In dieser Beitragsserie beschäftigen wir uns mit dem Curaçao-Likör. Wo liegt sein Ursprung und wie wurde er hergestellt? Darauf und auf viele weitere Fragen, die sich im Zusammenhang mit diesem Likör stellen, werden wir eingehen und sie anhand historischer Quellen beantworten.
Einleitung
In dieser Beitragsserie beschäftigen wir uns mit dem Curaçao-Likör. Sie gliedert sich in mehrere Teile. Zur besseren Übersicht geben wir Euch einen kurzen Überblick über die Gliederung:
Zunächst beschäftigen wir uns mit der gleichnamigen Insel, dann mit der gleichnamigen Orange und deren Schalen. Anschließend gehen wir generell auf die Spirituose ein und betrachten, seit wann sie nachweisbar ist. Bevor wir dann untersuchen, was für den Destillateur Pierre Duplais im Jahr 1855 ein Curaçao war, müssen wir uns ein Bild davon verschaffen, womit Liköre eingefärbt wurden und wenden uns dafür insbesondere der Pariser Lebensmittelverordnung zu. Mit diesem Wissen können wir uns den vor 1855 notierten Rezepten zuwenden, um zu verstehen, ob es Unterschiede gibt. Wir müssen weit in die Vergangenheit zurückgehen, da vergleichbare Spirituosen und Liköre bereits ab dem 15. Jahrhundert nachweisbar sind, auch wenn sie noch nicht Curaçao genannt wurden. Abschließend interessiert uns dann die Frage, ob Rezepturen, die nach 1855 gedruckt wurden, von denen des Pierre Duplais abweichen.
Begleitet uns nun auf dieser spannenden Reise in die Vergangenheit, bei der es entlang des Weges viel Neues zu entdecken gibt.
Teil 1 – Die Insel Curaçao
Für ein Verständnis des Curaçao-Likörs ist ein detailliertes Verständnis über die Geschichte der gleichnamigen Insel nicht zwingend notwendig. Deshalb genügt es, wenn wir sie an dieser Stelle nur skizzieren.
Die Insel
Curaçao ist rund 444 Quadratkilometer groß, ist heute Teil des Königreichs der Niederlande und gehört zu den Inseln der Kleinen Antillen, unweit des südamerikanischen Kontinents. 1499 erreichten Spanier die Insel, nannten die Insel „Islas de los Gigantes“, „Insel der Giganten“, da die dort lebenden Arawak großgewachsen waren. Wenige Jahre später deportierten sie alle Ureinwohner und zwangen sie zur Zwangsarbeit auf dem Festland. Erst 1527 begannen die Spanier mit der Wiederbesiedelung der Insel, die 1634 von den Niederländern erobert wurde. [3][4]
Die Güter der Insel
Was berichten nun historische Quellen über die Wirtschaft der Insel, auch im Zusammenhang mit den uns interessierenden Orangen, die nach dieser Insel benannt wurden?
Im Jahr 1662 wird die niederländische Übersetzung eines französischen Werkes über die Antillen publiziert, das bereits 1658[2] erschienen war. Darin gibt es ein Kapitel „Von den Bäumen, die auf diesen Inseln wachsen, von denen man die Früchte essen kann.“ [1-42] Darin gibt es den Abschnitt „Von den Orangenbäumen, Granatapfelbäumen und Zitronenbäumen.“ [1-43] In diesem Abschnitt wird berichtet, daß es auf den Inseln zwei Arten von Orangen gäbe, süße und saure, und beide seien sehr schmackhaft. [1-43]
– „Van de Boomen die in dese Eylanden wassen, waar van men vrucht magh eten.“ [1-42] „Van d’Orangie-boomen, Granaat-appel-boomen, en Citroen-boomen.“ [1-43] „Wat d’Orangie-boomen betreft, daar zijn’er van twee soorten in de Voor-eylanden; sy zijn evenwel van eene selve gedaante, en men kan haar niet onderscheyden als door den smaak. D’eenen zijn soet, en d’anderen suer, maar d’eenen en d’anderen uytmuntende lekker; de suere brengen een groot gemak in de huys-houding, want men besight haar in plaatse van groen-sap, en van Asijn; maar de soete munten uyt in goedheyt. Het is waar dat eenige d‘ Orangie-appelen van China, den naam geven van Koninginnen van d‘ Orangie-appelen, en waarachtige Muskaten onder de gedaante en de verwe van dese vrucht: maar wat een achting datmen hebben magh van d’aangename soetigheyt deser Chineesche, daar zijn’er eenige die den uytstekenden en verheven smaak van onse Amerikaansche daar voor verkiesen.“ [1-43]
Zu jener Zeit wuchsen also auf den Antillen sowohl süße als auch saure Orangen. Es ist nicht ganz klar, ob mit letzteren Bitterorangen gemeint waren. Leider werden in diesem Buch die Inseln Aruba, Curaçao oder Bonaire nicht erwähnt. Wahrscheinlich lagen sie zu weit abseits, auch wenn sie zu den Kleinen Antillen gezählt werden, und wurden deshalb in dem Buch nicht abgehandelt.
Ein Lexikon aus dem Jahr 1745 schreibt über Curaçao: „Die reichen Kaufleute haben daselbst an den Oertern Zucker-Siedereyen erbaut, wo sonsten Hütten vor das Vieh waren. Es hat auch allda Pflanzstäten zu Patatas, und Yames. Man siehet allda eine Menge Vieh. Inzwischen ist die Insul wegen dessen, was sie erzeugt, nicht so hoch zu schätzen; als daß sie vortheilhafft lieget, um mit den Spaniern Handlung zu treiben. Man schicket aus Holland alle Jahre grosse Schiffe mit Europaeischen Güthern beladen dahin, die ihre Rückreise sehr glücklich bewerckstelligen.“ [7-2047]
Orangen werden nicht genannt, vielmehr stellt man fest, daß die Produkte der Insel als unwichtig einzuschätzen seien.
Auch 1778 werden in einem Bericht über die West-Indischen Inseln keine Orangen aus Curaçao genannt. Über die Bucht von Honduras heißt es lediglich: „Der ganze Rest, der außerdem das Holz der besten Art enthält, wird von den Holländern geladen, die den Schneidern Leinen, Baumwolle, Tauwerk, Pulver und Kugeln, Schwerter, starken Schnaps, Wein, raffinierten Zucker, irdenes Geschirr &c. aus Curaçao bringen; und da sie all dies billiger verkaufen als die aus Jamaika eingeführten Waren, bleiben für die Engländer nur die Artikel übrig, die die Holländer nicht liefern können, wie Salz, Rindfleisch und Butter, Mehl und Brot aus Nordamerika, etwas Eisenwaren &c.“ [5-46][5-47]
– „All the rest, which besides takes in the wood of the best kind, is loaded by the Dutch, who bring the Cutters linen, cottons, cordage, powder and ball, swords, strong liquors, wine, refined sugar, earthen ware, &c. from Curacao; and as they sell all these cheaper than the goods imported from Jamaica, those articles only remain for the English which the Dutch cannot furnish, as salt, beef and butter, meal and bread of North America, some iron-ware &c.“ [5-46][5-47]
Genau genommen bedeutet diese Aussage jedoch nur, daß Orangen aus Curaçao nicht im näheren Umfeld gehandelt wurden; vielleicht wurden sie trotzdem regelmäßig nach Amsterdam verschifft, da dort die Abnehmer derselben saßen? Doch auch das scheint nicht so gewesen zu sein, denn weiter hinten im Buch wird ausführlich über die Insel Curaçao berichtet: „Die Insel CURAÇAO, die die Seeleute „Curassow“ oder „Curacoa“ nennen, ist etwa 15 Leagues lang und in der Mitte vier oder fünf breit. Im Jahre 1634 nahmen die Holländer sie von den Spaniern ein, die sie seit 1627 besetzt hatten. Die Franzosen versuchten vergeblich, sie 1673 und 1678 zu vertreiben; seit diesen beiden erfolglosen Versuchen wurde ihr Besitz von keinem Volk mehr gestört. Die Insel ist überall zerklüftet und steinig, sie ist karg und sehr schlecht bewässert; auch ist ihr Klima weder gesund noch angenehm. Früher gab es einige annehmbare gute Weiden, auf denen sie eine große Anzahl von Rindern züchteten, aber seit langer Zeit sind sie dem Anbau von Zucker und Tabak gewichen, von denen sie allerdings nur eine mittelmäßige Menge produzieren. Gegenwärtig wird behauptet, daß der gesamte Ertrag der Insel die Einwohner nicht einmal 24 Stunden lang ernähren könnte; aber die holländische Regierung regelt das so, daß es keinen Ort in Westindien gibt, an dem der Mangel weniger spürbar ist als auf Curaçao. Am südwestlichen Ende befindet sich eine sehr schöne Stadt mit einem ausgezeichneten Hafen, der jedoch sehr schwer zugänglich ist; wenn ein Schiff einmal eingelaufen ist, bietet das geräumige Hafenbecken jede Art von Bequemlichkeit und Sicherheit. Eine mit großem Geschick errichtete und ständig in Ordnung gehaltene Festung verteidigt diesen Hafen; sie heißt Fort Amsterdam und gibt der Stadt ihren Namen. Obwohl die Natur dieser Insel alles verweigert zu haben scheint, haben die Holländer nicht nur durch Kunst alles geliefert, was ihr fehlte, sondern sogar einige Mängel in Vorteile umgewandelt: So finden wir dort, wo man von Natur aus ein armes und bedürftiges Volk erwarten würde, das kaum mit seinen Nachbarn in Verbindung steht, in Wirklichkeit eine reiche und gut bevölkerte Stadt, voll von Magazinen für alle Arten von Waren, und einen Hafen, in dem Schiffe nicht nur in vollkommener Sicherheit ankern, sondern wo sie mit Hilfe einer Vielzahl von Maschinen in bequeme Docks gerollt, mit überraschender Schnelligkeit gekielholt und mit Takelage jeder Art, Vorräten aller Art und sogar Artillerie ausgestattet werden können, wenn sie es wünschen. Als Admiral Knowles La Guayra und Porto Cabello angriff, wie wir bereits unter dem Artikel über die spanischen Territorien erwähnt haben, versorgten die Holländer von Curaçao die Flotte mit Trossen, Munition und sogar mit Männern; so daß der Admiral unfehlbar mit seiner Expedition Erfolg gehabt hätte, wenn nicht dasselbe Motiv und dasselbe merkantile Prinzip sie dazu veranlaßt hätte, die Spanier im Voraus mit einer ausreichenden Menge an kriegerischen Vorräten zu versorgen, um unseren Versuch scheitern zu lassen. Curaçao ist zu einem riesigen Magazin geworden, in das die Spanier mit ihren Schiffen kommen, um ihr Gold, Silber, Vanille, Kakao, Cochenille, Chinin, Felle, Maultiere usw. gegen Neger, Leinen, Seide, indische Stoffe, Gewürze, Spitzen, Bänder, Quecksilber und Eisen- und Stahlwaren einzutauschen. Es wird behauptet, daß der Artikel der Neger allein in einem Jahr eine Million Sterling eingebracht hat. Diese Fahrten, obwohl kontinuierlich, haben eine Vielzahl von holländischen Schaluppen nicht daran gehindert, einen Schmuggelhandel zwischen ihrer Insel und den Buchten des spanischen Festlandes zu betreiben. Die Ersetzung der Galeonen durch Registerschiffe hat in letzter Zeit diese doppelte Kommunikation erlahmen lassen; aber es kann nicht ausbleiben, daß sie ihre frühere Stärke wiedererlangt, sobald das Unglück eines Krieges den spanischen Kontinent daran hindert, direkt mit Proviant und Handelswaren versorgt zu werden. … Auf den beiden Seiten von Curaçao liegen zwei kleine Inseln, die beide den Holländern gehören: die Insel ARUBA, 12 Meilen westlich, und die Insel BUEN AIRE oder BONAIRE, 14 Meilen östlich: beide sind unbewohnt und unfähig, etwas zu produzieren, obwohl die Holländer auf der Insel Bonaire ein kleines Fort mit ein paar Soldaten haben.“ [5-91][5-92][5-93]
– „The island of CURAÇAO, which the sailors call „Curassow,“ or „Curacoa,“ is about 15 leagues long, and four or five broad in the middle. In 1634, the Dutch took it from the Spaniards, who had occupied it from the year 1627. The French in vain attempted to expel them in 1673 and in 1678; since thefe two fruitless attempts, their possession has not been disturbed by any people. The island, almoll every where rugged and stony, is barten and very badly watered; neither is its climate healthy or agreeable. There were formerly some tolerable good pastures where they bred a great number of cattle, but for a long time thefe have given place to the planting of sugar and tobacco, of which, however, they produce but a middling quantity. At present, it is asserted that the whole produce of the island would not maintain the inhabitants for 24 hours; but such is the regulation of the Dutch Government, that there is no place in the West-Indies where want is less felt than at Curaçao. Towards the S. W. extremity is a very fine town, with an excellent harbour, but of a very difficult access; when a vessel has once entered, its spacious bason affords every kind of conveniency and safety. A fortreds, build with great skill, and constantly kept in order, defends this harbour; it is called Fort Amsterdam, and gives its name so the town. Although Nature seems to have refused everything to this island, the Dutch have not only supplied by art all that it wanted but have even converted several deficiencies into advantages: so that, where one would naturally expect to meet with a poor and necessitous people without hardly any communication with their neighbours, we realliy find a ritch and well-peopled city, full of magazines of all kinds of merchandizes, and a harbour where ships not only anchor in perfect security, but where, by means of a variety of engines, they may be railed into convenient docks, careened with a surprifing quickness, and furnished with rigging of every sort, stores of all kinds, and even artillery if they want it. When Admiral Knowles attacked La Guayra and Porto Cabello, as we have already mentioned under the article of the Spanish Territories, the Dutch of Curaçao furnished the fleet with cables, ammunition, and even with men; so that the Admiral would have infallibly succeeded in his expedition, if the same motive, and the same mercantile principle, had not engaged them to furnish the Spaniards before-hand with a sufficient quantity of warlike stores to render our attempt abortive. Curaçao is become an immense magazine, where the Spaniards come in their boats to exchange their gold, silver, vanilla, cacao, cochineal, quinquina, hides, mules, &c. for Negroes, linnen, silk, India stuffs, spices, lace, ribbons, quicksilver, and iron and steel works. It is asserted, that the article of Negroes alone has yielded a million sterling in one year. These voyages, though continual, have not hindered a multitude of Dutch sloops from carrying on a contraband trade between their island and the bays of the Spanish main. The substituting register-ships to the galleons has of late slackened this double communication; but it cannot fail to recover its former vigour, as soon as the misfortune of a war hinders the Spanish Continent from being directly supplied with provisions and merchandizes. … On the two sides of Curaçao are two small islands, both belonging to the Dutch; that of ARUBA, 12 leagues to the West; and that of BUEN AIRE or BONAIRE, 14 leagues to the East: they are both uninhabited, and incapable of producing any thing; though the Dutch have a small fort with a few soldiers in the isle of Bonaire.“ [5-91][5-92][5-93]
Da in diesem Bericht keine Curaçao-Orangenschalen genannt werden, müssen wir davon ausgehen, daß sie kein wichtiges oder großes Handelsgut waren. Das bestätigt auch ein Bericht aus dem Jahr 1857 über die Insel Curaçao und die Curaçao-Orangenschalen. Darin heißt es: „Die Curassaoäpfel, Citrus aurantium currasaviensis (auch Curassavica aurantia), sind klein, werden mit Zucker eingemacht, sind jedoch kein Exportartikel von Belang.“ [6-138]
Fazit
Die Insel Curaçao war ab 1634 ein wichtiger niederländischer Handelsstützpunkt. Zunächst hielt man Rinder auf Weiden, die jedoch dem Anbau von Zuckerrohr und Tabak wichen. Diese erbrachten jedoch nur geringe Erträge. Auch war es wohl so, daß die Insel ihre eigene Bevölkerung nicht wirklich ernähren konnte, sondern auf Importe angewiesen war. Orangen wurden als Exportartikel der Insel nicht genannt, mit einer Ausnahme. Im Jahr 1857 wurde geschrieben, daß auf Curaçao die Curaçao-Orangen kein Exportartikel von Belang seien.
Nachdem wir nun die Situation auf der Insel recht gut einschätzen können, widmen wir uns im nächsten Beitrag genauer der Curaçao-Orange.
Quellen
https://archive.org/details/natuurlykeenzede00roch/page/42/mode/2up?q=oranje Charles de Rochefort & H. Dullart: Natuurlyke en zedelyke historie van d’eylanden de Voor-Eylanden van Amerika. Verrijkt met vele schoone platen, die uytheelden d’aller-aanmerkelijkste seldsaamheden die’er in beschreven zijn. Met eenen Caraïbaanschen Woorden-schat. Door D. Charles de Rochefort voor desen Bedinaar des H. Euangeliums in d’Eylanden van Amerika, en tegen woordigh Herder van de Kerke der Françoysche Tale tot Rotterdam. Vertaal in Nederduytsch door H. Dullaart. Rotterdam, 1662.
https://archive.org/details/presentstatewes00kitcgoog/page/n54/mode/2up?q=curacao Anonymus: The present state of the West-Indies: containing an accurate description of what parts are possessed by the several powers in Europe; together with an authentick account of the first discoverers of those islands, and the parts adjacent; their situation, extent, boundaries, soil, product, trade, commerce, inhabitants, strength, government, and religion. Also their principal bays and harbours. The materials for which were collected on the spot during the last war by some of the officers of his Majesty’s forces, and diligently compared with all authentick narrators. London, 1778.
https://archive.org/details/bub_gb_VlxOAAAAcAAJ/page/n1059/mode/2up?q=Curassao Anonymus: Historisch-Politisch-Geographischer Atlas der ganzen Welt; Oder grosses und vollständiges Geographisch- und Critisches Lexicon. Darinnen die Beschreibung des Erd-Kreises, Aller Monarchien, Kayserthümer, Königreiche, Chur- und Fürstenthümer, Republiquen, freyen Staaten, Stände und Herrschaften, Länder, Städte, Festungen, Seehäfen, Schlösser, Flecken, Aemter, Stiffter, Klöster, Gebürge, merckwürdigen Höhlen, Bergwercke, Pässe, Wälder, Meere, Seen, Inseln, Vorgebürge, Klippen, Sand-Bäncke, Meer-Engen, Quellen, Flüsse, Canäle, Gesund-Brunnen &c. Nebst denen dazu gehörigen Denck- und Merckwürdigkeiten enhalten: Aus des berühmten Königl. Spanischen Geographi Mr. Brvzen la Mertiniere Dictionnaire Geographique et Critique ins Deutsche übersetzt, Mit vielen tausend Artickeln vermehret und durchgängig aus den neuesten Geschichten verbessert. Dritter Theil, C. Leipzig, 1745.
In dieser Beitragsserie beschäftigen wir uns mit dem Curaçao-Likör. Wo liegt sein Ursprung und wie wurde er hergestellt? Darauf und auf viele weitere Fragen, die sich im Zusammenhang mit diesem Likör stellen, werden wir eingehen und sie anhand historischer Quellen beantworten.
Einleitung
In dieser Beitragsserie beschäftigen wir uns mit dem Curaçao-Likör. Sie gliedert sich in mehrere Teile. Zur besseren Übersicht geben wir Euch einen kurzen Überblick über die Gliederung:
Zunächst beschäftigen wir uns mit der gleichnamigen Insel, dann mit der gleichnamigen Orange und deren Schalen. Anschließend gehen wir generell auf die Spirituose ein und betrachten, seit wann sie nachweisbar ist. Bevor wir dann untersuchen, was für den Destillateur Pierre Duplais im Jahr 1855 ein Curaçao war, müssen wir uns ein Bild davon verschaffen, womit Liköre eingefärbt wurden und wenden uns dafür insbesondere der Pariser Lebensmittelverordnung zu. Mit diesem Wissen können wir uns den vor 1855 notierten Rezepten zuwenden, um zu verstehen, ob es Unterschiede gibt. Wir müssen weit in die Vergangenheit zurückgehen, da vergleichbare Spirituosen und Liköre bereits ab dem 15. Jahrhundert nachweisbar sind, auch wenn sie noch nicht Curaçao genannt wurden. Abschließend interessiert uns dann die Frage, ob Rezepturen, die nach 1855 gedruckt wurden, von denen des Pierre Duplais abweichen.
Begleitet uns nun auf dieser spannenden Reise in die Vergangenheit, bei der es entlang des Weges viel Neues zu entdecken gibt.
Teil 1 – Die Insel Curaçao
Für ein Verständnis des Curaçao-Likörs ist ein detailliertes Verständnis über die Geschichte der gleichnamigen Insel nicht zwingend notwendig. Deshalb genügt es, wenn wir sie an dieser Stelle nur skizzieren.
Die Insel
Curaçao ist rund 444 Quadratkilometer groß, ist heute Teil des Königreichs der Niederlande und gehört zu den Inseln der Kleinen Antillen, unweit des südamerikanischen Kontinents. 1499 erreichten Spanier die Insel, nannten die Insel „Islas de los Gigantes“, „Insel der Giganten“, da die dort lebenden Arawak großgewachsen waren. Wenige Jahre später deportierten sie alle Ureinwohner und zwangen sie zur Zwangsarbeit auf dem Festland. Erst 1527 begannen die Spanier mit der Wiederbesiedelung der Insel, die 1634 von den Niederländern erobert wurde. [3] [4]
Die Güter der Insel
Was berichten nun historische Quellen über die Wirtschaft der Insel, auch im Zusammenhang mit den uns interessierenden Orangen, die nach dieser Insel benannt wurden?
Im Jahr 1662 wird die niederländische Übersetzung eines französischen Werkes über die Antillen publiziert, das bereits 1658 [2] erschienen war. Darin gibt es ein Kapitel „Von den Bäumen, die auf diesen Inseln wachsen, von denen man die Früchte essen kann.“ [1-42] Darin gibt es den Abschnitt „Von den Orangenbäumen, Granatapfelbäumen und Zitronenbäumen.“ [1-43] In diesem Abschnitt wird berichtet, daß es auf den Inseln zwei Arten von Orangen gäbe, süße und saure, und beide seien sehr schmackhaft. [1-43]
– „Van de Boomen die in dese Eylanden wassen, waar van men vrucht magh eten.“ [1-42] „Van d’Orangie-boomen, Granaat-appel-boomen, en Citroen-boomen.“ [1-43] „Wat d’Orangie-boomen betreft, daar zijn’er van twee soorten in de Voor-eylanden; sy zijn evenwel van eene selve gedaante, en men kan haar niet onderscheyden als door den smaak. D’eenen zijn soet, en d’anderen suer, maar d’eenen en d’anderen uytmuntende lekker; de suere brengen een groot gemak in de huys-houding, want men besight haar in plaatse van groen-sap, en van Asijn; maar de soete munten uyt in goedheyt. Het is waar dat eenige d‘ Orangie-appelen van China, den naam geven van Koninginnen van d‘ Orangie-appelen, en waarachtige Muskaten onder de gedaante en de verwe van dese vrucht: maar wat een achting datmen hebben magh van d’aangename soetigheyt deser Chineesche, daar zijn’er eenige die den uytstekenden en verheven smaak van onse Amerikaansche daar voor verkiesen.“ [1-43]
Zu jener Zeit wuchsen also auf den Antillen sowohl süße als auch saure Orangen. Es ist nicht ganz klar, ob mit letzteren Bitterorangen gemeint waren. Leider werden in diesem Buch die Inseln Aruba, Curaçao oder Bonaire nicht erwähnt. Wahrscheinlich lagen sie zu weit abseits, auch wenn sie zu den Kleinen Antillen gezählt werden, und wurden deshalb in dem Buch nicht abgehandelt.
Ein Lexikon aus dem Jahr 1745 schreibt über Curaçao: „Die reichen Kaufleute haben daselbst an den Oertern Zucker-Siedereyen erbaut, wo sonsten Hütten vor das Vieh waren. Es hat auch allda Pflanzstäten zu Patatas, und Yames. Man siehet allda eine Menge Vieh. Inzwischen ist die Insul wegen dessen, was sie erzeugt, nicht so hoch zu schätzen; als daß sie vortheilhafft lieget, um mit den Spaniern Handlung zu treiben. Man schicket aus Holland alle Jahre grosse Schiffe mit Europaeischen Güthern beladen dahin, die ihre Rückreise sehr glücklich bewerckstelligen.“ [7-2047]
Orangen werden nicht genannt, vielmehr stellt man fest, daß die Produkte der Insel als unwichtig einzuschätzen seien.
Auch 1778 werden in einem Bericht über die West-Indischen Inseln keine Orangen aus Curaçao genannt. Über die Bucht von Honduras heißt es lediglich: „Der ganze Rest, der außerdem das Holz der besten Art enthält, wird von den Holländern geladen, die den Schneidern Leinen, Baumwolle, Tauwerk, Pulver und Kugeln, Schwerter, starken Schnaps, Wein, raffinierten Zucker, irdenes Geschirr &c. aus Curaçao bringen; und da sie all dies billiger verkaufen als die aus Jamaika eingeführten Waren, bleiben für die Engländer nur die Artikel übrig, die die Holländer nicht liefern können, wie Salz, Rindfleisch und Butter, Mehl und Brot aus Nordamerika, etwas Eisenwaren &c.“ [5-46] [5-47]
– „All the rest, which besides takes in the wood of the best kind, is loaded by the Dutch, who bring the Cutters linen, cottons, cordage, powder and ball, swords, strong liquors, wine, refined sugar, earthen ware, &c. from Curacao; and as they sell all these cheaper than the goods imported from Jamaica, those articles only remain for the English which the Dutch cannot furnish, as salt, beef and butter, meal and bread of North America, some iron-ware &c.“ [5-46] [5-47]
Genau genommen bedeutet diese Aussage jedoch nur, daß Orangen aus Curaçao nicht im näheren Umfeld gehandelt wurden; vielleicht wurden sie trotzdem regelmäßig nach Amsterdam verschifft, da dort die Abnehmer derselben saßen? Doch auch das scheint nicht so gewesen zu sein, denn weiter hinten im Buch wird ausführlich über die Insel Curaçao berichtet: „Die Insel CURAÇAO, die die Seeleute „Curassow“ oder „Curacoa“ nennen, ist etwa 15 Leagues lang und in der Mitte vier oder fünf breit. Im Jahre 1634 nahmen die Holländer sie von den Spaniern ein, die sie seit 1627 besetzt hatten. Die Franzosen versuchten vergeblich, sie 1673 und 1678 zu vertreiben; seit diesen beiden erfolglosen Versuchen wurde ihr Besitz von keinem Volk mehr gestört. Die Insel ist überall zerklüftet und steinig, sie ist karg und sehr schlecht bewässert; auch ist ihr Klima weder gesund noch angenehm. Früher gab es einige annehmbare gute Weiden, auf denen sie eine große Anzahl von Rindern züchteten, aber seit langer Zeit sind sie dem Anbau von Zucker und Tabak gewichen, von denen sie allerdings nur eine mittelmäßige Menge produzieren. Gegenwärtig wird behauptet, daß der gesamte Ertrag der Insel die Einwohner nicht einmal 24 Stunden lang ernähren könnte; aber die holländische Regierung regelt das so, daß es keinen Ort in Westindien gibt, an dem der Mangel weniger spürbar ist als auf Curaçao. Am südwestlichen Ende befindet sich eine sehr schöne Stadt mit einem ausgezeichneten Hafen, der jedoch sehr schwer zugänglich ist; wenn ein Schiff einmal eingelaufen ist, bietet das geräumige Hafenbecken jede Art von Bequemlichkeit und Sicherheit. Eine mit großem Geschick errichtete und ständig in Ordnung gehaltene Festung verteidigt diesen Hafen; sie heißt Fort Amsterdam und gibt der Stadt ihren Namen. Obwohl die Natur dieser Insel alles verweigert zu haben scheint, haben die Holländer nicht nur durch Kunst alles geliefert, was ihr fehlte, sondern sogar einige Mängel in Vorteile umgewandelt: So finden wir dort, wo man von Natur aus ein armes und bedürftiges Volk erwarten würde, das kaum mit seinen Nachbarn in Verbindung steht, in Wirklichkeit eine reiche und gut bevölkerte Stadt, voll von Magazinen für alle Arten von Waren, und einen Hafen, in dem Schiffe nicht nur in vollkommener Sicherheit ankern, sondern wo sie mit Hilfe einer Vielzahl von Maschinen in bequeme Docks gerollt, mit überraschender Schnelligkeit gekielholt und mit Takelage jeder Art, Vorräten aller Art und sogar Artillerie ausgestattet werden können, wenn sie es wünschen. Als Admiral Knowles La Guayra und Porto Cabello angriff, wie wir bereits unter dem Artikel über die spanischen Territorien erwähnt haben, versorgten die Holländer von Curaçao die Flotte mit Trossen, Munition und sogar mit Männern; so daß der Admiral unfehlbar mit seiner Expedition Erfolg gehabt hätte, wenn nicht dasselbe Motiv und dasselbe merkantile Prinzip sie dazu veranlaßt hätte, die Spanier im Voraus mit einer ausreichenden Menge an kriegerischen Vorräten zu versorgen, um unseren Versuch scheitern zu lassen. Curaçao ist zu einem riesigen Magazin geworden, in das die Spanier mit ihren Schiffen kommen, um ihr Gold, Silber, Vanille, Kakao, Cochenille, Chinin, Felle, Maultiere usw. gegen Neger, Leinen, Seide, indische Stoffe, Gewürze, Spitzen, Bänder, Quecksilber und Eisen- und Stahlwaren einzutauschen. Es wird behauptet, daß der Artikel der Neger allein in einem Jahr eine Million Sterling eingebracht hat. Diese Fahrten, obwohl kontinuierlich, haben eine Vielzahl von holländischen Schaluppen nicht daran gehindert, einen Schmuggelhandel zwischen ihrer Insel und den Buchten des spanischen Festlandes zu betreiben. Die Ersetzung der Galeonen durch Registerschiffe hat in letzter Zeit diese doppelte Kommunikation erlahmen lassen; aber es kann nicht ausbleiben, daß sie ihre frühere Stärke wiedererlangt, sobald das Unglück eines Krieges den spanischen Kontinent daran hindert, direkt mit Proviant und Handelswaren versorgt zu werden. … Auf den beiden Seiten von Curaçao liegen zwei kleine Inseln, die beide den Holländern gehören: die Insel ARUBA, 12 Meilen westlich, und die Insel BUEN AIRE oder BONAIRE, 14 Meilen östlich: beide sind unbewohnt und unfähig, etwas zu produzieren, obwohl die Holländer auf der Insel Bonaire ein kleines Fort mit ein paar Soldaten haben.“ [5-91] [5-92] [5-93]
– „The island of CURAÇAO, which the sailors call „Curassow,“ or „Curacoa,“ is about 15 leagues long, and four or five broad in the middle. In 1634, the Dutch took it from the Spaniards, who had occupied it from the year 1627. The French in vain attempted to expel them in 1673 and in 1678; since thefe two fruitless attempts, their possession has not been disturbed by any people. The island, almoll every where rugged and stony, is barten and very badly watered; neither is its climate healthy or agreeable. There were formerly some tolerable good pastures where they bred a great number of cattle, but for a long time thefe have given place to the planting of sugar and tobacco, of which, however, they produce but a middling quantity. At present, it is asserted that the whole produce of the island would not maintain the inhabitants for 24 hours; but such is the regulation of the Dutch Government, that there is no place in the West-Indies where want is less felt than at Curaçao. Towards the S. W. extremity is a very fine town, with an excellent harbour, but of a very difficult access; when a vessel has once entered, its spacious bason affords every kind of conveniency and safety. A fortreds, build with great skill, and constantly kept in order, defends this harbour; it is called Fort Amsterdam, and gives its name so the town. Although Nature seems to have refused everything to this island, the Dutch have not only supplied by art all that it wanted but have even converted several deficiencies into advantages: so that, where one would naturally expect to meet with a poor and necessitous people without hardly any communication with their neighbours, we realliy find a ritch and well-peopled city, full of magazines of all kinds of merchandizes, and a harbour where ships not only anchor in perfect security, but where, by means of a variety of engines, they may be railed into convenient docks, careened with a surprifing quickness, and furnished with rigging of every sort, stores of all kinds, and even artillery if they want it. When Admiral Knowles attacked La Guayra and Porto Cabello, as we have already mentioned under the article of the Spanish Territories, the Dutch of Curaçao furnished the fleet with cables, ammunition, and even with men; so that the Admiral would have infallibly succeeded in his expedition, if the same motive, and the same mercantile principle, had not engaged them to furnish the Spaniards before-hand with a sufficient quantity of warlike stores to render our attempt abortive. Curaçao is become an immense magazine, where the Spaniards come in their boats to exchange their gold, silver, vanilla, cacao, cochineal, quinquina, hides, mules, &c. for Negroes, linnen, silk, India stuffs, spices, lace, ribbons, quicksilver, and iron and steel works. It is asserted, that the article of Negroes alone has yielded a million sterling in one year. These voyages, though continual, have not hindered a multitude of Dutch sloops from carrying on a contraband trade between their island and the bays of the Spanish main. The substituting register-ships to the galleons has of late slackened this double communication; but it cannot fail to recover its former vigour, as soon as the misfortune of a war hinders the Spanish Continent from being directly supplied with provisions and merchandizes. … On the two sides of Curaçao are two small islands, both belonging to the Dutch; that of ARUBA, 12 leagues to the West; and that of BUEN AIRE or BONAIRE, 14 leagues to the East: they are both uninhabited, and incapable of producing any thing; though the Dutch have a small fort with a few soldiers in the isle of Bonaire.“ [5-91] [5-92] [5-93]
Da in diesem Bericht keine Curaçao-Orangenschalen genannt werden, müssen wir davon ausgehen, daß sie kein wichtiges oder großes Handelsgut waren. Das bestätigt auch ein Bericht aus dem Jahr 1857 über die Insel Curaçao und die Curaçao-Orangenschalen. Darin heißt es: „Die Curassaoäpfel, Citrus aurantium currasaviensis (auch Curassavica aurantia), sind klein, werden mit Zucker eingemacht, sind jedoch kein Exportartikel von Belang.“ [6-138]
Fazit
Die Insel Curaçao war ab 1634 ein wichtiger niederländischer Handelsstützpunkt. Zunächst hielt man Rinder auf Weiden, die jedoch dem Anbau von Zuckerrohr und Tabak wichen. Diese erbrachten jedoch nur geringe Erträge. Auch war es wohl so, daß die Insel ihre eigene Bevölkerung nicht wirklich ernähren konnte, sondern auf Importe angewiesen war. Orangen wurden als Exportartikel der Insel nicht genannt, mit einer Ausnahme. Im Jahr 1857 wurde geschrieben, daß auf Curaçao die Curaçao-Orangen kein Exportartikel von Belang seien.
Nachdem wir nun die Situation auf der Insel recht gut einschätzen können, widmen wir uns im nächsten Beitrag genauer der Curaçao-Orange.
Quellen
explicit capitulum
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