 bis fast zu seinem Tod war er regelmäßig auf den Seiten der New Yorker Zeitungen zu finden und durch die Praxis der Syndikation auch in den nationalen Zeitungen. Sein Ruhm war sogar so groß, dass er sprichwörtlich wurde: der Maßstab, an dem alle anderen Mixologen gemessen wurden. Schmidt wurde in Heide, nordwestlich von Hamburg, Deutschland, geboren. Laut seiner Sterbeurkunde war das im Jahr 1850, obwohl seine Fotos auf ein höheres Alter schließen lassen. Auf jeden Fall arbeitete er eine Zeit lang in Hamburg, bevor er 1868 nach Amerika kam. … Schmidts Handwerkszeug bestand aus einem theatralischen, aber präzisen Bartending-Stil, einer gehörigen Portion Fantasie beim Kombinieren von Zutaten und bei der Benennung der Mischungen sowie der Fähigkeit, das, was er tat, in ganzen Absätzen mit artikulierter, ornamentaler Sprache zu beschreiben. … Schmidts Buch hat seine Position nur gefestigt. The Flowing Bowl“ war das umfangreichste Bartender-Handbuch seit Jerry Thomas‘ bahnbrechendem Werk von 1862. Im Gegensatz zu jenem Werk, das nur eine Handvoll Drinks enthielt, die von Thomas stammten, enthielten die 229 Rezepte mehr als hundert, die, so weit man das feststellen kann, Eigenkreationen des Autors waren. Darüber hinaus gibt es viele für die amerikanische Bar neue Zutaten, darunter Orangenbitter, Digestifs wie Fernet Branca und Calisaya und Liköre wie Parfait Amour, Kümmel und Crèmes de Cacao, Menthe, Vanille, Violette und Rose. … Letztlich ist The Flowing Bowl das erste wirklich persönliche Cocktailbuch. … Nur wenige, wenn überhaupt, von Schmidts Drinks haben es in den Kanon der Drinks geschafft, die ein Barkeeper kennen sollte. Aber auch wenn seine Rezepte in Vergessenheit geraten sind, so haben doch der Raum, den er für die Kreativität eröffnete, seine Erweiterung der Palette des Barkeepers und sein geschickter Einsatz von Werbung und Medien die Kultur der Mixgetränke nachhaltig verändert.« [1-629]

– »Schmidt, William (1850?–1905), nicknamed “the Only William,” was the most famous American bartender of the nineteenth century. Arguably, he was also the first cocktail bartender to achieve celebrity for the artistry of his drinks rather than the force of his personality. His 1891 book, The Flowing Bowl: What and When to Drink, introduced new patterns, techniques, and ingredients to the bartender’s art and a spirit of creativity that, though anomalous in its day, has tendrils that reach deep into the mixology of today. From 1888 almost until his death he was a regular presence in the pages of the New York newspapers and hence, through the practice of syndication, in the national ones. Indeed, such was his fame that he became proverbial: the standard against which all other mixologists were measured. Schmidt was born in Heide, northwest of Hamburg, Germany. According to his death certificate, that was in 1850, although his photographs suggest a man rather older than that. In any case, he worked for a time in Hamburg before coming to America in 1868. … Schmidt’s stock in trade consisted of a theatrical but precise style of bartending, a good deal of imagination in combining ingredients and in naming the combinations, and an ability to describe what he was doing in complete paragraphs of articulate, ornamental speech. … Schmidt’s book only cemented his position. The Flowing Bowl was the most elaborate bartender’s guide to come out since Jerry Thomas’s seminal work of 1862. Unlike that work, however, which contained only a handful of drinks original to Thomas, its 229 recipes included over a hundred that were, as well as can be determined, the author’s own creations. What’s more, ingredients new to the American bar abound, including orange bitters, digestives such as Fernet Branca and Calisaya, and liqueurs such as parfait amour, kümmel, and crèmes de cacao, menthe, vanille, violette, and roses. … Ultimately, The Flowing Bowl is the first truly personalcocktail book. … Few, if any, of Schmidt’s drinks made it into the canon of drinks that a bartender was expected to know. But if his recipes have faded away, the space he opened for creativity, his expansion of the bartender’s palette, and his clever use of publicity and the media permanently changed the culture of mixed drinks[1-629]

Man sollte sein Leben weiter biographisch aufarbeiten, doch das soll in einem eigenen Beitrag geschehen. Soviel kann ich allerdings jetzt schon anmerken: Er scheint nicht in Heide, Kreis Dithmarschen, geboren zu sein, denn meine Durchsicht der in Frage kommenden Taufregister ergab, dass darin zwischen 1821 und 1852 keine Familie Schmidt verzeichnet ist. Und er war auch nicht der erste, der Orangenbitter verwendete. Man findet sie bereits bei jerry Thomas im jahr 1862, und Harry Johnson führt sie 1888 als Bestandteil des Back-Boards auf.

Doch zurück zu William Schmidts revolutionärem Buch ›The Flowing Bowl‹. Was seine Rezepte auszeichnet, ist die reichliche Verwendung verschiedenster bis dahin als Zutat nicht verwendeter Liköre. Mindestens genauso wichtig ist – und das scheint noch niemandem aufgefallen zu sein: über fünf Prozent der darin enthaltenen Rezepte enthalten Sahne als Zutat! Insgesamt sind es 28, und fast alle sind etwas Neuartiges. Beispielsweise wird der Sour auch mit zusätzlicher Sahne zubereitet. Er führt viele Fizzes an, die nicht nur Eiweiß, sondern auch Sahne beinhalten. Er publiziert viele Pousse Cafés, die als oberste Schicht Sahne haben.

So ist er wohl der Erste, der Sahne und Likör in einem Getränk kombinierte. Zur Verdeutlichung möchte ich von seinen zahlreichen Kreationen eine herauspicken. Sie nennt sich Chocolate Punch: »Ein Glas mit einem Ei am Boden, ein Löffel Zucker, 2/3 Brandy, 1/3 Portwein, ein Schuss Crème de Cacao, ein Pony Sahne. Fülle das Glas mit Eis, schüttle es gut, seihe es ab und serviere es.« [2-153]

William Schmidt: The Flowing Bowl. 1882, Seite 153.
William Schmidt: The Flowing Bowl. 1892, Seite 153. [2-153]

– »Chocolate Punch. A glass with an egg in the bottom, a spoonful of sugar, 2/3 of brandy, 1/3 of port wine, 1 dash of creme de cocoa, 1 pony of cream. Fill your glass with ice; shake well; strain, and serve. [2-153]

An dieser Stelle ist es vielleicht angebracht, auch William Schmidts Meinung zu Eiern in Mischgetränken kundzutun. 1888 wird er in einem Zeitungsartikel mit diesen Worten zitiert: »Drinks mit Seele. Weitere Perlen aus dem Munde von William dem Fähigen. – Das Ei im Getränk – William nennt es den besten Freund des Bartenders.« [3]

The Sun, 28. Oktober 1888, Seite 8.
The Sun, 28. Oktober 1888, Seite 8. [3]

– »Drinks with soul in them. Additional pearls from the lips of William the Able. – The Egg in Drinking – William calls it the bartender’s best friend.« [3]

Durch seine Kreativität, die Sahne und Liköre als gebräuchliche Zutaten in Mischgetränken etablierte, legte William Schmidt das Fundament nicht nur für alle kommenden Sahne-Drinks.

Leider ist es so, dass die Rezepte William Schmidts es nicht geschafft haben, in den Kanon der Getränke aufgenommen zu werden. Sie sind in Vergessenheit geraten. Jedoch: auch wenn es keine seiner Drinks in die heutige Zeit geschafft haben, so doch die Grundlagen, die er schuf; sie sind immer noch unser Rüstzeug. Er war es, der Sahne und Likör als Zutaten etablierte, und nur deshalb entstanden bereits in den Folgejahren Rezepte mit Sahne oder mit vielfältigen Likören. Es ist nur niemandem mehr bewusst; aber seine Kreativität ist noch immer mitten unter uns.

Welchen Einfluss hatte sein revolutionäres Buch? Die Bücher anderer Autoren nach 1892 zeigen wieder das alte Muster: wenn überhaupt, kennt man nur die traditionellen Sahne-Drinks. Gelegentlich jedoch schleicht sich eine Neuerung ein, und Sahne-Drinks entstehen abseits der alten Pfade, sei es auf Grundlage eines Sours mit Ei, Sahne und Likör, das Ei auch mal weglassend, mit exotischen Likören wie Crème de Violette, oder natürlich auch andere Mischungen. Es sind auch viele Pousse Cafés dabei, die mit etwas Sahne gekrönt werden. In den Büchern sind jedoch Sahne-Drinks zunächst immer noch eher die Ausnahmen, und nur wenige Rezepte davon sind – wenn überhaupt – enthalten.

Dann kam schon bald die Prohibition und sollte der kreativen amerikanischen Barszene den Todesstoß versetzen. Bevor es soweit war, hatten sich aber William Schmidts Ideen als Standard etabliert. Dies sieht man am Buch »The Reminder« von Jacob A. Didier. In der Erstausgabe von 1909 [8] listet er elf Sahne-Drinks auf, in der dritten Ausgabe von 1917 [9] sind es insgesamt 39, oder anders ausgedrückt: rund 6,7 Prozent der Rezepte. Dies ist ein klarer Beleg dafür, dass sich die Verwendung von Sahne abseits der traditionellen Muster etabliert hatte.

Man möchte meinen, dass die Verwendung von Sahne vielleicht etwas typisch Deutsches sei. Immerhin sind im 1913 in Köln veröffentlichten »Lexikon der Getränke« [4] 39 Sahne-Drinks enthalten. Schaut man genauer hin, so fällt aber auf, dass der größte Teil davon schon zuvor in amerikanischen Büchern publiziert wurde. Wäre der Sahne-Einsatz typisch deutsch, so müssten sich in dieser ersten umfangreichen Rezeptsammlung aus Deutschland – immerhin sind circa 3000 Getränke enthalten – viel mehr mit Sahne befinden. Auch die übrigen deutschen Bücher, genannt seien »Hegenbarth’s Getränkebuch« von 1899, [5] »Der Mixologist« von 1909, [6] und »Rund um die Bar« von 1934, [7] enthalten kaum mehr als nur ein paar wenige Rezepte.

Dies ist ein Beleg dafür, dass der reichhaltige Gebrauch von Sahne eine persönliche Vorliebe und Neuerung von William Schmidt gewesen sein muss und nichts, das er aus seinem Geburtsland mitbrachte.

Hans Schönfeld & John Leybold: Lexikon der Getränke. 1913, Seite 21.
Hans Schönfeld & John Leybold: Lexikon der Getränke. 1913, Seite 21. [4-21]

Das ›Lexikon der Getränke‹ kennt jedoch ein Getränk, das es zuvor noch nicht gab. Es trägt den wenig werbewirksamen Titel ›Bach-Chor-Club‹: »Mixbecher halb voll Eis, füge hinzu: 1/2 Cocktailglas Creme de cacao; 1/4 Cocktailglas Cognac, 1/4 Cocktailglas Sahne, schütteln, in Cocktailglas seihen.« [4-21] Wenn auch etwas auf der schokolikörlastigen Seite, ist dies bereits ein Brandy Alexander. Leider erfahren wir nicht, wer der Urheber ist und wo er entstand. Aber eines scheint mir eindeutig zu sein: die Grundlage dafür schuf William Schmidt.

Quellen
  1. David Wondrich & Noah Rothbaum (Hrsg.): The Oxford Companion to Spirits & Cocktails. ISBN 9780199311132. 2022.
  2. William Schmidt: The Flowing Bowl. When and What to Drink. Full Instructions How to Prepare, Mix, and Serve Beverages. New York, Charles L. Webster & Co., 1892.
  3. https://chroniclingamerica.loc.gov/lccn/sn83030272/1888-10-28/ed-1/seq-8/#date1=1777&sort=date&date2=1910&searchType=advanced&language=&sequence=0&index=12&words=drinks+fizz&proxdistance=10&rows=20&ortext=&proxtext=fizz+drink&phrasetext=&andtext=&dateFilterType=yearRange&page=4 The Sun, 28. Oktober 1888, Seite 8.
  4. Hans Schönfeld & John Leybold: Lexikon der Getränke (circa 3000 Erklärungen von Getränken verschiedener Nationen.). 1. Auflage. Köln, Leybold & Schönfeld, 1913.
  5. Anonymus: Hegenbarth’s Getränkebuch. Eine Sammlung zeitgemäßer Vorschriften zu Herstellung von Bowlen, Punsch u. Sonstigen Mischgetränkengetränken. Mit besonderer Berücksichtigung der in- und ausländischen Kaffeehaus- sowie der Apfel- und Fruchtwein-Getränke. Plauen Dresden, Max Hegebarth’s Verlag, 1899.
  6. Carl A. Seutter: Der Mixologist. Illustriertes internationales Getränke-Buch. 1. Auflage. Leipzig, P.M. Blühers Verlag, 1909.
  7. A. T. Neirath: Rund um die Bar. Ein Lehrbuch für Bartender und Mixer, mit einem Anhang einer Sammlung erprobter und international bekannter Rezepte, unter besonderer Berücksichtigung der Standard-Rezepte. Dresden, (1934).
  8. Jacob A. Didier: The Reminder. An Up-to-Date, Bartenders‘ Vest Pocket. How to Mix Drinks of the Present Time. Containing Clear and Practical Directions for Mixing the Most Popular Plain and Fancy Drinks, Such as Cocktails, Daisies, Fixes, Fizzes, Flips, Sours, Cobblers, Punches, Rickeys, High Balls, Frappes, Juleps, Hot Drinks, Etc. Etc. 3. Auflage. New York, The Outing Press, 1909.
  9. Jacob A. Didier: The Reminder. An Up-to-Date, Bartenders‘ Vest Pocket. How to Mix Drinks of the Present Time. Containing Clear and Practical Directions for Mixing the Most Popular Plain and Fancy Drinks, Such as Cocktails, Daisies, Fixes, Fizzes, Flips, Sours, Cobblers, Punches, Rickeys, High Balls, Frappes, Juleps, Hot Drinks, Etc. Etc. 5. Auflage. Ohne Ort, 1917.

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Hallo, ich bin Armin, und in meiner Freizeit als Blogger, freier Journalist und Bildungstrinker möchte ich die Barkultur fördern. Mein Schwerpunkt liegt auf der Recherche zur Geschichte der Mischgetränke. Falls ich einmal eine Dir bekannte Quelle nicht berücksichtigt habe, und Du der Meinung bist, diese müsse berücksichtigt werden, freue ich mich schon darauf, diese von Dir zu erfahren, um etwas Neues zu lernen.