Das erste Rezept für einen Martinez Cocktail wird zeitgleich mit dem Manhattan Cocktail 1884 publiziert mit dem Hinweis, ein Martinez Cocktail sei ein Manhattan Cocktail, bei dem der Whiskey durch Gin zu ersetzen sei. Berücksichtigt man gleichzeitig, daß Whiskey gegenüber Gin weitaus beliebter war und die „ältere“ Spirituose war, darf man annehmen, daß der Martinez Cocktail (wie auch der Rob Roy mit Scotch) eine Weiterentwicklung des Manhattan Cocktails ist, der wiederum aus dem Vermouth Cocktail entstanden ist.
Aufgrund ihres Umfangs erfolgt die Veröffentlichung dieser Abhandlung über den Martini Cocktail in mehrere Teilen, die sich wie folgt gestalten:
Es stellt sich nun die Frage, ob die zuvor gegebene Definition eines Manhattan Cocktails wirklich ohne Einschränkung auf einen Martinez Cocktail übertragen werden kann. Bei der Beantwortung dieser Frage hilft ein Blick auf die Rezepturen aus den Zeiten vor der Prohibition. Diejenigen Rezepte, bei denen statt einer Rezeptur lediglich auf einen Manhattan Cocktail verwiesen wird mit dem Hinweis, Gin zu verwenden, sind im folgenden mit einem * gekennzeichnet.
Welcher Gin?
Bezüglich des in den historischen Rezepten zu verwendenden Gins stellt sich zwangsläufig die Frage, welcher Gin gemeint ist. Wenn einfach nur „Gin“ angegeben wurde, was meinen die Autoren dann? Einen Old Tom Gin? Einen Holland Gin? David Wondrich schreibt in Imbibe! 2007, daß es keinen Beweis dafür gäbe, daß ungesüßter Gin englischen Stils vor den 1890er Jahren überhaupt in Amerika verfügbar gewesen sei. Stattdessen sei überwiegend holländischer Gin (Genever) verwendet worden oder aber gesüßter (englischer) Old Tom Gin, der jedoch nur in geringen Mengen verfügbar gewesen sei [1]. Was aber soll Byron 1884 sonst gemeint haben, als er in seinem Buch neben „Old Tom Gin“ und „Holland Gin“ eben auch „Gin“ aufführte, wenn nicht einen englischen trockenen Gin? Gerade auch die Verwendung gemeinsam mit französischem Wermut läßt darauf schließen, daß er wirklich einen „Dry Gin“ meinte, denn wie David Wondrich und Gaz Regan mitteilen, läßt sich Genever mit französischem Wermut nicht zufriedenstellend kombinieren – einer der Gründe, warum Genever mehr und mehr an Bedeutung verlor, als trockenere Cocktails beliebter wurden [2]. Byron kann also keinen Genever im Sinn gehabt haben. Bliebe als Alternative ein Old Tom Gin. Diesen fordert er aber bei anderen Rezepten explizit – also bleibt nur ein Dry Gin. Jedenfalls berichtet David Wondrich in Mixology 1/2009, daß im New Yorker Hafen bereits in den 1850er Jahren englischer Gin importiert wurde, und zwar jährlich durchschnittlich 9000 Dreiviertelliterflaschen Old Tom Gin verglichen mit 3,3 Millionen Flaschen holländischem Gin. Im April 1871 hingegen wurde nur noch neunmal soviel holländischer wie englischer Gin angelandet. Auch dort schreibt er, Plymouth und London Dry Gin seien erst in den 1890 Jahren auf dem amerikanischen Markt erschienen, und erst 1899 sei erstmals mehr englischer als holländischer Gin importiert worden [3]. Doch ich habe meine Zweifel. Warum sollen unter den englischen Importen nicht auch Plymouth oder London Dry Gins gewesen sein? Byrons Buch spricht jedenfalls dafür.
Dieselbe Schlußfolgerung kann man übrigens auch aus den übrigen Büchern ziehen. Beispielhaft seien hier die Autoren hervorgehoben, die einen Sweet Plain Martinez Cocktail beschreiben: Zwar kennt Golfrin (1911) nur Gin und Maloney (1900) nur Gin und Holland Gin. Byron (1884) hingegen unterscheidet nach Gin, Holland Gin, Old Tom Gin. Larsen (1899) verwendet Gin, Holland Gin, Old Tom Gin, Old London Gin. Bei Lawlor (1895), Lowe (1904), Stuart (1904), Considine (1912) und Mahoney (1914) kommen Gin, Holland Gin, Old Tom Gin, Plymouth Gin zum Einsatz.
Auch ein Zeitungsartikel aus dem Jahr 1883, in dem es darum geht, welche Mischgetränke man in Chicago trinkt, unterscheidet sehr wohl zwischen Gin ond Old Tom Gin [5] und stützt damit unsere These.
Wie man also annehmen darf, ist dann, wenn einfach nur von einem „Gin“ die Rede ist, wohl ein Dry Gin gemeint; andernfalls geben die Autoren in der Regel explizit Old Tom Gin, Holland Gin oder Plymouth Gin an.
Welcher Wermut?
Ein weiterer kurzer Exkurs sei dem Wermut gewidmet: Es mag erstaunen, daß Byron 1884 einen französischen Wermut und keinen italienischen Wermut verwendet; gemeinhin würde man annehmen wollen, daß ein trockener französischer Wermut erst in späteren Zeiten in die USA exportiert wurde, als die trockeneren Drinks – und damit verbunden der trockene Wermut – beliebter wurden; jedoch ist eine Lieferung französischen Wermuts in die USA bereits 1851 für New Orleans belegt [4].
Sweet Plain Martinez Cocktail
[1884 Byron: The Modern Bartenders‘ Guide]* 1 pony [30 ml] französischer Wermut / 1/2 pony [15 ml] Gin / 3-4 d Angostura Bitters / 3 d Zuckersirup. (Martinez Cocktail, No. 1)
[1895 Lawlor: The Mixicologist] 1/2 jigger [30 ml] Wermut / 1/2 jigger [30 ml] Old Tom Gin / 2 d Orange Bitters / 1 d Zuckersirup. Garnierung: Kirsche. (Martinez Cocktail)
[1911 Golfrin: Manual del Cantinero] 1/2 mittelgroßes Glas [30 ml] Wermut / 1/3 mittelgroßes Glas [20 ml] Gin / 6 Tropfen Angostura Bitters, 2 Teelöffel [10 ml] Zuckersirup. (Martinez Cocktail)
[1912 Considine: The Buffet Blue Book]* 1/2 jigger [30 ml] Wermut / 1/2 jigger [30 ml] Gin / 1 d Abbott‘s Bitters, 1 d Orange Bitters / 1 d Zuckersirup / Zitronenzeste (mitgerührt). (Martinez Cocktail)
[1914 Mahoney: New Bartender’s Guide]* 1/2 wine-glass [30 ml] Wermut / 1/2 wine-glass [30 ml] Gin / 3 d Angostura Bitters / 2 d Zuckersirup. Garnierung: Zitronenzeste. (Manhattan Cocktail)
Schlußfolgerung: Ein Sweet Plain Martinez Cocktail besteht aus Wermut und Gin. Überwiegend wird italienischer Wermut verwendet, häufig auch französischer. Überwiegend wird (Dry) Gin verwendet, selten Old Tom Gin. Sehr häufig werden Wermut und Gin im gleichen Verhältnis eingesetzt, häufig ist der Wermut in der anderthalbfachen Menge vorhanden, manchmal in der doppelten Menge. Hinzu kommen Zuckersirup und Bitters. Überwiegend werden Angostura Bitters verwendet, selten Abbott’s Bitters, Orange Bitters, Peychaud’s Bitters oder Caroni Bitters. Häufig wird eine Zitronenzeste mitgerührt. Manchmal wird garniert, dann mit Zitronenzeste oder Kirsche.
[1887 Thomas: The Bar-Tender’s Guide] 1 wine-glass [60 ml] Wermut / 1 pony [30 ml] Old Tom Gin / 1 d Boker‘s Bitters / 2 d Zuckersirup / 2 d Maraschino. Garnierung: 1/4 Zitronenscheibe. (Martinez Cocktail)
[1888 Lamore: The Bartender] 1 wine-glass [60 ml] Wermut / 1 pony [30 ml] Old Tom Gin / 1 d Boker’s Bitters / 2 d Zuckersirup / 2 d Maraschino. Garnierung: 1/4 Zitronenscheibe. (Martinez Cocktail)
[1912 Paul: American and Other Iced Drinks] 1 wine-glass [60 ml] Wermut / 1 pony [30 ml] Old Tom Gin / 1 d Boker‘s / 2 d Zuckersirup / 2 d Maraschino. Garnierung: Zitronenscheibe. (Martinez Cocktail)
Schlußfolgerung: Ein Sweet Fancy Martinez Cocktail besteht aus italienischem Wermut und Old Tom Gin. Der Wermut-Anteil ist gegenüber dem Old Tom Gin verdoppelt. Hinzu kommt Zuckersirup und Boker’s Bitters, fancy wird er durch Maraschino. Garniert wird mit einer Zitronenscheibe.
Sweet Fancy Martinez Cocktail = Italienischer Wermut + Old Tom Gin + Bitters + Zuckersirup + Maraschino + Garnierung: Zitronenscheibe.
Dry Fancy Martinez Cocktail
[1884 Byron: The Modern Bartenders‘ Guide]* 1/2 wine-glass [30 ml] italienischer Wermut / 1/2 wine-glass [30 ml] Gin / 2 d Angostura Bitters / 2 d Curaçao. (Martinez Cocktail, No. 2)
[1887 Thomas: The Bar-Tender’s Guide] 1 wine-glass [60 ml] Wermut / 1 pony [30 ml] Old Tom Gin / 1 d Boker‘s Bitters/ 2 d Maraschino. Garnierung: 1/4 Zitronenscheibe. (Martinez Cocktail)
[1888 Lamore: The Bartender] 1 wine-glass [60 ml] Wermut / 1 pony [30 ml] Old Tom Gin / 1 d Boker’s Bitters / 2 d Maraschino. Garnierung: 1/4 Zitronenscheibe. (Martinez Cocktail)
[1912 Paul: American and Other Iced Drinks] 1 wine-glass [60 ml] Wermut / 1 pony [30 ml] Old Tom Gin / 1 d Boker‘s / 2 d Maraschino. Garnierung: Zitronenscheibe. (Martinez Cocktail)
Schlußfolgerung: Ein Dry Fancy Martinez Cocktail besteht aus italienischem Wermut und Old Tom oder Dry Gin, wobei Old Tom Gin überwiegt. Der Wermut-Anteil ist dabei bevorzugt verdoppelt, ansonsten steht er mit dem Gin im gleichen Verhältnis. Hinzu kommen Boker’s Bitters oder Angostura Bitters, wobei Boker’s Bitters bevorzugt werden. Fancy wird der Martinez Cocktail durch Maraschino oder Curaçao, der Maraschino kommt dabei häufiger zum Einsatz. Garniert wird mit einer Zitronenscheibe
Dry Fancy Martinez Cocktail = Italienischer Wermut + Dry Gin, Old Tom + Bitters + Maraschino, Curaçao + Garnierung: Zitronenscheibe
Zusammenfassung
Bei 8 Rezepten wurde nur angegeben, der Martinez Cocktail sei ein Manhattan Cocktail, bei dem Whiskey durch Gin ersetzt worden sei. 9 Rezepte geben diesen Hinweis nicht und geben stattdessen ein eigenständiges Rezept. Wir haben festgestellt:
Italienischer Wermut + Old Tom Gin + Bitters + Zuckersirup + Maraschino + Garnierung: Zitronenscheibe.
Dry Fancy Martinez Cocktail
Italienischer Wermut + Dry Gin, Old Tom + Bitters + Maraschino, Curaçao + Garnierung: Zitronenscheibe
Betrachtet man alle Rezepte gemeinsam, können wir allgemein feststellen: Ein Martinez Cocktail besteht aus Wermut und Gin. Dabei wird überwiegend italienischer Wermut verwendet, manchmal auch französischer. Als Gin kommen sehr häufig Old Tom Gin oder Dry Gin zum Einsatz, wobei Dry Gin bevorzugt wird. Insbesondere bei älteren Rezepten ist der Wermut-Anteil verdoppelt, ansonsten sind Wermut und Gin im gleichen Verhältnis. Hinzu kommen Bitters. Sehr häufig sind dies Angostura Bitters, häufig Boker’s Bitters, gelegentlich auch andere Bitters. Für einen Sweet Martinez Cocktail kommt Zuckersirup hinzu, für einen Fancy Martinez Cocktail überwiegend Maraschino, manchmal Curaçao. Gelegentlich wird eine Zitronenzeste mitgerührt. Sehr häufig wird garniert, dann überwiegend mit einer Zitronenscheibe, selten mit Zitronenzeste oder Kirsche.
Der einzige Unterschied ist der, daß für einen Martinez Cocktail kein Absinth und keine Olive genannt wird, dafür aber die Möglichkeit, mit einer Zitronenscheibe zu garnieren.
Abweichend von den Manhattan-Varianten gibt es beim Martinez Cocktail keine explizit angegebenen (oder sich ableitenden) Dry-Plain oder Extra-Dry-Varianten. Der Martinez Cocktail scheint also eher auf der süßen Seite angesiedelt zu sein.
Im nächten Beitrag werden wir uns mit dem Großen Geheimnis beschäftigen, wie Martinez Cocktail und Martini Cocktail miteinander in Verbindung stehen.
Quellen
David Wondrich: Imbibe! From Absinthe Cocktail to WHiskey Smash, A Salute in Stories and Drinks to „Professor“ Jerry Thomas, Pioneer of the American Bar. ISBN 978-0-399-53287-0. New York, 2007. Seite 58-59.
Gaz Regan: The Bartender’s Gin Compendium. ISBN 978-1-4415-4688-3. Ohne Ort, 2009. Seite 31.
David Wondrich: Der Ursprüngliche Cocktail-Gin. Mixology 1/2009, Seite 68-70.
Lowell Edmunds: Martini, Straight Up. Revised Edition. ISBN 0-8018-5971-9. Baltimore, 1998. Seite 78.
Anistatia Miller & Jarred Brown: Spirituous Journey. A History of Drink. Book Two: From Publicans to Master Mixologists. ISBN 978-1-907434-06-8. London, Mixelany, 2009.
Das erste Rezept für einen Martinez Cocktail wird zeitgleich mit dem Manhattan Cocktail 1884 publiziert mit dem Hinweis, ein Martinez Cocktail sei ein Manhattan Cocktail, bei dem der Whiskey durch Gin zu ersetzen sei. Berücksichtigt man gleichzeitig, daß Whiskey gegenüber Gin weitaus beliebter war und die „ältere“ Spirituose war, darf man annehmen, daß der Martinez Cocktail (wie auch der Rob Roy mit Scotch) eine Weiterentwicklung des Manhattan Cocktails ist, der wiederum aus dem Vermouth Cocktail entstanden ist.
Aufgrund ihres Umfangs erfolgt die Veröffentlichung dieser Abhandlung über den Martini Cocktail in mehrere Teilen, die sich wie folgt gestalten:
Es stellt sich nun die Frage, ob die zuvor gegebene Definition eines Manhattan Cocktails wirklich ohne Einschränkung auf einen Martinez Cocktail übertragen werden kann. Bei der Beantwortung dieser Frage hilft ein Blick auf die Rezepturen aus den Zeiten vor der Prohibition. Diejenigen Rezepte, bei denen statt einer Rezeptur lediglich auf einen Manhattan Cocktail verwiesen wird mit dem Hinweis, Gin zu verwenden, sind im folgenden mit einem * gekennzeichnet.
Welcher Gin?
Bezüglich des in den historischen Rezepten zu verwendenden Gins stellt sich zwangsläufig die Frage, welcher Gin gemeint ist. Wenn einfach nur „Gin“ angegeben wurde, was meinen die Autoren dann? Einen Old Tom Gin? Einen Holland Gin? David Wondrich schreibt in Imbibe! 2007, daß es keinen Beweis dafür gäbe, daß ungesüßter Gin englischen Stils vor den 1890er Jahren überhaupt in Amerika verfügbar gewesen sei. Stattdessen sei überwiegend holländischer Gin (Genever) verwendet worden oder aber gesüßter (englischer) Old Tom Gin, der jedoch nur in geringen Mengen verfügbar gewesen sei [1]. Was aber soll Byron 1884 sonst gemeint haben, als er in seinem Buch neben „Old Tom Gin“ und „Holland Gin“ eben auch „Gin“ aufführte, wenn nicht einen englischen trockenen Gin? Gerade auch die Verwendung gemeinsam mit französischem Wermut läßt darauf schließen, daß er wirklich einen „Dry Gin“ meinte, denn wie David Wondrich und Gaz Regan mitteilen, läßt sich Genever mit französischem Wermut nicht zufriedenstellend kombinieren – einer der Gründe, warum Genever mehr und mehr an Bedeutung verlor, als trockenere Cocktails beliebter wurden [2]. Byron kann also keinen Genever im Sinn gehabt haben. Bliebe als Alternative ein Old Tom Gin. Diesen fordert er aber bei anderen Rezepten explizit – also bleibt nur ein Dry Gin. Jedenfalls berichtet David Wondrich in Mixology 1/2009, daß im New Yorker Hafen bereits in den 1850er Jahren englischer Gin importiert wurde, und zwar jährlich durchschnittlich 9000 Dreiviertelliterflaschen Old Tom Gin verglichen mit 3,3 Millionen Flaschen holländischem Gin. Im April 1871 hingegen wurde nur noch neunmal soviel holländischer wie englischer Gin angelandet. Auch dort schreibt er, Plymouth und London Dry Gin seien erst in den 1890 Jahren auf dem amerikanischen Markt erschienen, und erst 1899 sei erstmals mehr englischer als holländischer Gin importiert worden [3]. Doch ich habe meine Zweifel. Warum sollen unter den englischen Importen nicht auch Plymouth oder London Dry Gins gewesen sein? Byrons Buch spricht jedenfalls dafür.
Dieselbe Schlußfolgerung kann man übrigens auch aus den übrigen Büchern ziehen. Beispielhaft seien hier die Autoren hervorgehoben, die einen Sweet Plain Martinez Cocktail beschreiben: Zwar kennt Golfrin (1911) nur Gin und Maloney (1900) nur Gin und Holland Gin. Byron (1884) hingegen unterscheidet nach Gin, Holland Gin, Old Tom Gin. Larsen (1899) verwendet Gin, Holland Gin, Old Tom Gin, Old London Gin. Bei Lawlor (1895), Lowe (1904), Stuart (1904), Considine (1912) und Mahoney (1914) kommen Gin, Holland Gin, Old Tom Gin, Plymouth Gin zum Einsatz.
Auch ein Zeitungsartikel aus dem Jahr 1883, in dem es darum geht, welche Mischgetränke man in Chicago trinkt, unterscheidet sehr wohl zwischen Gin ond Old Tom Gin [5] und stützt damit unsere These.
Wie man also annehmen darf, ist dann, wenn einfach nur von einem „Gin“ die Rede ist, wohl ein Dry Gin gemeint; andernfalls geben die Autoren in der Regel explizit Old Tom Gin, Holland Gin oder Plymouth Gin an.
Welcher Wermut?
Ein weiterer kurzer Exkurs sei dem Wermut gewidmet: Es mag erstaunen, daß Byron 1884 einen französischen Wermut und keinen italienischen Wermut verwendet; gemeinhin würde man annehmen wollen, daß ein trockener französischer Wermut erst in späteren Zeiten in die USA exportiert wurde, als die trockeneren Drinks – und damit verbunden der trockene Wermut – beliebter wurden; jedoch ist eine Lieferung französischen Wermuts in die USA bereits 1851 für New Orleans belegt [4].
Sweet Plain Martinez Cocktail
[1884 Byron: The Modern Bartenders‘ Guide]*
1 pony [30 ml] französischer Wermut / 1/2 pony [15 ml] Gin / 3-4 d Angostura Bitters / 3 d Zuckersirup. (Martinez Cocktail, No. 1)
[1895 Lawlor: The Mixicologist]
1/2 jigger [30 ml] Wermut / 1/2 jigger [30 ml] Old Tom Gin / 2 d Orange Bitters / 1 d Zuckersirup. Garnierung: Kirsche. (Martinez Cocktail)
[1899 Larsen: Les Boissons Américaines]
1/2 Madeiraglas [30 ml] französischer Wermut / 1/3 Madeiraglas [20 ml] Gin / 6 Tropfen Angostura Bitters / 2 Kaffeelöffel [10 ml] Zuckersirup. (Martinez Cocktail)
[1900 Maloney: The 20th Century Guide For Mixing Fancy Drinks]*
1/2 wine-glass [30 ml] Wermut / 1/2 wine-glass [30 ml] Gin / 1-2 d Orange Bitters, 1-2 d Peychaud‘s Bitters / 1 Teelöffel [5 ml] Zuckersirup. Zitronenzeste (mitrühren). (Martinez Cocktail)
[1904 Lowe: Drinks As They Are Mixed]*
1/2 jigger [30 ml] Wermut / 1/2 jigger [30 ml] Gin / 1 d Angostura Bitters / 1/2 Barspoon [2,5 ml] Zuckersirup / Zitronenzeste (mitrühren) (Martinez Cocktail)
[1904 Stuart: Stuart’s Fancy Drinks]*
1 pony [30 ml] französischer Wermut / 1/2 pony [15 ml] Gin / 3-4 dashes Angostura Bitters / 3 d Zuckersirup. (Martinez Cocktail No. 1)
[1911 Doménech: El Arte del Cocktelero Europeo]
1/2 Madeiraglas [30 ml] [französischer] Noilly Wermut / 1/3 Madeiraglas [20 ml] Cognac [sic!] / 6 Tropfen Angostura Bitters / 2 Teelöffel [10 ml] Zuckersirup. (Martínez Cocktail)
[1911 Golfrin: Manual del Cantinero]
1/2 mittelgroßes Glas [30 ml] Wermut / 1/3 mittelgroßes Glas [20 ml] Gin / 6 Tropfen Angostura Bitters, 2 Teelöffel [10 ml] Zuckersirup. (Martinez Cocktail)
[1912 Considine: The Buffet Blue Book]*
1/2 jigger [30 ml] Wermut / 1/2 jigger [30 ml] Gin / 1 d Abbott‘s Bitters, 1 d Orange Bitters / 1 d Zuckersirup / Zitronenzeste (mitgerührt). (Martinez Cocktail)
[1914 Mahoney: New Bartender’s Guide]*
1/2 wine-glass [30 ml] Wermut / 1/2 wine-glass [30 ml] Gin / 3 d Angostura Bitters / 2 d Zuckersirup. Garnierung: Zitronenzeste. (Manhattan Cocktail)
Schlußfolgerung: Ein Sweet Plain Martinez Cocktail besteht aus Wermut und Gin. Überwiegend wird italienischer Wermut verwendet, häufig auch französischer. Überwiegend wird (Dry) Gin verwendet, selten Old Tom Gin. Sehr häufig werden Wermut und Gin im gleichen Verhältnis eingesetzt, häufig ist der Wermut in der anderthalbfachen Menge vorhanden, manchmal in der doppelten Menge. Hinzu kommen Zuckersirup und Bitters. Überwiegend werden Angostura Bitters verwendet, selten Abbott’s Bitters, Orange Bitters, Peychaud’s Bitters oder Caroni Bitters. Häufig wird eine Zitronenzeste mitgerührt. Manchmal wird garniert, dann mit Zitronenzeste oder Kirsche.
Sweet Plain Martinez Cocktail = Wermut + Dry Gin + Bitters + Zuckersirup (+ mitgerührte Zitronenzeste) (+ Garnierung: Zitronenzeste, Kirsche)
Sweet Fancy Martinez Cocktail
[1887 Thomas: The Bar-Tender’s Guide]
1 wine-glass [60 ml] Wermut / 1 pony [30 ml] Old Tom Gin / 1 d Boker‘s Bitters / 2 d Zuckersirup / 2 d Maraschino. Garnierung: 1/4 Zitronenscheibe. (Martinez Cocktail)
[1888 Lamore: The Bartender]
1 wine-glass [60 ml] Wermut / 1 pony [30 ml] Old Tom Gin / 1 d Boker’s Bitters / 2 d Zuckersirup / 2 d Maraschino. Garnierung: 1/4 Zitronenscheibe. (Martinez Cocktail)
[1912 Paul: American and Other Iced Drinks]
1 wine-glass [60 ml] Wermut / 1 pony [30 ml] Old Tom Gin / 1 d Boker‘s / 2 d Zuckersirup / 2 d Maraschino. Garnierung: Zitronenscheibe. (Martinez Cocktail)
Schlußfolgerung: Ein Sweet Fancy Martinez Cocktail besteht aus italienischem Wermut und Old Tom Gin. Der Wermut-Anteil ist gegenüber dem Old Tom Gin verdoppelt. Hinzu kommt Zuckersirup und Boker’s Bitters, fancy wird er durch Maraschino. Garniert wird mit einer Zitronenscheibe.
Sweet Fancy Martinez Cocktail = Italienischer Wermut + Old Tom Gin + Bitters + Zuckersirup + Maraschino + Garnierung: Zitronenscheibe.
Dry Fancy Martinez Cocktail
[1884 Byron: The Modern Bartenders‘ Guide]*
1/2 wine-glass [30 ml] italienischer Wermut / 1/2 wine-glass [30 ml] Gin / 2 d Angostura Bitters / 2 d Curaçao. (Martinez Cocktail, No. 2)
[1887 Thomas: The Bar-Tender’s Guide]
1 wine-glass [60 ml] Wermut / 1 pony [30 ml] Old Tom Gin / 1 d Boker‘s Bitters/ 2 d Maraschino. Garnierung: 1/4 Zitronenscheibe. (Martinez Cocktail)
[1888 Lamore: The Bartender]
1 wine-glass [60 ml] Wermut / 1 pony [30 ml] Old Tom Gin / 1 d Boker’s Bitters / 2 d Maraschino. Garnierung: 1/4 Zitronenscheibe. (Martinez Cocktail)
[1904 Stuart: Stuart’s Fancy Drinks]*
1/2 wine-glass [30 ml] italienischer Wermut / 1/2 wine-glass [30 ml] Gin / 2 d Angostura Bitters / 2 d Curaçao. (Martinez Cocktail No. 2)
[1912 Paul: American and Other Iced Drinks]
1 wine-glass [60 ml] Wermut / 1 pony [30 ml] Old Tom Gin / 1 d Boker‘s / 2 d Maraschino. Garnierung: Zitronenscheibe. (Martinez Cocktail)
Schlußfolgerung: Ein Dry Fancy Martinez Cocktail besteht aus italienischem Wermut und Old Tom oder Dry Gin, wobei Old Tom Gin überwiegt. Der Wermut-Anteil ist dabei bevorzugt verdoppelt, ansonsten steht er mit dem Gin im gleichen Verhältnis. Hinzu kommen Boker’s Bitters oder Angostura Bitters, wobei Boker’s Bitters bevorzugt werden. Fancy wird der Martinez Cocktail durch Maraschino oder Curaçao, der Maraschino kommt dabei häufiger zum Einsatz. Garniert wird mit einer Zitronenscheibe
Dry Fancy Martinez Cocktail = Italienischer Wermut + Dry Gin, Old Tom + Bitters + Maraschino, Curaçao + Garnierung: Zitronenscheibe
Zusammenfassung
Bei 8 Rezepten wurde nur angegeben, der Martinez Cocktail sei ein Manhattan Cocktail, bei dem Whiskey durch Gin ersetzt worden sei. 9 Rezepte geben diesen Hinweis nicht und geben stattdessen ein eigenständiges Rezept. Wir haben festgestellt:
Sweet Plain Martinez Cocktail
Wermut + Dry Gin + Bitters + Zuckersirup (+ mitgerührte Zitronenzeste) (+ Garnierung: Zitronenzeste, Kirsche)
Sweet Fancy Martinez Cocktail
Italienischer Wermut + Old Tom Gin + Bitters + Zuckersirup + Maraschino + Garnierung: Zitronenscheibe.
Dry Fancy Martinez Cocktail
Italienischer Wermut + Dry Gin, Old Tom + Bitters + Maraschino, Curaçao + Garnierung: Zitronenscheibe
Betrachtet man alle Rezepte gemeinsam, können wir allgemein feststellen: Ein Martinez Cocktail besteht aus Wermut und Gin. Dabei wird überwiegend italienischer Wermut verwendet, manchmal auch französischer. Als Gin kommen sehr häufig Old Tom Gin oder Dry Gin zum Einsatz, wobei Dry Gin bevorzugt wird. Insbesondere bei älteren Rezepten ist der Wermut-Anteil verdoppelt, ansonsten sind Wermut und Gin im gleichen Verhältnis. Hinzu kommen Bitters. Sehr häufig sind dies Angostura Bitters, häufig Boker’s Bitters, gelegentlich auch andere Bitters. Für einen Sweet Martinez Cocktail kommt Zuckersirup hinzu, für einen Fancy Martinez Cocktail überwiegend Maraschino, manchmal Curaçao. Gelegentlich wird eine Zitronenzeste mitgerührt. Sehr häufig wird garniert, dann überwiegend mit einer Zitronenscheibe, selten mit Zitronenzeste oder Kirsche.
Martinez Cocktail
Wermut + Dry Gin, Old Tom Gin + Bitters (+ Zuckersirup) (+ Maraschino, Curaçao) (+ mitgerührte Zitronenzeste) (+ Garnierung: Zitronenscheibe, Zitronenzeste, Kirsche)
Diese Definition entspricht ziemlich genau der zuvor abgeleiteten für einen Manhattan Cocktail:
Manhattan Cocktail
Wermut + Whiskey + Bitters (+ Zuckersirup) (+ Curaçao, Maraschino, Absinth) (+ mitgerührte Zitronenzeste) (+ Garnierung: Zitronenzeste, Kirsche, Olive)
Der einzige Unterschied ist der, daß für einen Martinez Cocktail kein Absinth und keine Olive genannt wird, dafür aber die Möglichkeit, mit einer Zitronenscheibe zu garnieren.
Abweichend von den Manhattan-Varianten gibt es beim Martinez Cocktail keine explizit angegebenen (oder sich ableitenden) Dry-Plain oder Extra-Dry-Varianten. Der Martinez Cocktail scheint also eher auf der süßen Seite angesiedelt zu sein.
Im nächten Beitrag werden wir uns mit dem Großen Geheimnis beschäftigen, wie Martinez Cocktail und Martini Cocktail miteinander in Verbindung stehen.
Quellen
Weiterführende Literatur
explicit capitulum
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