Nachdem wir uns nun näher mit der Ankunft des Kaffees in Paris und Europa beschäftigt haben, wenden wir uns im nächsten Teil dieser Serie den französischen Kaffeehäusern und ihrer gesellschaftlichen Bedeutung zu.
Kaffeehäuser in Paris
Es wird nun also Zeit, sich eingehender mit den Kaffeehäusern zu beschäftigen, denn ihnen kam eine wichtige Rolle zu. Über die Anfänge hatten wir bereits kurz gesprochen. Die ersten Kaffeehäuser wurden ab der Mitte des 17. Jahrhunderts in Europa eröffnet, und sie verbreiteten sich schnell.
Im Jahr 1700 soll es in England bereits rund 500 Kaffeehäuser gegeben haben. [12][13] Um 1715 gab es in Paris rund 300 Kaffeehäuser. [10-115][11-363] Unter Ludwig XV., der von 1715 bis 1774 König von Frankreich war, [8] stieg ihre Zahl auf rund 600. Ende des 18. Jahrhunderts waren es über 800. Um 1800 erfand der Pariser Erzbischof Jean-Baptiste de Belloy die erste Kaffeemaschine mit Perkolationssystem, ›La Débelloire‹ genannt, und die Zahl der Kaffeehäuser stieg weiter. Um 1830 waren es bereits mehr als 3000. [7][9-94][15-35][19]
Es wird geschrieben, dass die ersten Kaffeehäuser im wesentlichen Kaffeehäuser im orientalischen Stil gewesen sein sollen, die sich an die ärmeren Bevölkerungsschichten und an Ausländer wandten. Edelleute hätten sich dort nicht blicken lassen. Dies habe sich erst geändert, als französische Kaufleute geräumige, elegante, mit Wandteppichen, großen Spiegeln, Bildern, Marmortischen, Kerzenständern und prächtigen Lüstern geschmückte Appartements eingerichtet hätten, in denen man Kaffee, Tee, Schokolade und andere Erfrischungen servierte. [9-93] Lassen wir diese Aussage einmal so stehen. Doch wir haben unsere Zweifel daran. Es scheint eher so gewesen zu sein, dass auch der Adel und reiche Bürgerliche von Anfang an die Kaffeehäuser besuchten, und sie keineswegs nur Spelunken für die Unterschicht waren – dazu war Kaffee auch viel zu teuer. Mag sich ein jeder seine eigene Meinung dazu bilden.
Und so wundert es nicht, wenn andere Autoren eine andere Ansicht vertreten. Die Frage nach der sozialen Herkunft der Besucher eines Kaffeehauses läßt sich nämlich schwer beantworten, denn die erhaltenen Quellen machen keine Angaben. Das Publikum auf den Promenaden und in den Cafés war gemischt. Man fand Angehörige des Hochadels und Tagelöhner. Vermutlich stellten Handwerksmeister, Ladenbesitzer und Angehörige der Elite die Hälfte der Besucher eines Kaffeehauses. Soldaten, Dienerschaft und Tagelöhner machten jeweils rund 10 Prozent aus. Die täglich erscheinenden Diskutanten der Promenaden waren oft Personen, die von ihrem Vermögen ein bescheidenes Leben führen konnten, beispielsweise ehemalige Offiziere oder Büroangestellte. Hinzu kamen kleine Handwerker oder Arbeiter. [10-115]
Im späten siebzehnten und frühen achtzehnten Jahrhundert war das Pariser Café wirklich nur ein Kaffeehaus; als aber die Gäste begannen, dort mehr und mehr Zeit zu verbringen, boten die Besitzer auch andere Getränke und Speisen an, um ihre Gäste zu halten. [9-102]
Es wurden in den Kaffeehäusern nicht nur neue Getränke aus Übersee ausgeschenkt, sondern auch Liköre, Branntwein und Bier. Man war dort häufiger betrunken als in Weinkneipen. Im Winter boten die gut beheizten Kaffeehäuser, die auch Mahlzeiten anboten, eine Möglichkeit, sich dort den ganzen Tag aufzuhalten. [10-115]
Um den Aufenthalt noch attraktiver zu gestalten, entstanden schließlich in Frankreich auch sogenannte ›cafés concerts‹, in denen Unterhaltung in Form von Liedern, Monologen, Tänzen, kleinen Theaterstücken und Possen für das Mittel- und Kleinbürgertum dargeboten wurde. Sie waren so etwas wie Volksvarietés mit gastronomischer Betreuung. Die Darbietungen waren kostenlos, für Essen und Getränke mußte man bezahlen. Die ersten ›cafés concerts‹ entstanden am Anfang des 19. Jahrhunderts in Lyon und Marseille, waren sehr erfolgreich, und verbreiteten sich schnell über das Land. Im Jahr 1850 gab es allein in Paris rund 200 davon. Viele dieser Cafés befanden sich unter freiem Himmel entlang der Champs-Élysées. [4][9-98]
Einige Kaffeehäuser waren besonders beliebt und berühmt. Beispielhaft wollen wir auf zwei davon kurz eingehen: das ›Café Procope‹ und das ›Café de la Régence‹.
Das ›Café Procope‹
Der Edelmann Procopio dei Coltelli, in Frankreich auch François Procope genannt, kam aus Florenz oder Palermo nach Paris. [6][9-93]
Bevor er sein Kaffeehaus eröffnete, verkaufte auch François Procope auf dem Jahrmarkt von Saint-Germain Kaffee und begeisterte die beste Gesellschaft durch die gute Qualität. [15-30][15-31] Er verließ den Jahrmarkt, um in der Rue de Touron ein Geschäft zu eröffnen. [16-90]
Er verheiratete sich in Paris im Jahr 1675 und wurde in den Registern bereits als Ladenbesitzer geführt. Im Jahr 1676, vor seiner Einbürgerung, wurde er in Paris einer der Limonadiers und Destillateure. [16-90]
Ein Limonadier war ursprünglich ein Hersteller von Limonade, im weiteren Sinne auch ein Verkäufer von Limonade und anderen Getränken, insbesondere auch von alkoholischen Getränken. [20] In den Taufeinträgen seiner Töchter wird er im Jahr 1677 als Destillateur eingetragen, in den Jahren 1677 und 1678 als Destillateurmeister. [16-90]
Im Jahr 1686 zog er in die Rue des Fossés-Saint-Germain und gründete das Geschäft, das in den folgenden Jahrhunderten als ›Café Procope‹ berühmt werden sollte. [6][16-90] Manche sagen, dies sei im Jahr 1689 geschehen. [9-93][15-30][15-31][17-56]
Als Limonadier besaß er eine königliche Lizenz für den Verkauf von Gewürzen, Eis, Limonade und anderen Erfrischungsgetränken. Er schenkte auch Kaffee aus. Sein Kaffeehaus zog eine große und angesehene Kundschaft an. Es hatte großen Erfolg und führte auch dazu, dass sich Kaffeehäuser in Paris als eine Institution etablieren konnten. Als Destillateur servierte er nicht nur Liköre, sondern auch andere alkoholische Getränke, darunter auch Weine. Es gab nicht nur kandierte Früchte, sondern auch eine weitere Neuheit: Eiscreme. Es gab eine Vielzahl an Frucht- und Blumeneiscremes, und man begründete damit das ›Eiscafé‹, das ›café glacier‹. Damen der Bourgeoisie fuhren nicht nur hier, sondern auch bei anderen berühmten Kaffeehäusern häufig mit Kutschen vor, um sich Kaffee auf einem silbernen Tablett bringen zu lassen. Das Café war nicht nur ein Künstlertreff, sondern auch eine Stätte politischen Austauschs. Aufgrund seiner Lage direkt gegenüber der ›Comédie Française‹ wurde das ›Café Procope‹ zum Treffpunkt vieler bekannter Schauspieler, Autoren, Dramatiker und Musiker des 18. Jahrhunderts. In ihm entwickelte sich die französische Aufklärung. Zu seinen Gästen zählten beispielsweise Voltaire, Jean-Jacques Rousseau, Denis Diderot, Pierre Augustin Caron de Beaumarchais, Honoré de Balzac und Victor Hugo. Das ›Café Procope‹ spielte auch in der Französischen Revolution eine Rolle. 1789 trafen sich dort Persönlichkeiten wie Jean Paul Marat, Maximilien de Robespierre, Georges Danton, Jacques-René Hébert und Camille Desmoulins an den Tischen bei Kaffee und stärkeren Getränken und diskutierten über die aktuelle Situation. Auch Napoleon Bonaparte war mit dabei. [6][9-94][9-98][15-30][15-31][15-33][16-90][16-91][17-56]
Das Palais Royal und das ›Café de la Régence‹
Das Palais Royal befindet sich etwa 150 Meter nördlich des Louvres. Die zum Palast gehörige Galerie de Bois wurde zwischen 1781 und 1784 rund um den Palastgarten erbaut und umfaßte etwa 60 Häuser mit Arkadengängen, die Wohnungen, Gastronomiebetriebe und Vergnügungseinrichtungen beherbergten. Dort konzentrierte sich das pariser Nachtleben und die Promenade war in ganz Europa berühmt, weil sich dort die schönsten Mädchen und Frauen aus allen Ständen prostituierten, und man auch auf Angehörige des Hochadels treffen konnte. Da die Anlage dem Herzog von Orléans gehörte, hatte die Polizei hatte dort keinen Zutritt, und so gab es dort eine gewisse Versammlungsfreiheit. [2]
Auch das ›Café de la Régence‹ befand sich dort und wurde bereits im Jahr 1681 unter dem Namen ›Café de la Place du Palais Royal‹ in Paris eröffnet. Seit 1740 diente es als Treffpunkt der Schachspieler von Paris, die sich zuvor im ›Café Procope‹ getroffen hatten. Vor allem wegen dieser Schachspieler erlangte das ›Café de la Régence‹ eine große Berühmtheit. [5][15-34][15-35] Schachspielen in einem Kaffeehaus war bereits in orientalischen Kaffeehäusern üblich gewesen. Neben Schach spielte man in Kaffeehäusern aber auch das zuvor dem Adel vorbehaltene Billiard. [4]
Das ›Café de la Régence‹ war ein Ort, an dem sich der Adel traf, nachdem er dem Regenten den Hof gemacht hatte. Auch viele andere bedeutende Persönlichkeiten trafen sich dort. [9-96] Beispielhaft sei nur Diderot genannt, der von seiner Frau jeden Tag neun Sous erhielt, um dort Kaffee zu trinken. Hier arbeitete er auch an seiner Encyclopedia. [9-98]
Doch nicht nur das ›Café de la Régence‹, sondern auch viele andere Kaffeehäuser lagen direkt am, besser müßte man sagen: im Palais Royal, »in jenem schönen Garten, der auf drei Seiten von drei Galerien umgeben ist« – »that garden spot of beauty, enclosed on three sides by three tiers of galleries«, umgeben von zahlreichen anderen Geschäften, [9-96] denn das Palais Royal war ein beliebter Treffpunkt der Gesellschaft.
Einen ersten Eindruck über das Geschehen im Palace-Royal gibt uns Denis Diderot. Er beginnt seinen Roman ›Le Neveu de Rameau‹ (›Rameaus Neffe‹), der zwischen 1761 und 1774 entstand, [21] mit den Worten: »Es mag schön oder häßlich Wetter seyn, meine Gewohnheit bleibt auf jeden Fall um fünf Uhr Abends im Palais Royal spazieren zu gehen. Mich sieht man immer allein, nachdenklich auf der Bank d’Argenson. Ich unterhalte mich mit mir selbst von Politik, von Liebe, von Geschmack oder Philosophie, und überlasse meinen Geist seiner ganzen Leichtfertigkeit. Mag er doch die erste Idee verfolgen, die sich zeigt, sie sey weise oder thöricht. So sieht man in der Allée de foi unsre jungen Liederlichen einer Courtisane auf den Fersen folgen, die mit unverschämtem Wesen, lachendem Gesicht, lebhaften Augen, stumpfer Nase dahingeht; aber gleich verlassen sie diese um eine andre, necken sie sämmtlich und binden sich an keine. Meine Gedanken sind meine Dirnen. Wenn es gar zu kalt oder regnicht ist, flüchte ich mich in den Caffé de la Régence und sehe zu meiner Unterhaltung den Schachspielern zu. Paris ist der Ort in der Welt, und der Caffé de la Régence der Ort in Paris, wo man das Spiel am besten spielt.«[22-3][22-4][22-5][23-1]
– »Qu’il fasse beau, qu’il fasse laid, c’est mon habitude d’aller sur les cinq heures du soir me promener au Palais-Royal. C’est moi qu’on voit toujours seul, rêvant sur le banc d’Argenson. Je m’entretiens avec moi-même de politique, d’amour, de goût ou de philosophie; j’abandonne mon esprit à tout son libertinage; je le laisse maître de suivre la première idée sage ou folle qui se présente, … comme on voit, dans l’allée de Foi, nos jeones dissolus marcher sur les pas d’une courtisane à l’air éventé, au visage riant, à l’œil vif, au nez retroussé, quitter celle-ci pour une autre, lés attaquant toutes et ne s’attachant à aucune. Mes pensées ce sont mes catins. Si le temps est trop froid ou trop pluvieux, je me réfugie au café de la Régence. Là, je m’amuse à voir jouer aux échecs. Paris est l’endroit du monde , et le café de la café de la Régence est l’endroit de Paris où l’on joue le mieux à ce jeu;«[23-1]
Auch zahlreiche Jahrzehnte später scheint die Situation im Palais Royal nicht viel anders gewesen zu sein. Ein Bericht über eine im Jahr 1825 unternommene Reise schildert die Situation im Palais Royal wie folgt: »Das Palais Royal wurde vom Cardinal Richelieu erbaut und dem König Ludwig XIV. geschenkt, der es dem Herzog Philipp von Orleans abgab, dessen Urenkel es noch besitzt. 3 Thore öffnen den Zugang; die Haupteinfahrt bildet den ersten, mit doppelter Wache besetzten Hof; durch den Bogen des Palastes des Herzogs gelangt man in den 2ten Hof, und durch die hölzernen Boutiken (galerie des bois) in den großen Garten. Dies ist kein Garten im eigentlichen Sinne des Wortes, sondern ein längliches Viereck von wenigen Morgen, mit einigen verkrüppelten Bäumen und Gesträuchen, aber durch die Umgebung merkwürdig und daher Versammlungsort aller Müßiggänger; denn auf 3 Seiten derselben laufen unter dem Palast vergitterte Bogengänge herum, hinter denen die Kaufladen und Kaffeehäuser sich befinden, die besonders des Abends bei Erleuchtung den bezauberndsten Anblick gewähren. Die Fülle und Mannichfaltigkeit dessen was hier zum Kauf ausgestellt ist, gewährt Fremden und Einheimischen die angenehmste Unterhaltung; aber da es nun einmal zum Ton gehört, hier zu kaufen, so bezahlt man auch für Alles die höchsten Preise. Uebrigens wechseln auch hier die Scenen nach den Tageszeiten. Schon früh, d. i. im Sommer um 8 Uhr, werden manche Laden geöffnet, die Obsthändlerinnen stellen die reiche Fülle ihrer köstlichen Früchte zierlich auf; die Kleinhändler, Geldwechsler, Quacksalber und Pomadiers breiten ihre Waaren auf Tischen aus, und die Aufwärter in den Arkaden schaffen die schmutzigen Überreste des vorigen Tages bei Seite. Schneider und Schuhmacherladen zeichnen sich besonders durch die große und schön geordnete Zahl der Producte ihres Kunstfleißes aus; dort hängen Röcke, Westen und Beinkleider in einander geknöpft über einander; hier schwimmen Stiefeln und Schuhe in großen, mit Wasser gefüllten Krystallvasen, um ihre dem Wasser unangreifbare Eigenschaft zu bewähren; auch Hüte und Mützen in Krystalleimern zeigen ihre Wasserdichtheit. Zahnärzte paradieren mit reihenweise und auf schwarzen Sammt gehefteten Zähnen aller Arten; Hühneraugenoperateure mit den von ihnen ausgezogenen Hühneraugen, die auf weißem Atlasgrund kunstvoll und draperienartig ausgestellt sind &c. Nach 10 Uhr füllen sich die Cafés mit Einheimischen und Fremden; man liest, hört und verkündigt die Tagesneuigkeiten. Einen kleinen Schrecken verursacht manchem, an dem Springbrunnen im Garten Spazierenden oder Sitzenden der kleine Böller, der auf dem säulenartigen Fußgestelle an der einen Seite des, die Mitte des Gartens ausfüllenden großen Blumenbeets aufgerichtet ist. Um 12 Uhr fällt der Strahl der Sonne auf ein über dem Zündloch des Böllers angebrachtes Brennglas, und bezeichnet so durch das Abfeuern der kleinen Lärmkanone die Mittagsstunde. Die Zeit des Diner gegen 5 Uhr führt große Menschenmassen ab und zu, da man bei den Restaurateurs um den höchsten und niedrigsten Preis speisen kann. Mehr noch füllen sich die Räume nach der meist kurzen Mahlzeit, wo Jedermann, besonders in der schönen Rotonda (einem freundlichen, von allen Seiten offenen Pavillion), seine Demitasse und sein Gläschen Liqueur, chasse-café genannt, einnimmt. Am lebhaftesten wird das Palais, wenn am Abend Alles erleuchtet ist und die Schauspiele geendet sind. Dann drängen sich Menschen aller Stände und Alter umher, und die vornehmern und mittlern Classen der Buhldirnen, von denen viele die obern Zimmer und Dachstuben bewohnen, treiben dann ihr Unwesem. Um Mitternacht werden die Thüren der eisernen Gitter geschlossen, welche gegen den Garten zu die Arkaden verbinden, und nun verliert sich allmählig das unruhige Umherwogen.«[1-90][1-91][1-92]
Hier taucht nun in unserem Bericht das erste mal ein Begriff auf, den wir später noch genauer zu untersuchen haben: Der Chasse-Café. Doch darüber später mehr.
Da das Palais Royal dem Herzog von Orléans gehörte, hatte die Polizei dort keinen Zutritt, und so gab es dort eine gewisse Versammlungsfreiheit. [2]
Wir mögen überrascht sein, dass Prostitution so allgegenwärtig war; aber wie wir den ›Briefen eines reisenden Franzosen‹ aus dem Jahr 1784 entnehmen können, war die Prostitution nicht nur in Paris allgegenwärtig, denn der Autor berichtet darin: »Shakespear hat es schon der hiesigen Polizey vorgeschlagen. Ich besinne mich nicht, in welchem Stücke seiner theatralischen Werke dieser Dichter einen Hurenwirth zu Wien sagen läßt, ›wenn die Polizey das Huren gänzlich abschaffen wollte, so müßte sie alle Mannsleuthe kastriren.‹«[27-160][28-293]
Da das Palais Royal ein zentraler Treffpunkt war, verwundert es nicht, dass dort am 13. Juli 1789, es mag auch schon am 11. oder 12. Juli gewesen sein, Camille Desmoulins, ein Führer der Französischen Revolution, zu bewaffnetem Widerstand aufrief. Er hielt damals im Palais Royal eine Rede, mit der er die Menge für sich gewann. Er forderte sie auf, ein Zeichen für die Freiheitskämpfer anzulegen, steckte dabei selber das Blatt eines Baumes an seinen Hut, und so entstand der Brauch, Kokaden zu tragen. [2][3][9-100] Er erweckte die Leidenschaft der Menge, so dass er und seine Zuhörer zum Ende seiner Rede auf ihrem Weg zur Revolution aus dem Café Foy, auch ein Café des Palais Royal, marschierten. Zwei Tage später war die Bastille gestürmt. [9-100]
Die Kaffeehäuser des Palais Royal waren auch in den Tagen vor und nach der Französischen Revolution ein Zentrum der Aktivitäten. Arthur Young, der im Juli 1789 in Paris weilte, berichtete: »Die Kaffeehäuser bieten noch eigenartigere und erstaunlichere Schauspiele; sie sind nicht nur drinnen überfüllt, sondern andere erwartungsvolle Menschenmassen stehen an den Türen und Fenstern und lauschen à gorge déployée gewissen Rednern, die von Stühlen oder Tischen zu ihrer jeweils kleinen Hörerschaft eine Ansprache halten; man kann sich nicht leicht vorstellen, mit welchem Eifer ihnen zugehört wird und welchen Beifallsdonner sie für jeden Gedanken von mehr als gewöhnlicher Härte oder Gewalt gegen die Regierung erhalten.«[9-100]
– »The coffee houses present yet more singular and astounding spectacles; they are not only crowded within, but other expectant crowds are at the doors and windows, listening à gorge déployée to certain orators who from chairs or tables harangue each his little audience; the eagerness with which they are heard, and the thunder of applause they receive for every sentiment of more than common hardiness or violence against the government, cannot easily be imagined.«[9-100]
Die Rolle der Kaffeehäuser
Wie wir an den bisher genannten Beispielen ersehen können, spielten Kaffeehäuser eine gewichtige politische Rolle.
Die Kaffeehäuser in Paris bedienten von Anfang an alle Gesellschaftsschichten; diese Gepflogenheit behielten sie im Gegensatz zu den londoner Kaffeehäusern bei. [9-100] Sie übernahmen eine wichtige gesellschaftliche Funktion. Es ist ihnen »als besonderes Verdienst anzurechnen, dass sie das Wissen popularisierten und Gastlichkeit mit aufklärerischem Nutzen verbanden. Durch die Erfindung der Zeitung sowie die Etablierung der Post sind sie die Wiege der heutigen Printmedien. Die Möglichkeit des öffentlichen, mehr oder weniger gelehrten Diskurses trat aus den höfischen Zirkeln heraus, die ihn bis dahin ausschließlich kultiviert hatten, und wurde auch für Bürger möglich. Dazu gehört auch die Entstehung eines neutralen öffentlichen Ortes, der als Treffpunkt fungieren konnte … . Ohne diese Voraussetzungen sind wohl weder die Lesemanie des Biedermeier noch die neu aufkommende Briefkultur denkbar. Auch bildeten die Coffee houses den Anstoß für die Lesegesellschaften des 18. und 19. Jahrhunderts, die sich der Förderung von Tugend und Geschmack verschrieben.« [4]
Wie schon lange zuvor im Osmanischen Reich galten Kaffeehäuser als Orte des Aufruhrs. So schrieb Jean-Baptiste Colbert, Marquis de Seignelay, [16-91][24] am 27. Dezember 1685 an Gabriel Nicolas de la Reynie, den Generalleutnant der französischen Polizei: [16-91][25]»Am 27. Dezember. Der König wurde darüber informiert, daß an mehreren Orten in Paris, an denen man Kaffee zu trinken gibt, Versammlungen aller Arten von Menschen, insbesondere von Fremden, stattfinden. Daraufhin hat S. M. mir befohlen, Ihnen zu schreiben, daß Sie mir ein Verzeichnis all derer schicken sollen, die ihn verkaufen, und Sie zu fragen, ob Sie nicht glauben, daß es angebracht wäre, sie in Zukunft daran zu hindern.« [26-575]
– »Le 27 décembre. Le roy a esté informé que dans plusieurs endroits de Paris où l’on donne à boire du caffé, il se fait des assemblées de toute sorte de gens, et particulièrement d’estrangers. Sur quoy S. M. m’ordonne de vous escrire de m’envoyer un mémoire de tous ceux qui en vendent, et de vous demander si vous ne croiriez pas qu’il fust à propos de les empescher à l’advenir.« [26-575]
Ludwig XIV. sah sich also mit denselben Problemen konfrontiert, wie zuvor der Osmanische Sultan oder auch der englische König Charles II. Auch dessen Untertanen versammelten sich in den Kaffeehäusern und diskutierten über Politik und Regierung, und deren Besucher waren Personen, »die verschiedene falsche, bösartige und skandalöse Berichte erfunden und verbreitet haben«. [18-48]
– »who devised and spread abroad diverse false, malicious, and scandalous reports« [18-48]
Man traf sich, um »zu diskutieren, zu theoretisieren und allgemein zu klatschen«, [17-57]
– »for discussing, theorizing, and general wagging of tongue,« [17-57]
und die Kaffeehäuser waren „Brutstätten aufrührerischer Gespräche und verleumderischer Angriffe auf Personen in hohen Positionen.“ [17-57]
– »hot-beds of seditious talk and slanderous attacks upon persons in high stations.« [17-57]
Im Jahr 1676 wurden in England Kaffeehäuser deshalb verboten; [14-65][16-89] doch mußte man sie wieder zulassen, mit der Auflage, zu verhindern, dass »alle skandalösen Zeitungen, Bücher und Verleumdungen darin gelesen werden; und jede Person daran zu hindern, skandalöse Berichte gegen die Regierung zu verbreiten.« [18-48][18-49]
– »all scandalous papers, books, and libels from being read in them ; and to hinder every person from spreading scandalous reports against the Government.« [18-48][18-49]
Auch In Deutschland waren Kaffeehäuser anscheinend immer wieder ein Ort der Störungen. In den Ordinari-Münchner-Zeitungen steht am 31. August 1761: »Um allen Unfug und Aergernissen vorzubeugen, ist durch ein öffentliches Edict befohlen worden, hinkünftig kein Caffeehaus länger als bis 4. Uhr des Nachts offen zu halten.« [30-556]
Kultur der Neuigkeiten
Von Anfang an waren Kaffeehäuser Nachrichtenbörsen und verschiedenste Zeitungen waren dort lesbar. Deshalb wundert es nicht, dass sie von der Polizei beobachtet wurden. [10-115]
Die pariser Geheimpolizei hatte ihre Spitzel in den Kaffehäusern, und täglich wurden Berichte verfaßt. Davon haben sich einige erhalten; für die Jahre zwischen 1724 und 1745 sind sie fast vollständig. [10-111][10-112] Kritik am und Spott über den König wurden alltäglich ausgesprochen, und häufig schritt die Polizei ein. [10-77] Kaffeehausgespräche wurden überwacht, aber es kam nur selten zu Sanktionen. Im Jahr 1749, in einem Verfahren gegen François Philippe Mellin de Saint-Hilaire entschuldigte sich der Angeklagte und sagte, »seine Worte wären zwar ein Fehler gewesen, aber kein Staatsverbrechen, eben weil sie in der Atmosphäre des Café Procope geäußert wurden, wo ein jeder so rede.« [10-77] Die Reden wurden von der Polizei geduldet, außer in schweren Fällen wie Mord- und Komplottphantasien oder bei Äußerungen, die einen zu großen Aufruhr schürten. Wo genau die Toleranzgrenze der Polizei lag, läßt sich jedoch schwer definieren. [10-77]
Lassen wir Jens Ivo Engels zu Wort kommen, der die Situation in Paris treffend als eine ›Kultur der Neuigkeiten‹ beschreibt: »Die Diskussionsbeiträge zum König waren Teil einer regelrechten Kultur des städtischen Meinungsaustausches. Wohl kann man darin den Ausdruck einer politischen Öffentlichkeit sehen. Aber er war nicht auf Politik beschränkt. Begreifen wir ihn lieber in seiner umfassenden Art als Geselligkeitsform und Gestaltung von Mußestunden. Das Ziel der Gesprächspartner war es weniger, Politik zu machen, als vielmehr Zerstreuung zu finden. Reden über den König oder den Krieg war eingebettet in verschiedene Handlungen vom Genuß der modischen Getränke wie Kaffee oder Likör bis hin zu galanten Spaziergängen unter schattigen Bäumen. Eine Neuigkeit zu wissen, sei es über den König oder die Opernskandale, diente offenbar ebenso wie ein eleganter Auftritt dazu, das Ansehen ihres Überbringers zu erhöhen, um den sich ein Kreis aufmerksamer Zuhörer scharte. So boten die Nachrichten, das Trinken und Wandeln vor allem auch eine Bühne, um Identität oder soziale Beziehungen zu schaffen und zu ›feiern‹« [10-112][10-113] – »Die wichtigsten Orte der Nachrichtenkultur in Paris waren Kaffeehäuser und die sogenannten Promenaden in den Gärten der Tuilerien, des Palais-Royal, des Palais du Luxembourg und die Wandelgänge des Parlement auf der île de la Cité. Die Promenaden boten ein vielfältiges Vergnügungs- und Konsumangebot. Es gab Händler mit Schmuck, modischen Accessoires, getrockneten Früchten, Bier und anderen Spezialitäten. Hier fand sich die feine und auch die weniger feine Gesellschaft ein, um sich und ihre Kleider zu präsentieren, zu speisen, Karten oder Boule zu spielen, zu singen, Bücher zu kaufen und zu lesen, mit Fremden und Bekannten zu scherzen, Galanterien auszutauschen, Kurtisanen zu erobern, kleinen Wanderbühnen und Schaustellern zuzuschauen oder Neuigkeiten zu erfahren. Es entstanden mitunter feste Diskussionsgruppen, die sich regelmäßig versammelten und oft thematisch spezialisiert waren. Im Palais-Royal etwa traf man die ›Politischen‹ unter einem großen Baum an. Da die Stadt Paris trotz ihrer Größe immer noch relativ überschaubar war, gab es wohl keine echte Anonymität.« [10-114]
Die ›Kultur der Neuigkeiten‹ trug sicherlich wesentlich zum Erfolg der Kaffeehäuser bei. So sieht es auch die 1832 in Paris erschienene Monographie über den Kaffee: »Nach dem Beispiel von Étienne d’Alep waren die Schänken, in denen Kaffee ausgeschenkt wurde, wie ein zeitgenössischer Autor es ausdrückte, mit Marmortischen, Spiegeln und Kristallleuchtern prächtig ausgestattete Räume, in denen sich viele ehrliche Leute aus der Stadt versammelten, weniger um Kaffee zu trinken, als um die Nachrichten des Tages zu erfahren. Wir möchten hier daran erinnern, daß die Veröffentlichung von Gazetten oder Zeitungen auf die Einführung des Kaffees in Frankreich zurückgeht.« [15-32][15-33]
– »D’apres I’exemple qu’avait donné Étienne d’Alep, les cabarets dans lesquels on donnait à boire le Café, étaient, suivant I’expression d’un auteur de ce temps, des rêduits magnifiquement parés de tables de marbre, de miroirs et de lustres de cristal, où quantité d’honnètes gens de la ville s’assemblaient, moins pour y prendre du Café, que pour y apprendre les nouvelles du jour. Nous rappellerons ici que c’est de I’introduction du Café en France que date la publication des gazettes ou journaux.« [15-32][15-33]
Johann Kaspar Riesbeck, in Höchst am Main im Jahr 1754 geboren, lebte von 1775 bis 1777 in Wien, ließ sich im Jahr 1780 in Zürich nieder, und war Redakteur der gerade gegründeten Zürcher Zeitung. [27-4] Im Jahr 1783 veröffentlichte er die »Briefe eines Reisenden Franzosen über Deutschland. An seinen Bruder zu Paris. Uebersetzt von K. R. Riesbeck«. Das Werk basiert auf seinen eigenen Erfahrungen, die er in seinen Wanderjahren zwischen 1770 und 1780 gemacht hatte, er soll jedoch auch fremde Berichte eingearbeitet haben. Er gab an, die Briefe stammten von einem Franzosen, um so schriftstellerische Freiheiten zu erlangen, um die dort kursierenden freiheitlichen Ideen auf elegante Art mit einbeziehen zu können. [27-4][27-5][29] In seinen Briefen aus Wien beschreibt er, welchen Stellenwert das kultivierte Miteinander und die Kultur der Neuigkeiten, gepaart mit einer gewissen Freiheit der Gedanken, in Paris hatte und woran es den Wienern mangelte. Er bemerkt: »Aber so sehr nun auch für die Nahrung deines Leibes hier gesorgt ist, so sehr hungert es deiner Seele nach den freundschaftlichen Dines und Soupes zu Paris, die mehr zur Mittheilung der gegenseitigen Empfindungen und Beobachtungen, als zu Indigestionen [Verdauungsstörungen] und Blähungen angelegt sind.« [27-151][28-277]
Er fährt fort: »Ueberhaupt herscht hier im alltäglichen Umgang nichts von der Munterkeit, dem geistigen Vergnügen, der uneingeschränkten Gesälligkeit, der lebhaften und zum Interesse des Umganges unumgänglich nöthigen Neugierde, wodurch auch die Gesellschaften vom niedrigsten Rang zu Paris beseelt werden. Kein Mensch macht hier Beobachtungen über die Leuthe, die den Hof ausmachen. Niemand versieht das Publikum mit Anekdoten und Neuigkeiten du jour [Neuigkeiten des Tages]. Du findest unzälige Leuthe vom Mittelstand, die von ihren Ministern, Generälen und Gelehrten kein Wörtchen zu sagen wissen, und sie kaum dem Namen nach kennen. Alles hängt hier ganz an der Sinnlichkeit. Man frühstücket sich bis zum Mittagessen, speißt dann zu Mittag bis zum Nachtmal, und kaum wird dieser Zusammenhang von Schmäusen von einem trägen Spaziergang unterbrochen, und dann gehts in das Schauspiel. Gehst du den Tag über in ein Kafeehaus, deren es hier gegen 70 giebt, oder in ein Bierhaus, welche unter den öffentlichen Häusern die reinlichsten und prächtigsten sind – ich sah eines mit rothem Damast tapezierte, mit vergoldeten Rahmen, Uhren und Spiegeln à la grecque [Imitation im Stil der griechischen Antike], und mit Marmortischen – so siehst du halt das ewige Essen, Trinken und Spielen. Du bist sicher, daß dich kein Mensch ausforscht, oder dir mit Fragen lästig ist. Kein Mensch redet da, als nur mit deinen Bekannten, und gemeiniglich nur ins Ohr. Man sollte denken, es wäre hier wie zu Venedig, wo sich alle Leuthe in den öffentlichen Häusern für Spione halten.« [27-152][27-153][28-278][28-279][28-180]
Er bemerkt treffend: »Von unsrer Nation brauch‘ ich dir mehr nicht zu sagen, als daß die Freyheit zu denken bey uns von der Regierung viel weniger eingeschränkt wird, als in sehr vielen Staaten, die sich frey nennen, und auch viel weniger durch die Religion, als in manchen protestantischen Ländern.« [27-180][28-334][28-335]
Nicht nur den Kaffeehäusern kam eine wichtige gesellschaftliche Rolle zu, sondern auch dem Salon. Beide sind für die Geschichte des Pousse Cafés wichtig, weshalb sich der nächste Beitrag dieser Serie näher mit dem Entstehen und der Bedeutung des Salons beschäftigen wird.
https://archive.org/details/b21525420/page/28/mode/2up?q=%22%C3%89tienne+d%27alep%22 G.-E. Coubard d’Aulnay: Monographie du café, ou manuel de l’amateur de café, ouvrage contenant la description et la culture du cafier, l’histoire du café, ses caractères commerciaux, sa préparation et ses propriétés; orné d’une belle lithographie. Paris, 1832.
https://archive.org/details/fooddrinkinhisto00balt/page/86/mode/2up?q=%22%C3%89tienne+d%27alep%22 FALSCHER TITEL Anonymus: Annales d’hygiène publique et de médecine légale. Deuxième série. Tome XVII. Paris, 1862. RICHTIG IST: Jean Leclant: Caffee and Cafés in Paris, 1644-1693. In: Food and Drink in History. Selections from the Annales Economies, Sociétés, Civilisations. Volume 5. Edited by Robert Foster and Orest Ranum. Seite 86-97. Baltimore & London, 1979.
Nachdem wir uns nun näher mit der Ankunft des Kaffees in Paris und Europa beschäftigt haben, wenden wir uns im nächsten Teil dieser Serie den französischen Kaffeehäusern und ihrer gesellschaftlichen Bedeutung zu.
Kaffeehäuser in Paris
Es wird nun also Zeit, sich eingehender mit den Kaffeehäusern zu beschäftigen, denn ihnen kam eine wichtige Rolle zu. Über die Anfänge hatten wir bereits kurz gesprochen. Die ersten Kaffeehäuser wurden ab der Mitte des 17. Jahrhunderts in Europa eröffnet, und sie verbreiteten sich schnell.
Im Jahr 1700 soll es in England bereits rund 500 Kaffeehäuser gegeben haben. [12] [13] Um 1715 gab es in Paris rund 300 Kaffeehäuser. [10-115] [11-363] Unter Ludwig XV., der von 1715 bis 1774 König von Frankreich war, [8] stieg ihre Zahl auf rund 600. Ende des 18. Jahrhunderts waren es über 800. Um 1800 erfand der Pariser Erzbischof Jean-Baptiste de Belloy die erste Kaffeemaschine mit Perkolationssystem, ›La Débelloire‹ genannt, und die Zahl der Kaffeehäuser stieg weiter. Um 1830 waren es bereits mehr als 3000. [7] [9-94] [15-35] [19]
Es wird geschrieben, dass die ersten Kaffeehäuser im wesentlichen Kaffeehäuser im orientalischen Stil gewesen sein sollen, die sich an die ärmeren Bevölkerungsschichten und an Ausländer wandten. Edelleute hätten sich dort nicht blicken lassen. Dies habe sich erst geändert, als französische Kaufleute geräumige, elegante, mit Wandteppichen, großen Spiegeln, Bildern, Marmortischen, Kerzenständern und prächtigen Lüstern geschmückte Appartements eingerichtet hätten, in denen man Kaffee, Tee, Schokolade und andere Erfrischungen servierte. [9-93] Lassen wir diese Aussage einmal so stehen. Doch wir haben unsere Zweifel daran. Es scheint eher so gewesen zu sein, dass auch der Adel und reiche Bürgerliche von Anfang an die Kaffeehäuser besuchten, und sie keineswegs nur Spelunken für die Unterschicht waren – dazu war Kaffee auch viel zu teuer. Mag sich ein jeder seine eigene Meinung dazu bilden.
Und so wundert es nicht, wenn andere Autoren eine andere Ansicht vertreten. Die Frage nach der sozialen Herkunft der Besucher eines Kaffeehauses läßt sich nämlich schwer beantworten, denn die erhaltenen Quellen machen keine Angaben. Das Publikum auf den Promenaden und in den Cafés war gemischt. Man fand Angehörige des Hochadels und Tagelöhner. Vermutlich stellten Handwerksmeister, Ladenbesitzer und Angehörige der Elite die Hälfte der Besucher eines Kaffeehauses. Soldaten, Dienerschaft und Tagelöhner machten jeweils rund 10 Prozent aus. Die täglich erscheinenden Diskutanten der Promenaden waren oft Personen, die von ihrem Vermögen ein bescheidenes Leben führen konnten, beispielsweise ehemalige Offiziere oder Büroangestellte. Hinzu kamen kleine Handwerker oder Arbeiter. [10-115]
Im späten siebzehnten und frühen achtzehnten Jahrhundert war das Pariser Café wirklich nur ein Kaffeehaus; als aber die Gäste begannen, dort mehr und mehr Zeit zu verbringen, boten die Besitzer auch andere Getränke und Speisen an, um ihre Gäste zu halten. [9-102]
Es wurden in den Kaffeehäusern nicht nur neue Getränke aus Übersee ausgeschenkt, sondern auch Liköre, Branntwein und Bier. Man war dort häufiger betrunken als in Weinkneipen. Im Winter boten die gut beheizten Kaffeehäuser, die auch Mahlzeiten anboten, eine Möglichkeit, sich dort den ganzen Tag aufzuhalten. [10-115]
Um den Aufenthalt noch attraktiver zu gestalten, entstanden schließlich in Frankreich auch sogenannte ›cafés concerts‹, in denen Unterhaltung in Form von Liedern, Monologen, Tänzen, kleinen Theaterstücken und Possen für das Mittel- und Kleinbürgertum dargeboten wurde. Sie waren so etwas wie Volksvarietés mit gastronomischer Betreuung. Die Darbietungen waren kostenlos, für Essen und Getränke mußte man bezahlen. Die ersten ›cafés concerts‹ entstanden am Anfang des 19. Jahrhunderts in Lyon und Marseille, waren sehr erfolgreich, und verbreiteten sich schnell über das Land. Im Jahr 1850 gab es allein in Paris rund 200 davon. Viele dieser Cafés befanden sich unter freiem Himmel entlang der Champs-Élysées. [4] [9-98]
Einige Kaffeehäuser waren besonders beliebt und berühmt. Beispielhaft wollen wir auf zwei davon kurz eingehen: das ›Café Procope‹ und das ›Café de la Régence‹.
Das ›Café Procope‹
Der Edelmann Procopio dei Coltelli, in Frankreich auch François Procope genannt, kam aus Florenz oder Palermo nach Paris. [6] [9-93]
Bevor er sein Kaffeehaus eröffnete, verkaufte auch François Procope auf dem Jahrmarkt von Saint-Germain Kaffee und begeisterte die beste Gesellschaft durch die gute Qualität. [15-30] [15-31] Er verließ den Jahrmarkt, um in der Rue de Touron ein Geschäft zu eröffnen. [16-90]
Er verheiratete sich in Paris im Jahr 1675 und wurde in den Registern bereits als Ladenbesitzer geführt. Im Jahr 1676, vor seiner Einbürgerung, wurde er in Paris einer der Limonadiers und Destillateure. [16-90]
Ein Limonadier war ursprünglich ein Hersteller von Limonade, im weiteren Sinne auch ein Verkäufer von Limonade und anderen Getränken, insbesondere auch von alkoholischen Getränken. [20] In den Taufeinträgen seiner Töchter wird er im Jahr 1677 als Destillateur eingetragen, in den Jahren 1677 und 1678 als Destillateurmeister. [16-90]
Im Jahr 1686 zog er in die Rue des Fossés-Saint-Germain und gründete das Geschäft, das in den folgenden Jahrhunderten als ›Café Procope‹ berühmt werden sollte. [6] [16-90] Manche sagen, dies sei im Jahr 1689 geschehen. [9-93] [15-30] [15-31] [17-56]
Als Limonadier besaß er eine königliche Lizenz für den Verkauf von Gewürzen, Eis, Limonade und anderen Erfrischungsgetränken. Er schenkte auch Kaffee aus. Sein Kaffeehaus zog eine große und angesehene Kundschaft an. Es hatte großen Erfolg und führte auch dazu, dass sich Kaffeehäuser in Paris als eine Institution etablieren konnten. Als Destillateur servierte er nicht nur Liköre, sondern auch andere alkoholische Getränke, darunter auch Weine. Es gab nicht nur kandierte Früchte, sondern auch eine weitere Neuheit: Eiscreme. Es gab eine Vielzahl an Frucht- und Blumeneiscremes, und man begründete damit das ›Eiscafé‹, das ›café glacier‹. Damen der Bourgeoisie fuhren nicht nur hier, sondern auch bei anderen berühmten Kaffeehäusern häufig mit Kutschen vor, um sich Kaffee auf einem silbernen Tablett bringen zu lassen. Das Café war nicht nur ein Künstlertreff, sondern auch eine Stätte politischen Austauschs. Aufgrund seiner Lage direkt gegenüber der ›Comédie Française‹ wurde das ›Café Procope‹ zum Treffpunkt vieler bekannter Schauspieler, Autoren, Dramatiker und Musiker des 18. Jahrhunderts. In ihm entwickelte sich die französische Aufklärung. Zu seinen Gästen zählten beispielsweise Voltaire, Jean-Jacques Rousseau, Denis Diderot, Pierre Augustin Caron de Beaumarchais, Honoré de Balzac und Victor Hugo. Das ›Café Procope‹ spielte auch in der Französischen Revolution eine Rolle. 1789 trafen sich dort Persönlichkeiten wie Jean Paul Marat, Maximilien de Robespierre, Georges Danton, Jacques-René Hébert und Camille Desmoulins an den Tischen bei Kaffee und stärkeren Getränken und diskutierten über die aktuelle Situation. Auch Napoleon Bonaparte war mit dabei. [6] [9-94] [9-98] [15-30] [15-31] [15-33] [16-90] [16-91] [17-56]
Das Palais Royal und das ›Café de la Régence‹
Das Palais Royal befindet sich etwa 150 Meter nördlich des Louvres. Die zum Palast gehörige Galerie de Bois wurde zwischen 1781 und 1784 rund um den Palastgarten erbaut und umfaßte etwa 60 Häuser mit Arkadengängen, die Wohnungen, Gastronomiebetriebe und Vergnügungseinrichtungen beherbergten. Dort konzentrierte sich das pariser Nachtleben und die Promenade war in ganz Europa berühmt, weil sich dort die schönsten Mädchen und Frauen aus allen Ständen prostituierten, und man auch auf Angehörige des Hochadels treffen konnte. Da die Anlage dem Herzog von Orléans gehörte, hatte die Polizei hatte dort keinen Zutritt, und so gab es dort eine gewisse Versammlungsfreiheit. [2]
Auch das ›Café de la Régence‹ befand sich dort und wurde bereits im Jahr 1681 unter dem Namen ›Café de la Place du Palais Royal‹ in Paris eröffnet. Seit 1740 diente es als Treffpunkt der Schachspieler von Paris, die sich zuvor im ›Café Procope‹ getroffen hatten. Vor allem wegen dieser Schachspieler erlangte das ›Café de la Régence‹ eine große Berühmtheit. [5] [15-34] [15-35] Schachspielen in einem Kaffeehaus war bereits in orientalischen Kaffeehäusern üblich gewesen. Neben Schach spielte man in Kaffeehäusern aber auch das zuvor dem Adel vorbehaltene Billiard. [4]
Das ›Café de la Régence‹ war ein Ort, an dem sich der Adel traf, nachdem er dem Regenten den Hof gemacht hatte. Auch viele andere bedeutende Persönlichkeiten trafen sich dort. [9-96] Beispielhaft sei nur Diderot genannt, der von seiner Frau jeden Tag neun Sous erhielt, um dort Kaffee zu trinken. Hier arbeitete er auch an seiner Encyclopedia. [9-98]
Doch nicht nur das ›Café de la Régence‹, sondern auch viele andere Kaffeehäuser lagen direkt am, besser müßte man sagen: im Palais Royal, »in jenem schönen Garten, der auf drei Seiten von drei Galerien umgeben ist« – »that garden spot of beauty, enclosed on three sides by three tiers of galleries«, umgeben von zahlreichen anderen Geschäften, [9-96] denn das Palais Royal war ein beliebter Treffpunkt der Gesellschaft.
Einen ersten Eindruck über das Geschehen im Palace-Royal gibt uns Denis Diderot. Er beginnt seinen Roman ›Le Neveu de Rameau‹ (›Rameaus Neffe‹), der zwischen 1761 und 1774 entstand, [21] mit den Worten: »Es mag schön oder häßlich Wetter seyn, meine Gewohnheit bleibt auf jeden Fall um fünf Uhr Abends im Palais Royal spazieren zu gehen. Mich sieht man immer allein, nachdenklich auf der Bank d’Argenson. Ich unterhalte mich mit mir selbst von Politik, von Liebe, von Geschmack oder Philosophie, und überlasse meinen Geist seiner ganzen Leichtfertigkeit. Mag er doch die erste Idee verfolgen, die sich zeigt, sie sey weise oder thöricht. So sieht man in der Allée de foi unsre jungen Liederlichen einer Courtisane auf den Fersen folgen, die mit unverschämtem Wesen, lachendem Gesicht, lebhaften Augen, stumpfer Nase dahingeht; aber gleich verlassen sie diese um eine andre, necken sie sämmtlich und binden sich an keine. Meine Gedanken sind meine Dirnen. Wenn es gar zu kalt oder regnicht ist, flüchte ich mich in den Caffé de la Régence und sehe zu meiner Unterhaltung den Schachspielern zu. Paris ist der Ort in der Welt, und der Caffé de la Régence der Ort in Paris, wo man das Spiel am besten spielt.« [22-3] [22-4] [22-5] [23-1]
– »Qu’il fasse beau, qu’il fasse laid, c’est mon habitude d’aller sur les cinq heures du soir me promener au Palais-Royal. C’est moi qu’on voit toujours seul, rêvant sur le banc d’Argenson. Je m’entretiens avec moi-même de politique, d’amour, de goût ou de philosophie; j’abandonne mon esprit à tout son libertinage; je le laisse maître de suivre la première idée sage ou folle qui se présente, … comme on voit, dans l’allée de Foi, nos jeones dissolus marcher sur les pas d’une courtisane à l’air éventé, au visage riant, à l’œil vif, au nez retroussé, quitter celle-ci pour une autre, lés attaquant toutes et ne s’attachant à aucune. Mes pensées ce sont mes catins. Si le temps est trop froid ou trop pluvieux, je me réfugie au café de la Régence. Là, je m’amuse à voir jouer aux échecs. Paris est l’endroit du monde , et le café de la café de la Régence est l’endroit de Paris où l’on joue le mieux à ce jeu;« [23-1]
Auch zahlreiche Jahrzehnte später scheint die Situation im Palais Royal nicht viel anders gewesen zu sein. Ein Bericht über eine im Jahr 1825 unternommene Reise schildert die Situation im Palais Royal wie folgt: »Das Palais Royal wurde vom Cardinal Richelieu erbaut und dem König Ludwig XIV. geschenkt, der es dem Herzog Philipp von Orleans abgab, dessen Urenkel es noch besitzt. 3 Thore öffnen den Zugang; die Haupteinfahrt bildet den ersten, mit doppelter Wache besetzten Hof; durch den Bogen des Palastes des Herzogs gelangt man in den 2ten Hof, und durch die hölzernen Boutiken (galerie des bois) in den großen Garten. Dies ist kein Garten im eigentlichen Sinne des Wortes, sondern ein längliches Viereck von wenigen Morgen, mit einigen verkrüppelten Bäumen und Gesträuchen, aber durch die Umgebung merkwürdig und daher Versammlungsort aller Müßiggänger; denn auf 3 Seiten derselben laufen unter dem Palast vergitterte Bogengänge herum, hinter denen die Kaufladen und Kaffeehäuser sich befinden, die besonders des Abends bei Erleuchtung den bezauberndsten Anblick gewähren. Die Fülle und Mannichfaltigkeit dessen was hier zum Kauf ausgestellt ist, gewährt Fremden und Einheimischen die angenehmste Unterhaltung; aber da es nun einmal zum Ton gehört, hier zu kaufen, so bezahlt man auch für Alles die höchsten Preise. Uebrigens wechseln auch hier die Scenen nach den Tageszeiten. Schon früh, d. i. im Sommer um 8 Uhr, werden manche Laden geöffnet, die Obsthändlerinnen stellen die reiche Fülle ihrer köstlichen Früchte zierlich auf; die Kleinhändler, Geldwechsler, Quacksalber und Pomadiers breiten ihre Waaren auf Tischen aus, und die Aufwärter in den Arkaden schaffen die schmutzigen Überreste des vorigen Tages bei Seite. Schneider und Schuhmacherladen zeichnen sich besonders durch die große und schön geordnete Zahl der Producte ihres Kunstfleißes aus; dort hängen Röcke, Westen und Beinkleider in einander geknöpft über einander; hier schwimmen Stiefeln und Schuhe in großen, mit Wasser gefüllten Krystallvasen, um ihre dem Wasser unangreifbare Eigenschaft zu bewähren; auch Hüte und Mützen in Krystalleimern zeigen ihre Wasserdichtheit. Zahnärzte paradieren mit reihenweise und auf schwarzen Sammt gehefteten Zähnen aller Arten; Hühneraugenoperateure mit den von ihnen ausgezogenen Hühneraugen, die auf weißem Atlasgrund kunstvoll und draperienartig ausgestellt sind &c. Nach 10 Uhr füllen sich die Cafés mit Einheimischen und Fremden; man liest, hört und verkündigt die Tagesneuigkeiten. Einen kleinen Schrecken verursacht manchem, an dem Springbrunnen im Garten Spazierenden oder Sitzenden der kleine Böller, der auf dem säulenartigen Fußgestelle an der einen Seite des, die Mitte des Gartens ausfüllenden großen Blumenbeets aufgerichtet ist. Um 12 Uhr fällt der Strahl der Sonne auf ein über dem Zündloch des Böllers angebrachtes Brennglas, und bezeichnet so durch das Abfeuern der kleinen Lärmkanone die Mittagsstunde. Die Zeit des Diner gegen 5 Uhr führt große Menschenmassen ab und zu, da man bei den Restaurateurs um den höchsten und niedrigsten Preis speisen kann. Mehr noch füllen sich die Räume nach der meist kurzen Mahlzeit, wo Jedermann, besonders in der schönen Rotonda (einem freundlichen, von allen Seiten offenen Pavillion), seine Demitasse und sein Gläschen Liqueur, chasse-café genannt, einnimmt. Am lebhaftesten wird das Palais, wenn am Abend Alles erleuchtet ist und die Schauspiele geendet sind. Dann drängen sich Menschen aller Stände und Alter umher, und die vornehmern und mittlern Classen der Buhldirnen, von denen viele die obern Zimmer und Dachstuben bewohnen, treiben dann ihr Unwesem. Um Mitternacht werden die Thüren der eisernen Gitter geschlossen, welche gegen den Garten zu die Arkaden verbinden, und nun verliert sich allmählig das unruhige Umherwogen.« [1-90] [1-91] [1-92]
Hier taucht nun in unserem Bericht das erste mal ein Begriff auf, den wir später noch genauer zu untersuchen haben: Der Chasse-Café. Doch darüber später mehr.
Da das Palais Royal dem Herzog von Orléans gehörte, hatte die Polizei dort keinen Zutritt, und so gab es dort eine gewisse Versammlungsfreiheit. [2]
Wir mögen überrascht sein, dass Prostitution so allgegenwärtig war; aber wie wir den ›Briefen eines reisenden Franzosen‹ aus dem Jahr 1784 entnehmen können, war die Prostitution nicht nur in Paris allgegenwärtig, denn der Autor berichtet darin: »Shakespear hat es schon der hiesigen Polizey vorgeschlagen. Ich besinne mich nicht, in welchem Stücke seiner theatralischen Werke dieser Dichter einen Hurenwirth zu Wien sagen läßt, ›wenn die Polizey das Huren gänzlich abschaffen wollte, so müßte sie alle Mannsleuthe kastriren.‹« [27-160] [28-293]
Da das Palais Royal ein zentraler Treffpunkt war, verwundert es nicht, dass dort am 13. Juli 1789, es mag auch schon am 11. oder 12. Juli gewesen sein, Camille Desmoulins, ein Führer der Französischen Revolution, zu bewaffnetem Widerstand aufrief. Er hielt damals im Palais Royal eine Rede, mit der er die Menge für sich gewann. Er forderte sie auf, ein Zeichen für die Freiheitskämpfer anzulegen, steckte dabei selber das Blatt eines Baumes an seinen Hut, und so entstand der Brauch, Kokaden zu tragen. [2] [3] [9-100] Er erweckte die Leidenschaft der Menge, so dass er und seine Zuhörer zum Ende seiner Rede auf ihrem Weg zur Revolution aus dem Café Foy, auch ein Café des Palais Royal, marschierten. Zwei Tage später war die Bastille gestürmt. [9-100]
Die Kaffeehäuser des Palais Royal waren auch in den Tagen vor und nach der Französischen Revolution ein Zentrum der Aktivitäten. Arthur Young, der im Juli 1789 in Paris weilte, berichtete: »Die Kaffeehäuser bieten noch eigenartigere und erstaunlichere Schauspiele; sie sind nicht nur drinnen überfüllt, sondern andere erwartungsvolle Menschenmassen stehen an den Türen und Fenstern und lauschen à gorge déployée gewissen Rednern, die von Stühlen oder Tischen zu ihrer jeweils kleinen Hörerschaft eine Ansprache halten; man kann sich nicht leicht vorstellen, mit welchem Eifer ihnen zugehört wird und welchen Beifallsdonner sie für jeden Gedanken von mehr als gewöhnlicher Härte oder Gewalt gegen die Regierung erhalten.« [9-100]
– »The coffee houses present yet more singular and astounding spectacles; they are not only crowded within, but other expectant crowds are at the doors and windows, listening à gorge déployée to certain orators who from chairs or tables harangue each his little audience; the eagerness with which they are heard, and the thunder of applause they receive for every sentiment of more than common hardiness or violence against the government, cannot easily be imagined.« [9-100]
Die Rolle der Kaffeehäuser
Wie wir an den bisher genannten Beispielen ersehen können, spielten Kaffeehäuser eine gewichtige politische Rolle.
Die Kaffeehäuser in Paris bedienten von Anfang an alle Gesellschaftsschichten; diese Gepflogenheit behielten sie im Gegensatz zu den londoner Kaffeehäusern bei. [9-100] Sie übernahmen eine wichtige gesellschaftliche Funktion. Es ist ihnen »als besonderes Verdienst anzurechnen, dass sie das Wissen popularisierten und Gastlichkeit mit aufklärerischem Nutzen verbanden. Durch die Erfindung der Zeitung sowie die Etablierung der Post sind sie die Wiege der heutigen Printmedien. Die Möglichkeit des öffentlichen, mehr oder weniger gelehrten Diskurses trat aus den höfischen Zirkeln heraus, die ihn bis dahin ausschließlich kultiviert hatten, und wurde auch für Bürger möglich. Dazu gehört auch die Entstehung eines neutralen öffentlichen Ortes, der als Treffpunkt fungieren konnte … . Ohne diese Voraussetzungen sind wohl weder die Lesemanie des Biedermeier noch die neu aufkommende Briefkultur denkbar. Auch bildeten die Coffee houses den Anstoß für die Lesegesellschaften des 18. und 19. Jahrhunderts, die sich der Förderung von Tugend und Geschmack verschrieben.« [4]
Wie schon lange zuvor im Osmanischen Reich galten Kaffeehäuser als Orte des Aufruhrs. So schrieb Jean-Baptiste Colbert, Marquis de Seignelay, [16-91] [24] am 27. Dezember 1685 an Gabriel Nicolas de la Reynie, den Generalleutnant der französischen Polizei: [16-91] [25] »Am 27. Dezember. Der König wurde darüber informiert, daß an mehreren Orten in Paris, an denen man Kaffee zu trinken gibt, Versammlungen aller Arten von Menschen, insbesondere von Fremden, stattfinden. Daraufhin hat S. M. mir befohlen, Ihnen zu schreiben, daß Sie mir ein Verzeichnis all derer schicken sollen, die ihn verkaufen, und Sie zu fragen, ob Sie nicht glauben, daß es angebracht wäre, sie in Zukunft daran zu hindern.« [26-575]
– »Le 27 décembre. Le roy a esté informé que dans plusieurs endroits de Paris où l’on donne à boire du caffé, il se fait des assemblées de toute sorte de gens, et particulièrement d’estrangers. Sur quoy S. M. m’ordonne de vous escrire de m’envoyer un mémoire de tous ceux qui en vendent, et de vous demander si vous ne croiriez pas qu’il fust à propos de les empescher à l’advenir.« [26-575]
Ludwig XIV. sah sich also mit denselben Problemen konfrontiert, wie zuvor der Osmanische Sultan oder auch der englische König Charles II. Auch dessen Untertanen versammelten sich in den Kaffeehäusern und diskutierten über Politik und Regierung, und deren Besucher waren Personen, »die verschiedene falsche, bösartige und skandalöse Berichte erfunden und verbreitet haben«. [18-48]
– »who devised and spread abroad diverse false, malicious, and scandalous reports« [18-48]
Man traf sich, um »zu diskutieren, zu theoretisieren und allgemein zu klatschen«, [17-57]
– »for discussing, theorizing, and general wagging of tongue,« [17-57]
und die Kaffeehäuser waren „Brutstätten aufrührerischer Gespräche und verleumderischer Angriffe auf Personen in hohen Positionen.“ [17-57]
– »hot-beds of seditious talk and slanderous attacks upon persons in high stations.« [17-57]
Im Jahr 1676 wurden in England Kaffeehäuser deshalb verboten; [14-65] [16-89] doch mußte man sie wieder zulassen, mit der Auflage, zu verhindern, dass »alle skandalösen Zeitungen, Bücher und Verleumdungen darin gelesen werden; und jede Person daran zu hindern, skandalöse Berichte gegen die Regierung zu verbreiten.« [18-48] [18-49]
– »all scandalous papers, books, and libels from being read in them ; and to hinder every person from spreading scandalous reports against the Government.« [18-48] [18-49]
Auch In Deutschland waren Kaffeehäuser anscheinend immer wieder ein Ort der Störungen. In den Ordinari-Münchner-Zeitungen steht am 31. August 1761: »Um allen Unfug und Aergernissen vorzubeugen, ist durch ein öffentliches Edict befohlen worden, hinkünftig kein Caffeehaus länger als bis 4. Uhr des Nachts offen zu halten.« [30-556]
Kultur der Neuigkeiten
Von Anfang an waren Kaffeehäuser Nachrichtenbörsen und verschiedenste Zeitungen waren dort lesbar. Deshalb wundert es nicht, dass sie von der Polizei beobachtet wurden. [10-115]
Die pariser Geheimpolizei hatte ihre Spitzel in den Kaffehäusern, und täglich wurden Berichte verfaßt. Davon haben sich einige erhalten; für die Jahre zwischen 1724 und 1745 sind sie fast vollständig. [10-111] [10-112] Kritik am und Spott über den König wurden alltäglich ausgesprochen, und häufig schritt die Polizei ein. [10-77] Kaffeehausgespräche wurden überwacht, aber es kam nur selten zu Sanktionen. Im Jahr 1749, in einem Verfahren gegen François Philippe Mellin de Saint-Hilaire entschuldigte sich der Angeklagte und sagte, »seine Worte wären zwar ein Fehler gewesen, aber kein Staatsverbrechen, eben weil sie in der Atmosphäre des Café Procope geäußert wurden, wo ein jeder so rede.« [10-77] Die Reden wurden von der Polizei geduldet, außer in schweren Fällen wie Mord- und Komplottphantasien oder bei Äußerungen, die einen zu großen Aufruhr schürten. Wo genau die Toleranzgrenze der Polizei lag, läßt sich jedoch schwer definieren. [10-77]
Lassen wir Jens Ivo Engels zu Wort kommen, der die Situation in Paris treffend als eine ›Kultur der Neuigkeiten‹ beschreibt: »Die Diskussionsbeiträge zum König waren Teil einer regelrechten Kultur des städtischen Meinungsaustausches. Wohl kann man darin den Ausdruck einer politischen Öffentlichkeit sehen. Aber er war nicht auf Politik beschränkt. Begreifen wir ihn lieber in seiner umfassenden Art als Geselligkeitsform und Gestaltung von Mußestunden. Das Ziel der Gesprächspartner war es weniger, Politik zu machen, als vielmehr Zerstreuung zu finden. Reden über den König oder den Krieg war eingebettet in verschiedene Handlungen vom Genuß der modischen Getränke wie Kaffee oder Likör bis hin zu galanten Spaziergängen unter schattigen Bäumen. Eine Neuigkeit zu wissen, sei es über den König oder die Opernskandale, diente offenbar ebenso wie ein eleganter Auftritt dazu, das Ansehen ihres Überbringers zu erhöhen, um den sich ein Kreis aufmerksamer Zuhörer scharte. So boten die Nachrichten, das Trinken und Wandeln vor allem auch eine Bühne, um Identität oder soziale Beziehungen zu schaffen und zu ›feiern‹« [10-112] [10-113] – »Die wichtigsten Orte der Nachrichtenkultur in Paris waren Kaffeehäuser und die sogenannten Promenaden in den Gärten der Tuilerien, des Palais-Royal, des Palais du Luxembourg und die Wandelgänge des Parlement auf der île de la Cité. Die Promenaden boten ein vielfältiges Vergnügungs- und Konsumangebot. Es gab Händler mit Schmuck, modischen Accessoires, getrockneten Früchten, Bier und anderen Spezialitäten. Hier fand sich die feine und auch die weniger feine Gesellschaft ein, um sich und ihre Kleider zu präsentieren, zu speisen, Karten oder Boule zu spielen, zu singen, Bücher zu kaufen und zu lesen, mit Fremden und Bekannten zu scherzen, Galanterien auszutauschen, Kurtisanen zu erobern, kleinen Wanderbühnen und Schaustellern zuzuschauen oder Neuigkeiten zu erfahren. Es entstanden mitunter feste Diskussionsgruppen, die sich regelmäßig versammelten und oft thematisch spezialisiert waren. Im Palais-Royal etwa traf man die ›Politischen‹ unter einem großen Baum an. Da die Stadt Paris trotz ihrer Größe immer noch relativ überschaubar war, gab es wohl keine echte Anonymität.« [10-114]
Die ›Kultur der Neuigkeiten‹ trug sicherlich wesentlich zum Erfolg der Kaffeehäuser bei. So sieht es auch die 1832 in Paris erschienene Monographie über den Kaffee: »Nach dem Beispiel von Étienne d’Alep waren die Schänken, in denen Kaffee ausgeschenkt wurde, wie ein zeitgenössischer Autor es ausdrückte, mit Marmortischen, Spiegeln und Kristallleuchtern prächtig ausgestattete Räume, in denen sich viele ehrliche Leute aus der Stadt versammelten, weniger um Kaffee zu trinken, als um die Nachrichten des Tages zu erfahren. Wir möchten hier daran erinnern, daß die Veröffentlichung von Gazetten oder Zeitungen auf die Einführung des Kaffees in Frankreich zurückgeht.« [15-32] [15-33]
– »D’apres I’exemple qu’avait donné Étienne d’Alep, les cabarets dans lesquels on donnait à boire le Café, étaient, suivant I’expression d’un auteur de ce temps, des rêduits magnifiquement parés de tables de marbre, de miroirs et de lustres de cristal, où quantité d’honnètes gens de la ville s’assemblaient, moins pour y prendre du Café, que pour y apprendre les nouvelles du jour. Nous rappellerons ici que c’est de I’introduction du Café en France que date la publication des gazettes ou journaux.« [15-32] [15-33]
Johann Kaspar Riesbeck, in Höchst am Main im Jahr 1754 geboren, lebte von 1775 bis 1777 in Wien, ließ sich im Jahr 1780 in Zürich nieder, und war Redakteur der gerade gegründeten Zürcher Zeitung. [27-4] Im Jahr 1783 veröffentlichte er die »Briefe eines Reisenden Franzosen über Deutschland. An seinen Bruder zu Paris. Uebersetzt von K. R. Riesbeck«. Das Werk basiert auf seinen eigenen Erfahrungen, die er in seinen Wanderjahren zwischen 1770 und 1780 gemacht hatte, er soll jedoch auch fremde Berichte eingearbeitet haben. Er gab an, die Briefe stammten von einem Franzosen, um so schriftstellerische Freiheiten zu erlangen, um die dort kursierenden freiheitlichen Ideen auf elegante Art mit einbeziehen zu können. [27-4] [27-5] [29] In seinen Briefen aus Wien beschreibt er, welchen Stellenwert das kultivierte Miteinander und die Kultur der Neuigkeiten, gepaart mit einer gewissen Freiheit der Gedanken, in Paris hatte und woran es den Wienern mangelte. Er bemerkt: »Aber so sehr nun auch für die Nahrung deines Leibes hier gesorgt ist, so sehr hungert es deiner Seele nach den freundschaftlichen Dines und Soupes zu Paris, die mehr zur Mittheilung der gegenseitigen Empfindungen und Beobachtungen, als zu Indigestionen [Verdauungsstörungen] und Blähungen angelegt sind.« [27-151] [28-277]
Er fährt fort: »Ueberhaupt herscht hier im alltäglichen Umgang nichts von der Munterkeit, dem geistigen Vergnügen, der uneingeschränkten Gesälligkeit, der lebhaften und zum Interesse des Umganges unumgänglich nöthigen Neugierde, wodurch auch die Gesellschaften vom niedrigsten Rang zu Paris beseelt werden. Kein Mensch macht hier Beobachtungen über die Leuthe, die den Hof ausmachen. Niemand versieht das Publikum mit Anekdoten und Neuigkeiten du jour [Neuigkeiten des Tages]. Du findest unzälige Leuthe vom Mittelstand, die von ihren Ministern, Generälen und Gelehrten kein Wörtchen zu sagen wissen, und sie kaum dem Namen nach kennen. Alles hängt hier ganz an der Sinnlichkeit. Man frühstücket sich bis zum Mittagessen, speißt dann zu Mittag bis zum Nachtmal, und kaum wird dieser Zusammenhang von Schmäusen von einem trägen Spaziergang unterbrochen, und dann gehts in das Schauspiel. Gehst du den Tag über in ein Kafeehaus, deren es hier gegen 70 giebt, oder in ein Bierhaus, welche unter den öffentlichen Häusern die reinlichsten und prächtigsten sind – ich sah eines mit rothem Damast tapezierte, mit vergoldeten Rahmen, Uhren und Spiegeln à la grecque [Imitation im Stil der griechischen Antike], und mit Marmortischen – so siehst du halt das ewige Essen, Trinken und Spielen. Du bist sicher, daß dich kein Mensch ausforscht, oder dir mit Fragen lästig ist. Kein Mensch redet da, als nur mit deinen Bekannten, und gemeiniglich nur ins Ohr. Man sollte denken, es wäre hier wie zu Venedig, wo sich alle Leuthe in den öffentlichen Häusern für Spione halten.« [27-152] [27-153] [28-278] [28-279] [28-180]
Er bemerkt treffend: »Von unsrer Nation brauch‘ ich dir mehr nicht zu sagen, als daß die Freyheit zu denken bey uns von der Regierung viel weniger eingeschränkt wird, als in sehr vielen Staaten, die sich frey nennen, und auch viel weniger durch die Religion, als in manchen protestantischen Ländern.« [27-180] [28-334] [28-335]
Nicht nur den Kaffeehäusern kam eine wichtige gesellschaftliche Rolle zu, sondern auch dem Salon. Beide sind für die Geschichte des Pousse Cafés wichtig, weshalb sich der nächste Beitrag dieser Serie näher mit dem Entstehen und der Bedeutung des Salons beschäftigen wird.
Quellen
explicit capitulum
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