Wir haben in der Vergangenheit den falschen Calvados verwendet. Immer, wenn in den alten Büchern von diesem die Rede war, haben wir Calvados V.S.O.P. verwendet. Doch Calvados ist nicht gleich Calvados. Man sollte nämlich einen ungelagerten Brand verwenden.
Die Appelation Calvados Pays d’Auge wurde erst im Jahr 1942 geschaffen, und zu jener Zeit gab es keine Auflagen für Mindestzeiten des Faßausbaus; man trank Calvados in der Regel ungelagert. Erst in späteren Zeiten erweiterte man die Vorschriften, so daß schließlich eine Lagerung im Eichenfaß von mindestens zwei Jahren Dauer vorgeschrieben ist. [1] Doch wie kam es dazu? Was ist die Vorgeschichte des Calvados‘? Und was bedeutet das für uns?
Die Herstellung von Apfelwein ist für die Normandie bereits im achten Jahrhundert schriftlich belegt. Man nennt ihn dort Cidre. [2-134] Apfelwein gibt es jedoch schon viel länger. Er wurde bereits im antiken Griechenland konsumiert, und auch von den Römern genossen. [4-30] Im Mittelalter breitete sich das Wissen der Destillation in Europa aus, und in der Normandie und der Bretagne begann man damit, den Cidre zu brennen. Erstmals wird dies im Jahr 1553 erwähnt, in Aufzeichnungen von Gilles de Gouberville, der davon berichtete, daß man in Le Mesnilau-Val „Eau de Vie de Sydre“ brannte. [2-134] [3]
1588 zerschellte die Galleone El Calvador an der normannischen Küste, und deren Name wurde auf ein bisher namenloses Riff übertragen, das seitdem als „Plateau du Calvados“ bekannt ist. Die Bezeichnung Calvados wurde später aus unbekannten Gründen auf die gesamte Gegend übertragen und wurde vermutlich im 17. Jahrhundert als Bezeichnung für den eau de vie de cidre von den ortsansässigen Apfelbauern übernommen. [2-134] [2-135] Anderen Angaben zufolge geschah dies erst um 1880. [3]
Während der Reblausplage in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebte dieser Brand einen Aufschwung, da klassische Traubendestillate nicht mehr in den benötigten Mengen bereitgestellt werden konnten. Bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges wuchs die Obstwirtschaft der Normandie. Während des Krieges war der kriegswichtige Alkohol der Industrie vorbehalten, und auch zwischen 1918 und 1939 brachte keine Besserung. Während der deutschen Besatzung wurde der Alkohol konfisziert, der keine geschützte Herkunftsbezeichnung besaß. Calvados hatte diese nicht, und so wurde Calvados 1942 unter Federführung des aus der Normandie stammenden französischen Landwirtschaftsministers Jaques Le Roy Ladurie im Jahr 1942 gesetzlich geschützt. [2-135] [3]
Was bedeutet dies? Da „Calvados“ früher in der Regel ungelagert getrunken wurde, sollte man in den alten Rezepten auch ungelagerten Apfelbrand verwenden, keinen faßgereiften. So weit die Theorie. Wir haben zahlreiche Mischgetränke aus alten Zeiten verkostet, darunter Angel’s Face, Diki-Diki, Klondike Cocktail, Roulette Cocktail und Stone Fence, und die Praxis bestätigt die Theorie. Mit einem ungelagerten Apfelbrand schmeckt es besser. Dabei kann man ganz klassisch auf einen eau de vie de cidre aus der Normandie greifen, denn Christian Drouin produziert einen solchen seit 2003 unter dem namen „La Blanche“.
Gleiches mag auch für amerikanischen Applejack gelten, denn 1922 schreibt Robert Vermeire in seinem Buch „Cocktails“: „In den U.S.A. wird Apple Jack Brandy auch Jersey Lightning genannt. In Frankreich nennt man ihn gewöhnlich Calvados“
– „In the U.S.A. Apple Jack Brandy is also called Jersey Lightning. In France they usually call it Calvados“
Betrachtet man die Ursprünge des Applejacks, ist dieser Schluß naheliegend, denn wie in unserem Beitrag zum Stone Fence dargelegt, gewann man ihn durch das Einfrieren von Cider im Winter. Im Sommer wird man die so gewonnene Spirituose dann, ohne lange Faßlagerung, aufgebraucht haben.
Quellen
- https://www.calvados-drouin.com/de/product/49/la-blanche La Blanche von Christian Drouin.
- Thomas Majhen: Die Barfibel. ISBN 978-3-8442-5233-0. Veröffentlicht 2012.
- https://de.wikipedia.org/wiki/Calvados_(Getr%C3%A4nk) Calvados (Getränk).
- David Wondrich & Noah Rothbaum: The Oxford companion to spirits & cocktails. ISBN 9780199311132. Oxford University Press, 2022.
explicit capitulum
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Sehr interessant, danke dafür!
Da stellt sich mir dann doch die Frage: Muss es unbedingt ein Calvados sein, oder funktioniert ein heimischer Apfelbrand (gute Qualität vorausgesetzt) genausogut?
Hallo Moritz,
ich denke, ein Apfelbrand funktioniert genauso gut. Es kommt eben wie immer auf die Qualität an, und auch wie gut er sich als Zutat integriert. Versuch es einfach mal 🙂