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Vom Ursprung des Cocktails. Teil 7: „Ye Olde English Cocktail“ und der Punsch

Vom Ursprung des Cocktails.

Wir beenden unsere Rekonstruktion eines Englischen Cocktails mit diesem Vorschlag. Wie wir hergeleitet haben, muß man sich den ursprünglichen Cocktail nämlich als Punsch denken.

Aufgrund ihres Umfangs erfolgt die Veröffentlichung dieser Abhandlung über den Ursprung des Cocktails  in mehrere Teilen, die sich wie folgt gestalten:

Sechste Zwischenbetrachtung

Wir haben basierend auf unserer Untersuchung den „English Cocktail“ rekonstruiert. In ihm zeigt sich, daß es sehr wohl wahrscheinlich ist, daß im ursprünglichen, englischen Cocktail viel Bitter und Ingwer verwendet wurde. Doch wir müssen uns noch weiter in den Cocktail hineindenken, denn wir sind noch nicht am Ende angekommen. Wir wollen das Thema im nächsten Kapitel also weiter vertiefen.

 „Ye Olde English Cocktail“ und der Punsch

Wir hatten im letzten Kapitel den „English Cocktail“ rekonstruiert. Unsere Rezeptur war wie folgt:

English Cocktail

55 ml Pierre Ferrand 1840 Cognac
5 ml Ingwer-Brandy
5 ml Stoughton’s Bitters
5 ml Zuckersirup (2:1)

Doch ist dies schon ein Cocktail, wie man ihn im England des 18. Jahrhunderts getrunken haben mag? Nein. Er ist noch viel zu dicht an einem Old-Fashioned Cocktail. Wichtige Dinge, die wir zuvor hergeleitet haben, wurden noch nicht berücksichtigt. Wir müssen uns also noch weiter in der Zeit zurückdenken und uns in dieselbe hineinversetzen.

Zunächst einmal hatten wir den Hinweis gefunden, daß man auf einen Teil Spirituose zwei Teile Wasser geben solle. Außerdem sollte man berücksichtigen, daß anfänglich sicherlich auch kein Eis zur Kühlung verwendet wurde, jedenfalls nicht in der Regel. Eis wurde erst ab 1830 allgemein verfügbar und fand seinen Weg in den Cocktail. Wandeln wir unter Berücksichtigung dieser Dinge die Rezeptur ab, so erhalten wir einen Cocktail, der noch weiter in die Zeit zurückreicht und noch weniger mit dem zu tun hat, was wir heute unter einem Cocktail verstehen. Nennen wir ihn zur Unterscheidung vom „English Cocktail“ einfach „Ye Olde English Cocktail“. Diese Bezeichnung nimmt Bezug auf eine englische Ausdrucksweise, die mindestens bis ins späte 18. Jahrhundert zurückreicht, [1] in eine Zeit also, in der wir uns mit dieser rekonstruierten Rezeptur mindestens befinden, und mit der man etwas sehr altes bezeichnete. [4]

Ye Olde English Cocktail

50 ml kühles Wasser
20 ml Pierre Ferrand 1840 Cognac
5 ml Ingwer-Brandy

5 ml Stoughton-Bitters
5 ml Zuckersirup (2:1)

Alternativ und von uns aktuell bevorzugt:

50 ml kühles Wasser
20 ml Chateau de Beaulon XO Cognac
5 ml Ingwer-Brandy

5 ml Stoughton-Bitters
5 ml Zuckersirup (2:1)

Der Alkoholgehalt dieser Mischung ist demjenigen eines Royal Purl vergleichbar, und man kann sich so vorstellen, daß dieser Drink durch den Einsatz von Zutaten, denen – wie wir schon erörterten – damals eine heilende Wirkung zugesprochen wurde, durchaus etwas ist, was man beispielsweise 1780 morgens und nachmittags zur Erhaltung der Gesundheit zu sich nahm.

Aufschlußreich ist unser Versuch gewesen, diese Mischung mit weniger Wasser zuzubereiten, und das dann fehlende Wasser durch Eiskühlung (Rühren des Cocktails) hinzuzufügen. Das Ergebnis enttäuscht im Vergleich mit der lediglich mit kühlem Wasser hergestellten Variante. Es liegen Welten dazwischen. In der Version, die ohne Eis hergestellt wurde, sind die Aromen sehr viel schöner ausgebildet, viel aromatischer. Durch zu viel Kühlung geht dieses Erlebnis verloren.

Dies ist für uns ein Schlüsselerlebnis gewesen. Durch diesen Versuch zeigt sich, daß man den ursprünglichen Cocktail als Punsch denken muß! Vermutlich hat er sich sogar aus dem Punsch entwickelt, indem man Zitrussaft und Gewürze durch Ingwer und Bitter ersetzte.

David Wondrich beschreibt in seinem Punsch-Buch ein vergleichbares Verhalten des Punsches. Er zitiert Jerry Thomas, demzufolge das große Geheimnis der Punschzubereitung darin liege, ihn „sweet and strong“, also süß und stark zu machen, „while „thoroughly amalgamating all the compounds, so that the taste of neither the bitter, the sweet, the spirit, nor the element [i.e., H2O], shall be perceptible one over the other.““. [2-62] Man solle also alle Bestandteile gründlich miteinander vereinigen, so daß der Geschmack weder des Bitteren, noch des Süßen, der Spirituose oder des Wassers über einem der anderen stehe.

David Wondrich schreibt auch: „you’ll also have to learn to balance the spirituousand aqueous elements, so that the drink is soft and pleasant but not insipid; so that the taste and aroma of the base liquor are present enough to remind you that you’re drinking spirits, but with none of its heat or bite. James Ashley, Londons leading purveyor of Punch in the eighteenth century … , found that balance point at one part spirits to two parts water, citrus and sugar. Assuming that’s about 16 percent alcohol (by volume) – the strength of a (very) strong California Cab or a light sherry.“ [2-65] Wir müssen für einen Punsch also lernen, die Spirituose und das Wasser so zu balancieren, daß das Getränk weich und angenehm und nicht zu fade ist; so, daß Geschmack und Aroma der Spirituose gegenwärtig genug sind, um uns daran zu erinnern, daß wir eine Spirituose trinken, ohne jedoch deren Stärke und Schärfe zu zeigen. Er führt auch James Ashley an, der Londons führender Punschlieferant im 18. Jahrhundert war. Letzterer fand, daß das Gleichgewicht zwischen Spirituose und Wasser bei zwei Teilen Wasser zu einem Teil Spirituose lag, zuzüglich Zucker und Zitrus. Dies ergab ungefähr ein Getränk mit einem Alkoholgehalt von 16 vol%, was einem leichten Sherry entspricht.

Mehr als alles andere, so fährt David Wondrich fort, muß ein Punsch so ausgeführt sein, daß man mehr von ihm will; er ist ein Getränk, daß man über einen langen Zeitraum hinweg trinkt und nicht schnell wie einen Cocktail: „Above all things, Punch must be moreish. (Drinks writing has few terms of art entirely its own; this is one of them, and it is indispensable. It simply means „it makes you want to drink more of it.“) It’s a long-distance drink, not a sprinter like the Cocktail.“ [2-66]

Er führt auch an, daß Punsch des Eises nicht bedürfe, denn er sei nicht so alkoholreich wie ein Cocktail. Er müsse deshalb nicht so kalt sein, und er sei es am besten auch nicht, denn ansonsten werde sein Duft gedämpft und seine zarte Harmonie ginge verloren. Nichts desto trotz müsse er kühl sein, im Sommer sogar sehr kühl. Es hätte zwar auch seit dem Ende des 18. Jahrhunderts geeisten Punsch gegeben, doch dieser hätte als Luxus gegolten: „Punch, lacking the alcoholic concentration of the Cocktail, does not need to be as numbingly cold – indeed, it is best if it isn’t: if it’s chilled to Cocktail temperatures (i. e., below 32 degrees Fahrenheit), its fragance is muted and its delicate harmony lost. It does, nonetheless, like to be cool, and in the summer, very cool. Ever since the end of the eighteenth century, iced Punch was considered a luxury indeed.“ [2-82]

John Ashton: Social life in the reign of Queen Anne, 1882, Seite 202 - Major Bird's Punch.
John Ashton: Social life in the reign of Queen Anne, 1882, Seite 202 – Major Bird’s Punch. [3-202]

Wir sehen also die Gemeinsamkeiten mit einem Punch, nicht nur was die Verwendung von Wasser anbelangt. Beispielhaft sei hier „Major Bird’s Brandy Punch“ zitiert. David Wondrich beschreibt ihn in seinem Punsch-Buch. Der namensgebende Major Bird war seit 1689 im Spirituosengeschäft tätig, und sein Brandy Punch wurde 1882 in John Ashtons Buch „Social Life in the Reign of Queen Anne, Taken from Original Sources“ publiziert. [2-132] [3-202] Es ist also ein sehr altes Rezept, weit über 300 Jahre alt.

Major Bird’s Brandy Punch

Take one Quart of Brandy, and it will bear 2 Quarts and a Pint of Spring Water; if you drink it very strong, then 2 Quarts of Water to a Quart of the Brandy, with 6 or 8 Lisbon Lemmons, and half a Pound of fine Loaf Sugar: Then you will find it to have a curious fine scent and flavour, and Drink and Taste as clean as Burgundy Wine.

Dieser Punsch wird aus einem Quart Brandy (1,1365 Liter) und zwei Quarts und einem Pint Quellwasser (rund 2,841 Liter) zubereitet, also mit einem Verhältnis von 2:5. Hinzu kommen sechs bis acht lissaboner Zitronen und ein halbes Pound (rund 0,454 kg) feinen Zuckers. Wenn man den Punsch sehr stark möchte, so soll man auf einen Teil Brandy zwei Teile Quellwasser verwenden.

Dies sind natürlich Mengen, mit denen wir heutzutage üblicherweise nicht mehr mixen. Interessant wird es nun, wenn man das Punschrezept auf ein Cocktailglas herunterrechnet. Man erhält dann eine Rezeptur von ungefähr 20 ml Brandy, 40 ml Wasser, 7,75 ml Zitronensaft und 4 Gramm Zucker. Wir sehen also, daß der Drink insgesamt nicht zu süß war, und der Zucker nur dazu dient, die Säure aufzufangen. Der Punch war auch kein Sour, denn dann würde man – moderne Rezepte zugrundegelegt – sicherlich rund 30 ml Zitronensaft pro Glas verwenden. Der Zitronensaft dient also nur dazu, dem Punsch ein gewisses Strahlen und eine leichte Frische hinzuzufügen, so wie es auch beim Brandy Crusta gemacht wird.

Werfen wir also den Blick zurück auf unsere Aussage, man müsse den Cocktail als eine Abwandlung des Punsches denken. Auch wir haben 20 ml Brandy und 40 ml Wasser verwendet. Beim Cocktail wurde dann im Vergleich zu einem klassischen Punsch jedoch Zitronensaft, Zucker und Gewürze wie beispielsweise geriebene Muskatnuß (die bei Major Bird’s Punch fehlt) durch Ingwer und Bitter (wie beispielsweise Stoughton’s Elixir) ersetzt, denn man wollte dem Punch dadurch wohl eine eher medizinische, gesundheitsfördernde Ausrichtung geben.

In Amerika

Spätestens als er in Amerika angekommen war, hat sich der Cocktail dann transformiert. Die Wassermenge reduzierte sich, es wurde weniger Bitter eingesetzt, und der Ingwer verschwand. Der Cocktail schlug anschließend andere Entwicklungswege ein, doch wir wollen an dieser Stelle nicht darauf eingehen, dies sei einem eigenen Beitrag vorbehalten. Er entwickelte sich vom „plain cocktail“ über den „fancy cocktail“ hin zum „improved cocktail“ verzweigte dann immer weiter, es kamen Wermut, Liköre und auch wieder Zitrussäfte ins Spiel.

Quellen
  1. https://en.wikipedia.org/wiki/Ye_olde: Ye olde.
  2. David Wondrich: Punch. The Delights (and Dangers) of the Flwing Bowl. An Anecdotal History of the Original Monarch of Mixed Drinks, with More Than Forty Historic Recipes, Fully Annotated, and a Complete Course in the Lost Art of Compounding Punch. ISBN 978-0-399-53616-8. New York, Pedigree Book, 2010. Angegeben wird zusätzlich im Quellenvermerk die Seite im Buch, beispielsweise bedeutet [1-15]: Seite 15.
  3. John Ashton: Social Life in the Reign of Queen Anne: Taken from Original Sources. Band 1. London, Chatto & Windus, 1882. Seite 224. https://archive.org/stream/sociallifeinrei00ashtgoog#page/n224/mode/2up/search/punch
  4. https://www.oxfordlearnersdictionaries.com/definition/english/ye-olde: Ye olde.

explicit capitulum
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über

Hallo, ich bin Armin, und in meiner Freizeit als Blogger, freier Journalist und Bildungstrinker möchte ich die Barkultur fördern. Mein Schwerpunkt liegt auf der Recherche zur Geschichte der Mischgetränke. Falls ich einmal eine Dir bekannte Quelle nicht berücksichtigt habe, und Du der Meinung bist, diese müsse berücksichtigt werden, freue ich mich schon darauf, diese von Dir zu erfahren, um etwas Neues zu lernen.