Gastbeitrag Weitere Themen

Palepuntz und Flüsterpost – Anmerkungen zur Frühgeschichte des Punches

Titelbild.

Dr. Karsten C. Ronnenberg ist nach dem Lesen der Serie über den Ursprung des Punches über ein paar interessante Details gestolpert, die es Wert sind, beachtet zu werden.

Ich bedanke mich herzlich bei ihm für die Aufmerksamkeit, die er den Quellen gewidmet hat. Karsten hat etwas entdeckt, das bisher noch nicht bekannt war. Die bisher angeführten Zitate von Johann Albrecht von Mandelsloh über den Punch wurden durch Bearbeitungen verändert. Sie entsprechen nicht mehr dem Original. Dadurch kam es zu  Schlußfolgerungen, die korrigiert werden müssen. Karstens lesenswerte Erkenntnisse werde ich in unsere eigene Analyse noch einbauen müssen. Zuvor möchte ich sie an dieser Stelle als eigenen Beitrag veröffentlichen. Viel Spaß beim Lesen!

Palepuntz und Flüsterpost – Anmerkungen zur Frühgeschichte des Punches

von Karsten C. Ronnenberg

 

»Palepuntz«, das Wort, das so schön nach Firlefanz klingt, dürfte wohl den meisten bekannt sein, die sich mit den Ursprüngen der heutigen Cocktailkultur beschäftigen. So eigentümlich der Begriff ist, so viele Fragen hat er schon aufgeworfen. Einigkeit besteht jedoch zumindest darüber, dass er Punch bezeichnet, welcher als Vorläufer des Cocktails zweihundert Jahre lang Genuss- und Wirkungstrinker in seinen Bann geschlagen hat. Die früheste Angabe über die Zusammensetzung von »Palepuntz« ist eine Stelle aus dem Bericht des Deutschen Johann Albrecht von Mandelslo, der im 17. Jahrhundert in den Orient gereist war. Häufig zitiert wird die Angabe, in Indien seien die Engländer zusammengekommen, um »Palepuntz zu trinken, eine Art Getränk, das aus aqua vitae, Rosenwasser, Zitronensaft und Zucker besteht.«

Jedoch hat die Sache kleine Schönheitsfehler, denn die Zutatenliste ist falsch, sie gehört nicht nach Indien und das Getränk heißt nicht »Palepuntz«. Das klingt erst einmal dramatischer, als es ist, aber deutet möglicherweise darauf hin, dass Punch keine indische Erfindung ist, sondern auf dem Mist englischer Seefahrer gewachsen ist (die jedoch fleißig nach Indien zu fahren pflegten).

Die Missverständnisse über das Mischgetränk, das der junge Mandelslo dreimal in seinem Reisebericht erwähnt, hängen eng mit der Publikationsgeschichte des Textes zusammen sowie der naturgemäß anglo-amerikanisch dominierten Literatur zur Geschichte des Cocktails. Verständlicherweise arbeiten auch Mixographen bevorzugt mit Übersetzungen fremdsprachiger Quellen in ihrer jeweiligen Muttersprache. Im Fall des Reiseberichts stammt die englische Fassung aus der Feder des Walisers John Davies aus dem Jahr 1662. Dieser lässt Mandelslo kurz nach seiner Ankunft im indischen Surat folgendes über das Abendprogramm der anwesenden Engländer berichten:

The Voyages & Travels of J. Albert de Mandelslo into the East-Indies, 1662, Seite 18.
The Voyages & Travels of J. Albert de Mandelslo into the East-Indies, 1662, Seite 18. [1]

»Some made their advantage of this meeting to get more then they could well carry away, though every man was at liberty to drink what he pleas’d, and to mix the Sack as he thought fit, or to drink Palepuntz, which is a kind of drink consisting of Aquavita, Rose-water, juice of Citrons and Sugar.« [1]

»Einige nutzten diese Zusammenkunft, um mehr zu bekommen, als sie wegstecken konnten, obwohl es jedem freigestellt war zu trinken, was er wollte, und den Sherry zu mischen, wie er es für richtig hielt, oder Palepuntz zu trinken, eine Art Getränk, das aus aqua vitae, Rosenwasser, Zitronensaft und Zucker besteht.«

Davies ist schnell entlastet, was etwaige Falschinformationen angeht, denn im Vorwort seiner Übersetzung gibt er brav an, dass er den Text nicht nach dem deutschen Original, sondern nach einer französischen Übersetzung gefertigt hat. Offenbar tat das dem Erfolg des Buchs keinen Abbruch, denn bereits sieben Jahre später erschien eine Zweitauflage in London. [2]

Noch 1931 wurde eine Nacherzählung veröffentlicht, in der jedoch die schwere Verfügbarkeit des Davies-Textes beklagt wird. Die angekündigte Neu-Edition in der »Broadway Travellers«-Reihe ist anscheinend nie erfolgt. [3]

Aus Davies‘ Vorwort zur Ausgabe von 1669 erfahren wir jedenfalls, dass seine französische Vorlage durch den Niederländer Abraham van Wickevoort gefertigt worden war. Möglicherweise hatte dieser bereits auf die niederländische Übersetzung zurückgegriffen, die 1658 erschienen war, und nicht auf den deutschen Text. Oder aber er war selbst für die niederländische, leicht gekürzte Fassung verantwortlich. Beide Möglichkeiten sind jedoch ins Reich der Spekulation zu verweisen, da die Identität des Niederländisch-Übersetzers unbekannt ist. [4] In Wickevoorts französischem Text heißt es jedenfalls an der besagten Stelle:

Jean-Albert de Mandelslo, Voyages Célèbres & Remarquables, faits de Perse aux Indes Orientales. 1732, Spalte 45.
Jean-Albert de Mandelslo, Voyages Célèbres & Remarquables, faits de Perse aux Indes Orientales. 1732, Spalte 45. [5]

»Il y en avait qui se servoient de cette petite débauche pour en prendre tout leur saoul ; quoique l’on permît à chacun de s’en donner autant qu’il vouloit, & de tremper le vin d’Espagne, ainsi qu’il le trouvoit à propos ; ou bien de boire d’un certain breuvage, composé d’eau-de-vie, d’eau-rose, de jus de citron, & de sucre, que les Anglois appellent palepuntz;« [5]

»Es gab einige, die diese kleine Ausschweifung nutzten, um sich zu betrinken, obwohl es jedem erlaubt war, sich so viel davon zu geben, wie er wollte, und den Wein aus Spanien so zu tränken, wie er es für richtig hielt, oder ein bestimmtes Getränk zu trinken, das aus Eau de vie, Rosenwasser, Zitronensaft und Zucker besteht und das die Engländer Palepuntz nennen.«

Das erschien 1659, also 15 Jahre nach dem Tod Mandelslos in Paris. Bezeichnenderweise hat Davies den Hinweis in seinem Text unterdrückt, dass es »die Engländer« seien, die das Getränk »palepuntz« nennen – vermutlich, weil er es für Nonsens hielt, der dem teutonischen Talent für Fremdsprachen entsprungen sein musste. In seinem Vorwort räumt Wickevoort fast beiläufig ein, dass er sich gewisse Freiheiten gegenüber dem Original genommen hat. Schließlich habe der Herausgeber des deutschen Originals, Adam Olearius, nichts anderes getan.

Das ist so allerdings nicht richtig. Da Olearius selbst der deutschen Reisegruppe nach Persien angehört hatte, bis Mandelslo sich Richtung Indien absetzte, und die beiden zudem gute Freunde waren, fühlte er sich ermächtigt, den originalen Reisebericht, den er 1658 als »Morgenländische Reyse-Beschreibung« veröffentlichte, durch zahlreiche Anmerkungen zu bereichern. Diese Einschübe sind indes deutlich erkennbar vom eigentlichen Reisebericht abgesetzt: eingerückt in eckigen Klammern, in kleiner Schriftgröße.

Wickevoort war da weniger zimperlich und redigierte den Mandelslo-Text frei nach seinem eigenen Gusto. Während sich in der deutschen Edition zahlreiche Kapitel-Überschriften finden, hat Wickevoort diese vollständig unterdrückt. Manches im Bericht hat er zudem ausgeschmückt, vieles verkürzt und einiges in anderer Reihenfolge wieder zusammengefügt. Insbesondere hat er die drei Erwähnungen von »Palepuntz« auf eine einzige zusammengedampft und die berühmte Zutatenliste kurzerhand von Persien nach Indien verfrachtet. In seiner englischen Übersetzung hielt sich Davies anscheinend nach bestem Gewissen an den Wortlaut des französischen Texts und so nahm die Flüsterpost ihren Lauf. Vor diesem Hintergrund kann der Blick nun auf den originalen, deutschsprachigen Reisebericht und seinen Helden gerichtet werden.

Der junge Adlige Johann Albrecht von Mandelslo aus Mecklenburg war im Jahr 1636 zusammen mit dem Hofsekretär Adam Olearius Mitglied einer diplomatischen Gesandtschaft Friedrichs III., des Herzogs von Schleswig-Holstein-Gottorf, an den Hof des Schahs in Isfahan im heutigen Iran. Offenbar ließen der Dreißigjährige Krieg, der sich zäh durch Europa wälzte, und das schwierige Lavieren zwischen Dänemark und Schweden dem ambitionierten Friedrich genug Luft, Pläne zu fassen, nach denen Kiel unter seiner Herrschaft zu einem Knotenpunkt des Handels mit persischer Seide werden sollte. Nachdem die Mission im Dezember 1637 erfolglos abgebrochen wurde, weil die Deutschen den Schah brüskiert hatten, trat Mandelslo nicht mit den anderen die Heimreise an, sondern machte sich zusammen mit Johann Weinmeister auf, einem weiteren Mitglied der deutschen Delegation, um schließlich weiter nach Indien, Ceylon (heute Sri Lanka) und Madagaskar zu reisen.

Von Gamron aus, dem heutigen Bandar Abbas 900 km südlich von Isfahan im Süden des Persischen Golfs sollte der Seeweg die beiden zum 1800 km entfernten indischen Surat führen. Noch vor der Abfahrt erlag Weinmeister jedoch der »Rothen Ruhr«, einer infektiösen Durchfallerkrankung (Dysenterie), die zu der Zeit grassierte. Unter dem Eindruck dieser Erlebnisse schrieb Mandelslo über die Zustände in der Hafenstadt:

Des HochEdelgebornen Johan Albrechts von Mandelslo Morgenländische Reyse-Beschreibung. 1658, Seite 28#1.
Des HochEdelgebornen Johan Albrechts von Mandelslo Morgenländische Reyse-Beschreibung. 1658, Seite 28. [6]

»Es ist allhier eine sehr ungesunde Lufft, theils wegen der grossen unerträglichen Hitze, theils wegen der mancherley Winde die sich täglich allhier befinden und abwechseln. Daher auff den Engelländischen und Holländischen Schiffen Jährlich viel Völcker sterben, daß sie offt von 100. Personen nicht 50. behalten, und trifft solches Übel zwar den Engelländern welche weichlicher Natur sind, mehr als den Holländern. Es verderben sich auch ihrer etliche selbst mit einem Geträncke, das sie Palepunschen nennen, wird von starcken Brandwein, ZitronenSafft, Zucker und Rosenwasser unter einander gemischet, machet bald truncken, veruhrsachet hitzige Fieber und Rothe Ruhr, daß, wenn sie alsdann nicht wol in acht genommen werden, als die Fliegen hinfallen und weg sterben.« [6]

Im Index der deutschen Ausgabe findet sich unter dem Buchstaben P der Eintrag: »Palepunschen das Getränck wie es bereitet wird«. Was wir als Zutatenliste verstehen, wurde offenbar auch von den Zeitgenossen so aufgefasst. Zudem erfahren wir an der zitierten Stelle von den negativen Auswirkungen des »Palepunschen« – welche zugegebenermaßen medizinisch nicht ganz haltbar sind, was Fieber und Ruhr angeht. Die »Delights (and Dangers)« des Punch, denen David Wondrich sein Buch gewidmet hat, treten hier schon im Verein mit der ersten Zutatenliste auf. In der französischen Bearbeitung durch Wickevoort fehlen diese Verweise. Man beachte die Schreibweise mit -sch, die die Identifikation mit Punch untermauert. Die etymologische Gretchenfrage, ob »bowl of punch« oder »pale punch«, darf hier unbeantwortet bleiben. Hervorzuheben ist, dass wir uns an dieser Stelle zwar in englischer Gesellschaft, aber noch immer am Persischen Golf befinden, also weit weg von Indien. Insofern passt Rosenwasser wunderbar als Zutat in den »Palepunschen«, da dessen Gebrauch ursprünglich im persischen Raum beheimatet war. Auf eine dezidiert persische Herkunft des Mischgetränks deutet indes nichts hin, zumal Mandelslo die Trinkgewohnheiten der Einheimischen wenige Zeilen später separat vorstellt:

Des HochEdelgebornen Johan Albrechts von Mandelslo Morgenländische Reyse-Beschreibung. 1658, Seite 28#2.
Des HochEdelgebornen Johan Albrechts von Mandelslo Morgenländische Reyse-Beschreibung. 1658, Seite 28. [7]

»Ihr Geträncke ist Wasser und Brandwein aus Datteln und auch Reiß gemachet. Der Schirasser Wein wird in Gläsern dahin gebracht, aber wenig, und ist nicht des gemeinen Mannes Geträncke.« [7]

Nicht zuletzt unter dem Einfluss der Moguln, die seit dem frühen 16. Jahrhundert ihr Reich auf dem indischen Subkontinent errichtet hatten, war Rosenwasser auch dort bekannt. Sein Gebrauch im »Palepunschen« der Engländer reflektiert somit zunächst den regen Handelsverkehr, der sie sowohl nach Persien als auch nach Indien führte und dort mit regionalen Produkten und Gebräuchen in Berührung brachte. Ob sie nur eine Zutat in ihr Repertoire aufgenommen hatten oder die ganze Rezeptur, lässt sich anhand des Reiseberichts nicht entscheiden.

A propos »Brandwein«, Wickevoort hatte »eau-de-vie« als Übersetzung gewählt, was wohl dem französischen Sprachgebrauch entsprach. Ohne einen spezifischen Hinweis auf den Ursprung aus Wein oder einer anderen Frucht konnte es allerdings jegliches Destillat bezeichnen. Insofern kann man es Davies nicht verübeln, dass er »Aqua Vita« für seine Übersetzung gewählt hat, obwohl »brandy« vermutlich näher am Original gewesen wäre. Ohne Aussagen über die Beschaffenheit des »Brandwein« bei Mandelslo treffen zu wollen – außer dass er offenbar stark war –, hat das ubiquitäre »Aqua Vita« doch für eine gewisse Verkomplizierung des Sachverhalts im heutigen Diskurs gesorgt. Der Umstand, dass Mandelslo noch auf derselben Buchseite – wie auch später immer wieder in seinem Bericht – Brände aus Datteln und Reis ganz spezifisch benennt, könnte nahelegen, dass er mit der schlichten Erwähnung von »Brandwein« tatsächlich Branntwein aus Wein meinte.

Palepunschen begegnet uns dann wieder auf dem Seeweg nach Indien, als der Autor unter dem Eintrag des 7. April 1638 berichtet, welche Getränke die Engländer an Bord ihres Schiffs, der »Schwan«, mit sich führten:

Des HochEdelgebornen Johan Albrechts von Mandelslo Morgenländische Reyse-Beschreibung. 1658, Seite 36.
Des HochEdelgebornen Johan Albrechts von Mandelslo Morgenländische Reyse-Beschreibung. 1658, Seite 36. [8]

»Das Geträncke Englisch Bier, Spanisch Sect, Frantz Wein, Indianisch Brandwein, und Englisch streng Wasser, machten gute Palepuntzen.« [8]

In ihrer wortkargen Aufzählung lässt die Stelle vieles im Dunkeln. Als weiteres, abweichendes Punch-Rezept wäre sie so skurril, dass eher mit einer Liste verschiedenster Getränke zu rechnen ist. Ebenso mag es sein, dass »gut« hier lediglich im Sinne von viel zu verstehen ist und Mandelslo – obwohl er beileibe kein Abstinenzler war – sich möglicherweise des gefährlichen Trunks enthielt. Auffällig ist die geänderte Schreibweise mit -tz, die Wickevoort und Davies übernommen haben und die auch sonst in der Literatur häufiger zu finden ist. Erklärungen für die Abweichung innerhalb desselben Textes kann es viele geben. Mandelslo war zu Lebzeiten wohl nicht mehr dazu gekommen, seine Reisenotizen selbst zu ordnen und zu redigieren. So mag manches aus der Erinnerung nachträglich eingefügt worden sein, ob noch während der Reise oder erst nach seiner Rückkehr. Da es mit Sicherheit keinen Duden gab, der eine korrekte Schreibweise für »Palepunschen« oder »-puntzen« vorgab, könnte er selbst unsicher oder gleichgültig gewesen sein, wie man das Fremdwort buchstabieren sollte. Entsprechend könnte Olearius die unterschiedlichen Schreibweisen, die er in den Manuskripten vorfand, textgetreu wiedergegeben haben. Dass zwei verschiedene Getränke gemeint sein sollen, erscheint jedoch abwegig. Gänzlich unklar bleibt, was mit »Englisch streng Wasser« gemeint ist (vielleicht in dem Sinne, dass etwas streng riecht?) und inwiefern es in einer Beziehung zu »Palepuntzen« steht. Aus der Bord-Getränkekarte sei noch der »Brandwein« hervorgehoben, der hier als »Indianisch« (also indisch) spezifiziert wird. In der Auflistung der Zutaten des »Palepunschen« weiter oben fehlt die Herkunftsangabe zum »Brandwein«, was auch vor diesem Hintergrund auf einen für deutsche Lesende geläufigen Branntwein hindeuten kann. Hinter dem spanischen »Sect« verbirgt sich kein Cava oder anderer Schaumwein. Es handelt sich vielmehr um die deutsche Entsprechung des englischen Worts »sack«, das verstärkten Wein von den Kanaren oder aus Spanien bezeichnet (bspw. Sherry). Zusammen mit dem indischen Schnaps und dem französischen Wein wirft die Liste ein schönes Schlaglicht auf den regen Güterverkehr, den die englischen Kaufleute letztlich auch für eigene Zwecke betrieben.

Nachdem die »Schwan« am 26. April 1638 im indischen Zielhafen Surat eingelaufen war, wurde Mandelslo zum Aufenthalt in der örtlichen Handelsniederlassung der Engländer eingeladen. Die globalen Handelsinteressen der Briten hatten dazu geführt, dass Königin Elisabeth I. am Silvestertag des Jahres 1600 die Gründung der East India Company sanktionierte. 1612 wurde in Surat eine der ersten von zahlreichen Faktoreien in Indien errichtet, die nun dauerhaft eine englische Mannschaft beherbergten. Die Hafenstadt im Nordwesten des Subkontinents blieb zugleich Hauptsitz der Gesellschaft, bis man diesen im Jahr 1687 ins 280 km südlich gelegene Bombay (heute Mumbai) verlegte. Mandelslo hatte sich bereits in Persien gut mit den englischen Kaufleuten verstanden und wurde nun als deutscher Höfling durch den örtlichen Präsidenten als Ehrengast beherbergt. Seine Abende mit den Engländern begannen zumeist mit einem förmlichen Umtrunk:

Des HochEdelgebornen Johan Albrechts von Mandelslo Morgenländische Reyse-Beschreibung. 1658, Seite 41-42.
Des HochEdelgebornen Johan Albrechts von Mandelslo Morgenländische Reyse-Beschreibung. 1658, Seite 41-42. [9]

»Nach diesem fieng ein jeglicher nach seinem Gefallen Gesundheit an, auch ward jeglichem vergönnet aus einem auffgesetzten Krug selbst einzuschencken, und zu trincken so viel er wolte, und möchte einer mit einem halben oder gantzem Rausche zu Bette gehen, wir hatten gute Gespräche und Kurtzweil darbey, diese Lust brachte uns offt, ehe wir es meynten, die Mitternacht an die Hand. Unser Geträncke war alsdann Sect mit Wasser vermischet und Palepuntzen, wobey von allerhand frischen, drögen und eingemachten Früchten auffgesetzet war.« [9]

Dieser Teil der Erzählung ist es, die Wickevoort in stark verkürzter Form – und um die Zutatenliste aus Gomran erweitert – in seiner französischen Übersetzung wiedergibt und die munter in der modernen Literatur zum Thema nach der englischen Version zitiert wird. Anscheinend hatte Mandelslo seine Vorbehalte gegen »Palepuntzen« erfolgreich ablegen können, was mit der glücklichen Genesung von seiner eigenen Ruhr-Erkrankung zusammenhängen mochte. Über die Zutaten erfahren wir hier nichts, zumal die aufgesetzten Früchte als beliebte alkoholische Leckerei der Engländer öfters in seinen Berichten erwähnt werden. Der relative Anschluss mit »wobey« sagt nicht notwendigerweise aus, dass sich das Obst im »Palepuntzen« befand. Abermals begegnet uns der »Sect«, der hier mit Wasser gemischt wird. Bemerkenswerterweise hat Davies in seiner englischen Übersetzung mit »sack« für Wickevoorts »vin d’Espagne« perfekt den Bogen zurück zum deutschen Originaltext geschlagen.

Schön zeigt Mandelslo, dass ein guter Drink auch vor 400 Jahren das Schmieröl im sozialen Gefüge und eine gute Idee für einen gelungenen Abend sein konnte. Der junge Adlige war dem Alkohol nicht abgeneigt und sein universelles Interesse an der Welt, wie sie sich ihm fern der deutschen Heimat darbot, schloss auch die unterschiedlichen Getränke und Trinkgewohnheiten ein. Dabei ging es ihm nicht um eine fachliche Aufbereitung des Themas, sondern um eine plastische Gesamtschau. Er hat in seinem Reisebericht glücklicherweise selten eine Gelegenheit ausgelassen, darüber zu schreiben, was es irgendwo zu trinken gab. Diese Informationen gehören zu seiner Erzählung wie Essen, Kleidung, Landschaft, Fauna, Sitten oder die gelegentlichen Abenteuer, die ihm widerfuhren (soweit das Reisen an sich nicht schon Abenteuer genug war). Bei alledem war Mandelslo stets darauf bedacht, das Beschriebene sauber bestimmten Personengruppen zuzuordnen, also entweder der ortsansässigen Bevölkerung und ihren jeweiligen Gesellschaftsschichten oder aber den Engländern, Holländern und anderen Reisenden, denen er begegnete. Aus dem Schweigen der Quellen lassen sich keine Beweise ziehen, aber es wäre überraschend, wenn er »Palepunschen« als persischen oder indischen Ursprungs kennengelernt hätte, ohne darauf hinzuweisen. Dabei versäumt er es an keiner der drei Stellen, klar herauszustellen, dass das Zeug von Engländern getrunken wurde. Ganz offenbar war es eng mit der englischen Seefahrt und den Unternehmungen der East India Company verbunden.

Quellen
  1. The Voyages & Travels of J. Albert de Mandelslo into the East-Indies, Übers. John Davies, London 1662, S. 18, https://babel.hathitrust.org/cgi/pt?id=uc1.31822038219002&view=1up&seq=5, Abruf 08.02.2023, Übers. Ronnenberg.
  2. The Voyages and Travells of the Ambassadors sent by Frederick Duke of Holstein to the Great Duke of Muscovy and to the King of Persia, whereto are added The Voyages & Travels of John Albert de Mandelslo from Persia, into the East-Indies, Übers. John Davies, 2. Auflage, London 1669, To the Reader (Vorwort der 2. Auflage), https://books.google.fr/books?id=UPS_NYFKTzwC, Abruf 08.02.2023.
  3. M.S. Commissariat, Mandelslo’s Travels in Western India (A.D. 1638-9), Humphrey Milford Oxford University Press 1931, S. v, https://archive.org/details/in.ernet.dli.2015.531053/page/n5/mode/2up, Abruf 14.02.2023.
  4. Beschryvingh van de gedenkwaerdige Zee- en Landt-Reyze, deur Persien naar Oost-Indien, Gedaan van den wel-Ed. Johan Albrecht van Mandelslo, Amsterdam 1658, https://archive.org/details/beschryvinghvand00mand, Abruf 19.02.2023.
  5. Jean-Albert de Mandelslo, Voyages Célèbres & Remarquables, faits de Perse aux Indes Orientales, Übers. Abraham de Wicquefort, Amsterdam 1732, Spalte 45, https://books.google.co.zm/books?id=guunm4oP1EgC, Abruf 14.02.2023, Übers. Ronnenberg.
  6. Des HochEdelgebornen Johan Albrechts von Mandelslo Morgenländische Reyse-Beschreibung, Schleswig 1658, Buch 1, Kap. 8, S. 28, http://diglib.hab.de/drucke/275-9-hist-2f/start.htm, Abruf 08.02.2023.
  7. Schleswig 1658, Buch 1, Kap. 8, S. 28, http://diglib.hab.de/drucke/275-9-hist-2f/start.htm, Abruf 08.02.2023.
  8. Des HochEdelgebornen Johan Albrechts von Mandelslo Morgenländische Reyse-Beschreibung, Schleswig 1658, Buch 1, Kap. 9, S. 36, http://diglib.hab.de/drucke/275-9-hist-2f/start.htm, Abruf 08.02.2023.
  9. Des HochEdelgebornen Johan Albrechts von Mandelslo Morgenländische Reyse-Beschreibung, Schleswig 1658, Buch 1, Kap. 11, S. 42, http://diglib.hab.de/drucke/275-9-hist-2f/start.htm, Abruf 08.02.2023.

über

Hallo, ich bin Armin, und in meiner Freizeit als Blogger, freier Journalist und Bildungstrinker möchte ich die Barkultur fördern. Mein Schwerpunkt liegt auf der Recherche zur Geschichte der Mischgetränke. Falls ich einmal eine Dir bekannte Quelle nicht berücksichtigt habe, und Du der Meinung bist, diese müsse berücksichtigt werden, freue ich mich schon darauf, diese von Dir zu erfahren, um etwas Neues zu lernen.

2 Kommentare zu “Palepuntz und Flüsterpost – Anmerkungen zur Frühgeschichte des Punches

  1. Dr. Michael Wallaschek

    Rezept der indigenen Ceylonesen für des „Geträck“: „Pulebunze getituliret, von halb Wasser / halb Brandwein / dreyssig / viertzig Limonien / deren Körnlein ausgeseyet werden / und ein wenig Zucker eingeworfen / wie dem Geschmack so angenehm nicht: also auch der Gesundheit nicht.“ (Saar 1662: 54).
    Saar, Johann Jakob (1662): Ost-Indianische Funfzehen-Jährige Kriegs-Dienst / und wahrhaftige Beschreibung / was sich Zeit solcher funfzehen Jahr / von Anno Christi 1644. biß Anno Christi 1659. zur See und zu Land / in offentlichen Treffen / in Belägerungen / in Stürmen / in Eroberungen / Portugäsen und Heydnischer Plätze und Städten / in marchirn, in quartirn, mit ihm und andern seinen Camerades begeben habe / am allermeisten auf der grossen / und herrlichen Insul Ceilon. Psal. XXIV vers. 1. Die Erde ist des HERRN / und alles was darinnen ist; der Erdboden / und alles was darauf wohnet. Denn Er hat ihn an die Meer gegründet / und an den Wassern bereitet. – Nürnberg (Johann Tauber). 50 + 170 + 20 S.
    Mit freundlichen Grüßen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert