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Die soziokulturelle Geschichte des Pousse Cafés. Teil 1: Die Kaffeekultur im osmanischen Reich

Titelbild Tanzende Derwische.

Der Pousse Café, zusammen mit dem Knickebein ein Getränk, das vor dem Ersten Weltkrieg in Deutschland allgegenwärtig war, ist leider in Vergessenheit geraten. Er wird praktisch nicht mehr serviert, und man hat die gesellschaftliche Rolle, die er spielte, schon längst vergessen. Seine Ursprünge liegen im Osmanischen Reich.

Ausgangspunkt dieser Recherche war eine Anfrage von Stefan Adrian, ob ich nicht einmal etwas über »den soziokulturellen Hintergrund des Pousse Cafés« für Mixology Online schreiben könnte. Lange Zeit fand ich keinen Zugang zu diesem Thema, doch dann ergab sich alles wie von selbst. Begleitet uns also auf dieser wundervollen Reise, bei der Ihr die Grundlagen des Pousse Cafés kennenlernt: die osmanische und französische Kaffeehauskultur, die Entstehung der Presse, das Zeitalter der Aufklärung, die Emanzipation der Frau, die europäische Salonkultur, die Geschichte von Likör und Zucker und das französische und deutsche Alltagsleben.

Kaffee im Jemen

In Äthiopien liegt der Ursprung der Kaffeepflanze. Erstmals kultiviert wurde sie jedoch vermutlich im Jemen. Man erzählt, daß der Grund hierfür im Sufismus liege, einer Spielart des Islams, deren Anhänger man als Sufi oder Derwisch bezeichnet. [1] [2] [5-63]

Um sich in eine Trance zu versetzen, wurden dort amphetaminhaltige Blätter des Kathstrauches gekaut. Diese waren aber nicht immer erhältlich, weshalb im 15. Jahrhundert ein islamischer Rechtsgelehrter als Alternative empfohlen haben soll, stattdessen »qahwa«, so nannte er Kaffee, zu trinken, welches er in Äthiopien kennengelernt hatte. Manche berichten, der Mufti von Aden habe den Kaffee in Persien kennengelernt und ihn anschließend in seiner Stadt bekannt gemacht. Dieses Getränk vertriebe nämlich nicht nur Müdigkeit, sondern auch Schwermut. [1] [4-64] [5-63] Dadurch wurde es für die Derwische leichter, ihren ›Tanz der drehenden Derwische‹ auszuführen. [1] [2] [5-63]

Kaffee in Mekka

Ende des 15. Jahrhunderts wurden in Mekka Kaffeehäuser errichtet. Für fromme Menschen war dies skandalös, weshalb der Polizeichef von Mekka, Khayr Beg, im Jahr 1511 erreichte, daß Kaffee als ›harām‹, als unerlaubt, erklärt wurde. Daraufhin wurde sowohl der Verkauf als auch die Verwendung von Kaffee verboten; Verkäufer wurden bestraft und die Vorräte verbrannt. Nach der Ablösung Khayr Begs im Jahr 1512 wurde Kaffee jedoch wieder konsumiert. [3-1]

Kaffee war in Afrika und Persien in Gebrauch, lange bevor ihn auch die Araber tranken. [5-64]

Kaffee in Ägypten

In Ägypten wurde Kaffee in den ersten zehn Jahren des 16. Jahrhunderts bekannt. Auch hier wurde er zunächst verboten, jedoch ebenfalls mit wenig Erfolg.

Suleiman der Prächtige

Suleiman der Prächtige war von 1520 bis 1566 Sultan. [4] Während seiner Regierungszeit kam Kaffee in Konstantinopel in Mode. [5-65] Aus seiner Zeit berichtet der osmanische Historiograph Ibrahim Peçevi: [3-2] »Bis zum Jahr 962/1554-55 war sowohl in der Hauptstadt als auch allgemein in den osmanischen Gebieten Kaffee unbekannt, und es gab keine Kaffeehäuser. Um dieses Jahr herum kamen ein Mann namens Hakim aus Aleppo und ein Mann namens Schams aus Damaskus in die Stadt. Sie eröffneten jeweils einen großen Laden im Stadtteil Tahtakalé und begannen, Kaffee zu liefern. Diese Läden wurden zu Versammlungsorten für Vergnügungssüchtige, Müßiggänger, aber auch für einige literarische Schöngeister; sie machten es sich zur Gewohnheit, sich in Gruppen von zwanzig oder dreißig zu treffen; einige lasen Bücher oder schöne Schriften, andere waren mit Trie-Trac oder Schach beschäftigt, wieder andere brachten neue Gedichte mit oder sprachen über Literatur. [3-3] Diejenigen, die es gewohnt waren, viel Geld für Mahlzeiten auszugeben, um sich zu versammeln, stellten fest, dass sie die Freuden des Zusammenseins auch erreichen konnten, wenn sie nur einen oder zwei Aspre als Kaffeepreis ausgaben. Das ging so weit, daß alle Arten von arbeitslosen Beamten, Richtern und Professoren, die alle nach Beförderungen suchten, und Unbeschäftigte verkündeten, daß es keine vergleichbaren Orte für Vergnügen und Entspannung gäbe, und sie füllten sie, bis es keinen Platz mehr gab, um sich hinzusetzen oder aufzustehen. [3-4] Das wurde so wohlbekannt, daß neben den Inhabern hoher Ämter auch große Männer nicht anders konnten, als dorthin zu kommen. Imame, Muezzine und scheinheilige Fromme sagten: ›Die Leute eilen in die Cafés, und niemand kommt in die Moscheen‹, und die Ulema verkündeten ihrerseits: ›Das sind Häuser des schlechten Lebens; es ist besser, in eine Taverne zu gehen als dorthin‹. Die Prediger bemühten sich sehr, Cafés zu verbieten: Die Muftis argumentierten, daß alles, was bis zur Verkohlung verbrannt wird, also zu Kohle wird, illegal sei, und erließen Fatwas gegen das Café.« [3-5] Schams scheint nach nur drei Jahren Aufenthalt in Konstantinopel nach Syrien zurückgekehrt zu sein, allerdings mit einem Gewinn von 5.000 Goldmünzen. [3-5]

Murad III.

Nach Suleiman dem Prächtigen wurde Selim II., Sultan von 1566 bis 1574, Herrscher über das Osmanische Reich. Im folgte Murad III. [4]

Unter Murad III., Sultan von 1574 bis 1595, [4] gab es zwar Verbote und Kaffeehäuser wurden geschlossen, aber einige Personen, die Kontakt zum Polizeichef und zum Kommandanten der Wache aufgenommen hatten, erhielten dennoch eine Erlaubnis, in engen, unauffälligen Läden in Hinterhöfen Kaffee verkaufen zu dürfen. Kaffeekonsum war nur noch innerhalb der Familien erlaubt. [3-6] [5-64]

Bostanzade Mehmed Efendi, erster Mufti von 1589 bis 1592 und von 1593 bis 1598, gab seine Zustimmung zum Kaffeekonsum, doch andere Ulema blieben ablehnend. In Kaffeehäusern wurden Regierungsgeschäfte kritisch kommentiert; die Behörden waren dadurch alarmiert, und gaben Dekrete gegen Kaffeehäuser aus; diese zeigten jedoch wenig Wirkung. [3-7]

Kaffee war schließlich so verbreitet, daß sein Verbot aufgehoben werden musste. Prediger und Muftis erklärten, daß der Kaffee nicht vollständig verkohlt sei und daß das Trinken von Kaffee daher nicht illegal sei. Jeder trank nun Kaffee, egal ob Ulema oder Scheich, Wesir und andere wichtige Persönlichkeiten. Großwesire investierten sogar in große Kaffeehäuser und vermieteten sie für ein bis zwei Goldstücke pro Tag. [3-8]

Murad IV., Ibrahim I. und Mehmed IV.

Zwischen Murad III. und Murad IV., Sultan von 1623 bis 1640, gab es fünf weitere Sultane, [4] und nicht allen osmanischen Herrschern gefiel der Kaffeekonsum. Der Historiograph Na’imâ berichtete, daß es aufgrund des großen Brandes von Konstantinopel, der im Jahr 1633 die Stadt verwüstete, zu Unzufriedenheit in der Bevölkerung kam und diese in Kaffeehäusern lautstark geäußert wurde. Murad IV. verbot deshalb Kaffee und Tabak. [3-10] Zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts führte Kaffee in Kairo zu ähnlichen Unruhen. [5-64] Auch unter seinem Nachfolger Ibrahim I., Sultan von 1640 bis 1648, blieben Kaffeehäuser in allen Städten des Landes verboten. Erst unter dessen Nachfolger Mehmed IV., Sultan von 1648 bis 1687, wurden sie wieder eröffnet. [3-10] [4]

Osmanische Kaffeehäuser

Kaffee wurde trotz aller Verbote zu einem festen Bestandteil der islamischen Kultur. Es gab im Osmanischen Reich auch Kaffeehäuser. Diese waren aber nicht einfach nur eine Räumlichkeit, in der man Kaffee trank, sondern sie waren eine politische Institution. Man traf sich dort, um miteinander zu diskutieren, und man kritisierte den Sultan und die Obrigkeit. So wundert es nicht, daß Kaffeehäuser überwacht wurden. [1] [5-64]

Ein französisches Lexikon berichtete im Jahr 1803: »In Persien wurden diese Häuser, wie bei uns [in Frankreich], zu einem ehrenvollen Asyl für Müßiggänger und zu einem Ort der Entspannung für beschäftigte Männer.  Politiker unterhielten sich dort über Neuigkeiten, Dichter trugen ihre Verse vor und Mullahs hielten ihre Predigten.« [5-64]

Anonymus: Nouveau dictionnaire d'histoire naturelle. Band IV, 1803, Seite 64.
Anonymus: Nouveau dictionnaire d’histoire naturelle. Band IV, 1803, Seite 64. [5-64]

– »En Perse, ces maisons devinrent, comme chez nous, un asyle honnête pour des gens oisifs, et un lieu de délassement pour les hommes occupés. Les politiques s’y entretenoient de nouvelles, les poètes y récitoient leurs vers, et les mollachs leurs sermons.« [5-64]

Was europäische Reisende aus dem Osmanischen Reich berichteten

Auch in Europa nahm man vom osmanischen Kaffeekonsum Notiz. Im 17. Jahrhundert berichteten europäische Reisende darüber. Pietro della Valle schrieb um 1614: »Die Türken haben auch ein anderes Getränk, dessen Farbe schwarz ist, und im Sommer ist es sehr erfrischend, während es im Winter sehr heiß ist, … und man trinkt es in langen Zügen, nicht vor dem Essen, sondern danach, als eine Art Süßigkeit, und in Schlucken, um sich in der Gesellschaft von Freunden bequem zu unterhalten … . Dieses Getränk, … und die Frucht, die er hervorbringt, heißt Cahvé, … .« [3-9] Jean Thevenot schrieb im Jahr 1664: »Aber sie haben noch ein anderes [Getränk], das ihnen sehr gewöhnlich ist. Sie nennen es Cahvé und verwenden es zu allen Stunden des Tages … ; manche mischen Nelken und einige Kardamonkörner … hinein, andere fügen Zucker hinzu … . Es gibt keinen Armen oder Reichen, der nicht mindestens zwei oder drei Tassen am Tag trinkt, und es ist eines der Dinge, zu denen der Ehemann verpflichtet ist, seine Frau zu versorgen… .« [3-9]

1803 berichtete ein französisches Lexikon: »Die Orientalen trinken den ganzen Tag über Kaffee, bis zu drei oder vier Unzen pro Tag: Sie machen ihn dickflüssig und trinken ihn heiß in kleinen Tassen, ohne Milch und Zucker, dafür aber mit Nelken, Zimt, Kümmel oder Essence d’Ambre aromatisiert.« [5-76]

Anonymus: Nouveau dictionnaire d'histoire naturelle. Band IV, 1803, Seite 76.
Anonymus: Nouveau dictionnaire d’histoire naturelle. Band IV, 1803, Seite 76. [5-76]

»Les Orientaux prennent du café tonte la journée , et jusqu’à trois ou quatre onces par jour: ils le font épais, et le boivent chaud dans de petites tasses, sans lait ni sucre, mais parfumé avec des clous de girofle, de la cannelle, des grains de cumin ou de l’essence d’ambre.« [5-76]

Die osmanische Kaffeehauskultur gelangte nach Frankreich, und Hanna Diyāb berichtet in seinem bisher weitgehend unbeachteten Reisebericht darüber. Deshalb soll der nächste Beitrag dieser Serie seinen Aussagen gewidmet sein.

Quellen
  1. https://www.swr.de/swr2/programm/download-swr-15678.pdf SWR2 Wissen. Kaffee – Vom „Türkentrunk“ zum Trendgetränk. Von Dimitrios Kisoudis. Sendung: Donnerstag, 29. September 2016, 08.30 Uhr. Produktion: SWR 2016.
  2. https://de.wikipedia.org/wiki/Sufismus Sufismus.
  3. https://books.openedition.org/iremam/1193  Robert Mantran: Le café à Istanbul au xviie siècle. In: Le café en Méditerranée. Histoire, anthropologie, économie. XVIIIe-XXe siècle. Seite 17-30.
  4. https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Sultane_des_Osmanischen_Reichs Liste der Sultane des Osmanischen Reichs.
  5. https://archive.org/details/nouveaudictionna41803/page/64/mode/2up?q=%22etienne+d%27Alep%22 Anonymus: Nouveau dictionnaire d’histoire naturelle appliquée aux arts, principalement à l’agriculture et à l’économie rurale et domestique. Band IV. Paris, 1803

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Hallo, ich bin Armin, und in meiner Freizeit als Blogger, freier Journalist und Bildungstrinker möchte ich die Barkultur fördern. Mein Schwerpunkt liegt auf der Recherche zur Geschichte der Mischgetränke. Falls ich einmal eine Dir bekannte Quelle nicht berücksichtigt habe, und Du der Meinung bist, diese müsse berücksichtigt werden, freue ich mich schon darauf, diese von Dir zu erfahren, um etwas Neues zu lernen.

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