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Gin & Tonic – Teil 1 – Chinarinde, Chinin und Malaria

Gin & Tonic 1 - Titelbild.

Chinin ist ein wesentlicher Bestandteil eines Gin & Tonics. Beginnen wir also unsere Abhandlung zunächst mit Chinarinde, Chinin und Malaria.

Der Chinarindenbaum

Cinchona officinalis - Anonymus: A description of the genus Cinchona. 1797, Seite 15.
Cinchona officinalis – Anonymus: A description of the genus Cinchona. 1797, Seite 15. [26-15]

Zur Gattung Cinchona, unter der die Chinarindenbäume zusammengefaßt werden, gehören rund 25 Arten. Ihr ursprüngliches Verbreitungsgebiet liegt in den Bergregionen von Zentralamerika – in Costa Rica und Panama – und denen im westlichen Südamerika – Bolivien, Kolumbien, Ecuador, Peru, Venezuela und Brasilien. [2-14] [2-15] [3]

Die Rinde der Chinarindenbäume hilft gegen Malaria, und zwar durch das darin enthaltene Alkaloid namens Chinin. [2-11] Der Chiningehalt der Rinde unterscheidet sich bei den verschiedenen Arten, abhängig von Genetik und Umgebung. Untereinander bilden sie Hybride, so daß sie sich schwer auseinanderhalten lassen. [2-44] [2-45]

Die Heilwirkung von Chinarinde

Man weiß nicht, wer die heilende Wirkung von Chinarinde entdeckte. In den spanischen Aufzeichnungen aus der Zeit der Eroberung Südamerikas fehlt eine Beschreibung der Chinarinde. Die Heilwirkung anderer Pflanzen hingegen wird beschrieben. Die erste Quelle, die darüber berichtet, daß Malaria mit Chinarinde behandelt wird, stammt von Antonio de la Calancha, einem Ordensbruder der Augustiner in Peru. 1633 schrieb er über einen Baum, den man Fieberbaum, „arbol de calenturas“, nenne, und dessen zimtfarbene, zu Pulver zermahlene Rinde, als Getränk verabreicht, Fieber und zyklisch wiederkehrende Fieber heile und in Lima wundersame Ergebnisse hervorgebracht hätte. [2-16] Zyklisch wiederkehrende Fieber sind auch für eine Malariaerkrankung typisch. [2-16] Malaria stammt aus Afrika und erreichte den südamerikanischen Kontinent erst zusammen mit Europäern und westafrikanischen Sklaven und etablierte sich dort schnell in den tieferliegenden Küstengebieten. [2-17] [13]

Es war wohl nicht Antonio de la Calancha, der die Wirkung von Chinarinde entdeckte. Dies geschah vermutlich schon mindestens 60 Jahre vor seiner Aufzeichnung, also um 1570 oder früher, und man meint, dies müsse in der hochgelegenen Gegend um Loja, einer Stadt in Ecuador, geschehen sein. In zwei Büchern, die 1574 und 1600 veröffentlicht wurden, gibt es einen Hinweis auf einen unbekannten Baum, dessen Beschreibung dem eines Chinarindenbaums sehr ähnelt. Um Loja wachsen Chinarindenbäume, und die Region war im 18. Jahrhundert für die hervorragende Qualität seiner Chinarinde bekannt. [2-17]

Sigmund Graf: Die Fieberrinden in botanischer, chemischer und pharmaceutischer Beziehung. 1824, Seite 1-4.
Sigmund Graf: Die Fieberrinden in botanischer, chemischer und pharmaceutischer Beziehung. 1824, Seite 1-4. [19-1] [19-2] [19-3] [19-4]

Sigmund Graf berichtet 1824 in seinem Buch über Fieberrinden über die Entdeckung der Chinarinde. Wir könnten es nicht besser formulieren, und deshalb lassen wir ihn selbst zu Wort kommen: „Da gewöhnlich die Entdeckungsperiode der meisten Heilmittel, besonders aus dem Gebiethe des Pflanzenreichs in ein tiefes Dunkel gehüllt ist, so ist auch über die eigentliche Entdeckung der Fieberrinde nichts zuverlässiges bekannt. Das meiste, was uns bekannt ist, beruht auf Sagen, die zum Theil fabelhaft, zum Theil nach der Ueberzeugung späterer Reisenden nach dem südlichen Amerika mit den dortigen Local- und andern Verhältnissen im Widerspruche sind. De  la Condamine (Memoires de l’Academie des sciences de Paris 1738, p. 233) erzählt eine alte, am wenigsten glaubwürdige Sage, nach welcher amerikanische, ungemähnte Löwen (Felis concolor) die erste Ursache der Entdeckung der Fieberrinde gewesen seyn sollen, indem sie fieberkrank instinktmässig von ihr gekaut und geheilt worden seyn sollen. Geoffroy (Tractatus de materia medica T. 2. p. 78) sagt, es wären einige Fieberrindenbäume vom Winde umgeworfen in einen Sumpf gefallen, und hätten dem Wasser eine solche Bitterkeit mitgetheilt, dass Niemand davon trinken konnte, bis endlich ein Eingeborner am heftigsten Fieber leidend, seinen Ekel überwunden, und da er kein anderes fand, von diesem Wasser getrunken hatte. Er soll hierauf geheilt worden seyn, und seine Mitbrüder mit den Heilkräften der Fieberrinde bekannt gemacht haben. Hyppolit Ruiz (Quinologia, ò tratado del‘ arbol de la Quina. Madrid 1792., in’s italienische übersetzt unter dem Titel: Della China e delle altre sue specie nuovamente scoperte e descritte da D. Ippolito Ruiz. Roma 1792., und deutsch: Von dem officinellen Fieberrindenbaume und den andern Arten desselben von Prof. Osiander. Göttingen. 1794. S. 16 *)) endlich, der als erster Botaniker im Jahre 1777 auf Befehl des spanischen Hofes eine botanische Entdeckungsreise, begleitet von Joseph Pavon und Dombey nach Peru unternahm, und die Fieberrindenbäume, so wie die Untersuchung all dessen, was darauf Bezug hatte, ihm als der wichtigste Gegenstand seiner Reise anempfohlen wurde, erzählt Folgendes, was er während seines Aufenthaltes in Peru von glaubwürdigen Personen sehr oft gehört: Im Jahre 1636 habe ein Indianer der Provinz Loxa dem Corregidor von Loxa, Don Juan Lopez de Cannizares, der an einem kalten Fieber krank lag, die guten Eigenschaften der Fieberrinde angerühmt. Der Corregidor sich nach der baldigen Erhaltung seiner Gesundheit sehnend, liess sich von diesem Indianer etwas von der Rinde, nebst der Verfahrungsart sie zu gebrauchen, geben. Er befolgte die angegebene Vorschrift, welche darin bestand, die Rinde mit einer beliebigen Menge kalten Wassers aufzugiessen oder zu kochen, und zu wiederhohlten Mahlen davon zu trinken, und genas in wenigen Tagen vollkommen von seiner langwierigen Krankheit. Als der Corregidor hierauf im Jahre 1638 vernahm, dass die Vicekönigin von Peru an einem dreytagigen Fieber krank liege, schrieb er an ihren Gemahl Don Geronimo Fernandez de Cabrera, Bobadella y Mendoza, Grafen von Cinchon, und schickte ihm von dieser Rinde, nebst einer Anzeige ihrer Wirkung und der Verfahrensart sie zu gebrauchen. Der Vicekönig liess in den Hospitälern von Lima mehrere Versuche damit anstellen, und da alle dem eingeschickten Berichte vollkommen entsprachen, liess er auch seine Gemahlinn davon gebrauchen, welche vollkommen genas. Ueberzeugt von den damahls wunderbaren Heilkräften der Rinde, liess nun die Gräfinn von Chinchon diese Rinde unentgeltlich austheilen, woher dieses Mittel zuerst den Nahmen Pulver der Gräfinn (Pulvis Comitissae) erhielt. Als sie später mit ihrem Gemahl nach Europa reiste, gab sie den Jesuiten eine bedeutende Menge Fieberrinde, nebst dem Auftrage, sie zu vertheilen, welche es auch thaten und woher der Nahme Jesuiten-Pulver (Pulvis Jesuiticus aut Patrum) entstand. Die Jesuiten schickten auch von dieser Rinde an den damahligen Cardinal de Lugo nach Rom, woselbst sie zuerst in der Apotheke des römischen Collegiums zum Gebrauche armer Religiosen in Anwendung gebracht wurde. Der Cardinal selbst soll aber auf einer Reise nach Frankreich den Dauphin und nachherigen König Ludwig den XIV. von einem Fieber befreyt haben, woher der Nahme Cardinalis-Pulver (Pulvis Cardinalis). Der Leibarzt des Grafen von Chinchon Joh. de Vega, brachte im Jahre 1640 die Fieberrinde zuerst nach Spanien und verkaufte das Pfund um 5 Scudi. Bald darauf stieg sie aber so im Preise, dass sie in Rom dem Silber gleich gehalten wurde, und man das Pfund Rinde mit einem Pfund Silber bezahlte.“ [18-59] [18-60] [19-1] [19-2] [19-3] [19-4]

Alexander von Humboldt Über die Chinawälder in Südamerika. 1807, Seite 59.
Alexander von Humboldt Über die Chinawälder in Südamerika. 1807, Seite 59. [18-59]

Von der letzteren Geschichte über die Heilung der Gräfin gibt es zahlreiche Varianten. Die Gattin des Vizekönigs von Peru, der auch der vierte Graf von Cinchon war, Doña Francisca Henríques de Ribera, lag um 1630, manche sagen 1638,  mit Fieber auf ihrem Sterbebett, als sie entweder von einem peruanischen Dienstmädchen oder einer Amtsperson oder vom Jesuitenpater und Leibarzt des Vizekönigs,  Juan de Vega, eine Dosis Chinarinde erhielt. Auf wundersame Weise setzte daraufhin die Heilung ein. Sie kehrte dann nach Europa zurück, um die Chinarinde dort an leidende Personen weiterzugeben. So weit die Legende – doch weder in den detaillierten Tagebüchern ihres Mannes ist ihre Krankheit verzeichnet, noch kann sie nach Europa zurückgekehrt sein, denn sie verstarb vor ihrer Rückkehr nach Spanien. Diese Geschichte scheint also auch nicht zu stimmen. [2-20] [3] [5] Alexander von Humboldt kommt treffend zu dem Schluß: „Die so oft nachgeschriebene Geschichte der Gräfin Chinchon, Vicekönigin von Peru, ist wohl noch zweifelhafter als man gemeinhin glaubt.“ [18-59]

Andere hingegen sagen, es sei die erste Frau des Vizekönigs, Anna de Osorio, gewesen, die mit Chinarinde geheilt worden sei. Sie verstarb jedoch schon 1625, und ihr Gatte wurde erst 1629 Vizekönig von Portugal. [6]

Sigmund Graf: Die Fieberrinden in botanischer, chemischer und pharmaceutischer Beziehung. 1824, Seite 13-14.
Sigmund Graf: Die Fieberrinden in botanischer, chemischer und pharmaceutischer Beziehung. 1824, Seite 13-14. [19-13] [19-14]

Auch an den anderen Überlieferungen kann man zweifeln: „Nachdem Humboldt alle Hypothesen über die Entdeckung der Wirksamkeit der Fieberrinde abhandelt, so glaubt er zwar, dass die Rinde durch die Gräfinn v. Chinchon zuerst nach Europa gebracht wurde, zweifelt aber dass der Corregidor von Loxa solche durch einen Eingebornen kennen lernte. Denn es herrscht daselbst nicht nur keine mündliche Überlieferung dieser Art, sondern den Amerikanern, die mit unabänderlicher Beharrlichkeit an ihren hergestammten Sitten und Gebräuchen hängen, ist der Gebrauch der Fieberrinde gänzlich unbekannt. Humboldt sagt, in den tiefen und heissen Gebirgsthälern von Catamajo, Rio Calvas, und Macara sind Wechselfieber sehr gemein, aber die Eingebornen, zu welcher Kaste sie gehören mögen, sterben lieber als dass sie die Fieberrinde gebrauchen sollten, die sie zur Classe der Branderregenden Gifte zählen. In Malacates, wo viele Cascarilleros (Chinarinden-Schäler) wohnen, fängt sie an in Aufnahme zu kommen. Dagegen herrscht aber in Loxa die alte Sage, dass die Jesuiten nach Landessitte beym Holzfällen durch Kauen der Rinde die verschiedenen Baumarten unterschieden haben, und so wegen ihrer Bitterkeit, da unter den Missionären stets sich Arzeneykundige befanden, sie anfingen im dreytagigen Fieber als Aufguss zu geben.“ [19-13] [19-14] „Von 1638 bis 1776 kam alle Fieberrinde von Loxa aus nach Europa, später wurde sie aber auch nördlich vom Äquator entdeckt, und zwar zwischen Loxa, Quito und Santa Fe de Bogota… “ [18-65] [19-14]

Die Bezeichnung

Die Geschichte der Vizekönigin, sei es nun welche auch immer, war jedenfalls populär, und so ehrte Carl von Linné in seinem 1742 erschienenen Buch „Genera Plantarum“ die Gattin des peruanischen Vizekönigs, die durch Heirat zur Gräfin von Chinchón geworden war, indem er die Gattung nach ihr benannte. Jedoch schrieb er leider ihren Namen falsch. Er vergaß ein „h“, und so heißt die Gattung noch heute Cinchona anstatt Chinchona. [2-20] [3] [4-527] [19-9]

Die deutsche Bezeichnung Chinarindenbaum hat nichts mit China zu tun. Wahrscheinlich liegt der Wortursprung im Quechua-Wort kina-kina, auch quina-quina geschrieben, was so viel bedeutet wie „Rinde der Rinden“, bezugnehmend auf die als Heilmittel gebrauchte Rinde des Roten Chinarindenbaums. [3]

Chinarinde wurde jedoch auch unter vielen anderen Namen verkauft, darunter fever tree (Fieberbaum), quina, calisaya, Peruvian bark oder jesuit’s bark. Man stufte sie manchmal aufgrund ihrer Farbe ein, und man sagte, die beste sei rot gefärbt, die schlechtere gelb und grau. Oft wurde die Rinde auch verwechselt mit der eines anderen medizinisch wirksamen Baumes, dem Balsambaum Myroxylon balsamum. [2-21] [7]

Verwendung als Medizin in Europa

Um 1640 begann man damit, die Rinde nach Europa zu exportieren, [2-20] so sagen es Kim Walker und Mark Nesbitt. Doch sie müssen irren. Der Franzose Michel de Montaigne schreibt in seinem Zweiten Buch der Essais, also in den 1580er Jahren, bereits: „Wir schätzen ja, hat ein sehr bedeutender Arzt gesagt, eine uns verständliche Behandlungsmethode ebensowenig wie die Kräuter, die wir selber sammeln. Falls es bei den Völkern, von denen wir das Guajakharz, die Stechwinde und die Chinarinde beziehn, Ärzte geben sollte, kann man sich denken, welch ungeheuren Wert man dort infolge der gleichen Vergötterung des Fremdartigen, Seltnen und Kostspieligen auf unsern Kohl und unsre Petersilie legen wird! Wer würde es schon wagen, Dinge zu verachten, die man aus derart fernen Ländern holt und die eine derart lange und gefährliche Überfahrt hinter sich haben?[14-383]

Nicht überall jedoch mochte man die Medizin annehmen und verwenden. In Britannien beispielsweise wollte ein wahrer Protestant zunächst nichts mit  einer katholischen Medizin zu tun haben. Jean-Jaques Chifflet schrieb über Chinarinde als einen „päpstlichen Betrug“. [2-21] Ungeachtet dieser Widernisse wurde Chinarinde schließlich aufgrund ihrer Wirksamkeit als Standardmedizin in Europa anerkannt. Beispielsweise berichtete bereits im Jahr 1677 die Pharmacopoeia Londinensis, daß Chinarinde gegen alle Arten von Fieber helfe [2-22] und Mitte des 18. Jahrhunderts wurde Chinarinde weithin als Mittel gegen Wechselfieber angesehen. [2-32]

Interessanterweise gibt es Hinweise darauf, daß man in Britannien Wechselfieber mit Wermut behandelte, beispielsweise mit Artemisia vulgaris oder Artemisia abrotanum. Auch in China wurde vor 2000 Jahren Wermut als Heilmittel gegen derartige Fieber beschrieben. Noch heute verwendet man Extrakte von Artemisia annua als modernes Heilmittel gegen Malaria. [2-23]

Einige Bekanntheit erlangte auch Robert Talbors Heilmittel, das man  „English Remedy“ nannte. Er lebte von 1642 bis 1681, durchlief eine Apothekerlehre, wechselte an die Universität, und entwickelte dort ein Interesse an der Behandlung von Fiebern. 1668 zog er nach Essex, experimentierte mit Heilmethoden und entwickelte eine eigene Medizin, von der er sagte, sie sei sicherer einzusetzen als reine Chinarinde. Sein Rezept hielt er geheim. Unter den von ihm Geheilten befand sich auch ein französischer Offizier, der darüber mit König Charles II. sprach. So kam es, daß Richard Talbor an dessen Hof eingeladen wurde. Nachdem er auch den König geheilt hatte, wurde er 1678 zum Ritter geschlagen und nach Frankreich gesandt. Dort wurde König Louis XIV. auf ihn aufmerksam und wollte das Rezept des Heilmittels erhalten. Er erhielt es mit der Auflage, es erst nach Roberts Tod zu veröffentlichen. Robert Talbor kehrte 1681 an die Universität von Cambridge zurück und verstarb im selben Jahr. Im Folgejahr, 1682, wurde die Rezeptur seiner English Remedy veröffentlicht. [2-22] Es wurde so bekannt, daß sein Heilmittel nicht nur Chinarinde enthielt und auf Basis eines Weines hergestellt wurde, sondern neben Petersilie und Anissamen auch schmerzlinderndes Opium beinhaltete. [2-23] [16] [19-5] Die Herstellung eines Chinin-Weines geht also mindestens auf diese Zeit zurück.

Es war nichts Ungewöhnliches, die bittere Chinarinde mit anderen Dingen zu vermischen. Sie wurde gemahlen und dann als Pille eingenommen oder in Portwein aufgelöst getrunken. Die Bitterkeit maskierte man durch Kräuter und Zimt, Nelken, oder Orangenschalen, und man gab auch Zucker oder Honig hinzu. [2-23]

Anbau von Chinarindenbäumen

Anfänglich wurde Chinarinde in den Wäldern der Anden geerntet. Doch die politische Situation in Südamerika wurde im frühen 19. Jahrhundert instabil, als man dort von Spanien unabhängig sein wollte. [2-41] Deshalb selektierte man chininreiche Bäume und versuchte sie, in anderen Kolonien anzubauen. Bereits 1813 schlug man vor, in Indien Chinarindenbäume anzupflanzen, [2-45] denn der Bedarf an Chinin und Chinarinde war enorm. In den 1840er Jahren verbrauchten die britischen Bürger und Soldaten in Indien jährlich 700 Tonnen Chinarinde. [24] 1859 gab die indische Regierung viel Geld für importierte Chinarinde aus, [2-48] und man hielt einen eigenen Anbau für dringlich geraten. 1860 stahl man Pflanzen und Samen in Peru und Ecuador, und schickte sie über Kew, einen Stadtteil Londons, nach Indien. [2-49] Auch auf dem niederländisch kontrollierten Java wurden Chinarindenbäume kultiviert. [2-52] Bis zur ersten Ernte in den Kolonien vergingen jedoch weitere 15 Jahre. [2-52] Doch 1883 dominierte Chinarinde aus Süd- und Südostasien den Markt. [2-53]

Schon bald, um 1890, wurden die Malariaparasiten jedoch in einigen Gegenden gegen Chinin resistent. [2-57]

Chinin

1820 gelang es Joseph Bienaimé Caventou und Pierre-Joseph Pelletier, die ersten beiden der vier in Chinarinde enthaltenen Alkaloiden aus der Rinde mittels Alkohol zu extrahieren. Sie nannten sie cinchonine und quinine. Mit dem extrahierten Wirkstoff war es möglich, die Menge genauer zu dosieren. [2-11] [2-45] [8] [19-49] [19-50] Er wurde 1823 erstmals vom Apotheker Friedrich Koch in Oppenheim im industriellen Maßstab aus der Rinde von Cinchona-Arten gewonnen. [8]

Chinin löst sich in Alkohol besonders gut und weniger gut in Wasser. Die Encyclopaedia Britannica gibt 1911 an, daß das im Handel übliche Chininsulfat in ungefähr 780 Teilen kaltem Wasser löslich sei, oder in 30 Teilen kochendem Wasser, oder in 60 Teilen rektifiziertem Alkohol mit einer relativen Dichte von 0,83. Seine Löslichkeit wird durch Natrium- oder Magnesiumsulfat vermindert, aber durch Kaliumnitrat, Ammoniumchlorid und die meisten Säuren erhöht. [20] [21] [22-22] [22-23] [23] Diese schlechte Löslichkeit erklärt, warum im Tonic Water immer auch eine Säure vorhanden ist.

Den Vorteil der Chininanwendung im Vergleich zur Rinde beschreibt 1825 das Asiatic Journal: „Vor dem Ende der Sitzung machte ein Mitglied einige wichtige Bemerkungen über den Einsatz des neuen Medikaments Chinin bei den Fieberkrankheiten des Landes. Die Zubereitung, auf die besonders angespielt wurde, war das Chininsulfat, von dem ein kleiner Vorrat einige Monate zuvor in Kalkutta empfangen worden war. Es wird als ein äußerst starkes Tonikum dargestellt, das in der allgemeinen Bedeutung des Begriffs als Heilmittel für hartnäckige, intermittierende Fieber und sogar remittierende Fieber, die vom Typ des ersteren sind, in unglaublich kurzer Zeit wirkt. Die Dosis ist so gering (drei bis fünf Gran), daß sie in Form einer Pille geschluckt werden kann, und einige wenige davon sind wirksamer als ein paar Unzen Rinde, um das Fieber zu beseitigen und den Patienten danach vor der Gefahr eines Rückfalls zu schützen.[17-76]

The Asiatic Journal and Monthly Register for British India and its Dependencies. Vol. XXX, Juli 1825, Seite 76.
The Asiatic Journal and Monthly Register for British India and its Dependencies. Vol. XXX, Juli 1825, Seite 76. [17-76]

–  „Before the meeting broke up, some important observations were made by a member, regarding the employment of the new medicine, Quinine, in the fevers of the country. The preparation particularly alluded to was the sulphate of Quinine, a small supply of which had been received a few months before in Calcutta. It is represented to be a most powerful tonic, in the common acceptation of the term, as curing obstinate intermittents, and even remittents, partaking of the type of the former, in an incredibly short space of time. The dose is so small (from three to five grains) that it may be swallowed in the form of a pill, and a few such are found more efficient than ounces of bark in removing the fever, and afterwards guarding the patient against the danger of a relapse.“ [17-76]

An dieser Stelle ist es nun leider notwendig, sich dem Gran zuzuwenden, denn wir werden im Folgenden diese Mengenangabe noch häufiger finden. Im Englischen heißt es „grain“, und man kürzt es mit „gr“ ab; darunter darf man nicht „Gramm“ verstehen. Was man nun aber unter einem Gran zu verstehen hat, variiert, denn die Angabe ist abhängig vom verwendeten System. Ein englisches Gran ist eine veraltete Maßeinheit und entspricht im Troy-, Avoirdupois- und Apothekersystem genau 64,79891 Milligramm. Ein Gran im Troy-System entspricht 1/5760 Troy Pound; im Avoirdupois-System 1/7000 Pound; im Apothekersystem 1/5760 Apotheker-Pfund. Das französische Gran hingegen entsprach 1/9216 des alten französischen Pfundes, rund 53,115 mg. In den Nürnberger Apothekergewichten entspricht ein Gran etwa 62 mg. [9] [10] [11]

Bei den hier genannten drei bis fünf Gran wird es sich also vermutlich um eine Menge zwischen ungefähr 194 mg und und 324 mg gehandelt haben.

Eine Malariabehandlung erfolgt heute über eineinhalb bis zwei Wochen über eine orale Gabe von Chininsalzen in Dosierungen, die mindestens 0,8 g bis 1 g freier Chininbase pro Tag entsprechen, beispielsweise in Form von 1,95 g Chininsulfatdihydrit. [16] Das entspräche also 41 bis 51 Teile Chininbase auf 100 Teile Chininsulfatdihydrit.

Friedrich Ludwig Meissner: Encyclopädie der medicinischen Wissenschaften. Dritter Band, 1830, Seite 133.
Friedrich Ludwig Meissner: Encyclopädie der medicinischen Wissenschaften. Dritter Band, 1830, Seite 133. [15-133]

Hat man in der Vergangenheit etwas anderes als Chininsulfatdihydrit verwendet? Es scheint so, denn in der „Encyclopädie der medicinischen Wissenschaften“ gibt man im Jahr 1830 folgende Umrechnungsfaktoren an: „Man wendet jetzt fast allgemein die Chinaalkaloide rein, oder in Salzform an. Die gebräuchlichsten Salze sind: das schwefelsaure Chinin oder Cinchonin; man zieht am gewöhnlichsten das neutrale und eftlorescirte schwefelsaure Chinin vor, weil seine Zusammensetzung unveränderlich ist und jederzeit 86 Base auf 100 Theile darbietet; während jenes, welches nicht eftlorescirt ist, je nachdem es an einem mehr oder weniger feuchten Orte sich befindet, 76 bis 86 Theile Chinin enthalten kann. Das schwefelsaure Cinchonin wird unter den nämlichen Umständen, wie das schwefelsaure Chinin, angewendet, obschon es weniger wirksam ist. Das essigsaure Chinin wird nicht gebraucht, weil es, vorzüglich in der Kälte, fast unlöslich ist.[15-133]

In Deutschland sind maximal 85 mg/kg Chinin(base) in alkoholfreien Getränken erlaubt, und 300 mg/kg in Spirituosen. [2-92] [12] [16] Das bedeutet, daß man rund 10 Liter Tonic Water trinken müßte, um die für eine Malariabehandlung nötige Menge an Chinin zu sich zu nehmen. Camper English schreibt sogar, man müsse über 20 Liter Tonic Water trinken, da er die tägliche Dosis an Chinin höher ansetzt; in den USA sind vergleichbar mit Deutschland in Getränken maximal 83 mg Chinin pro Liter erlaubt. [1-72]

Chinin muß vorsichtig dosiert werden. Eine Überdosierung führt zu Schwindelgefühl, Kopfschmerz, Tinnitus, Taubheit, vorübergehende Erblindung oder sogar zur Herz- und Atemlähmung. Die tödliche Dosis liegt für einen erwachsenen Menschen bei etwa fünf bis zehn Gramm Chinin. [16]

Nach dieser allgemeinen Beschreibung des Chinarindenbaumes und des Chinins wenden wir uns im nächsten Teil dieser Serie dem medizinischen Nutzen des Chinins zu. Wir berichten dort über Malaria, Fieber und Wechselfieber und dessen Behandlung mit Chininwein.

Quellen
  1. Camper English: Tonic Water AKA G&T WTF. Second Printing, Rutte Distillery Edition, 2016
  2. Kim Walker & Mark Nesbitt: Just the Tonic. A natural history of Tonic Water. ISBN 978 1 84246 689 6. Kew 2019.
  3. https://de.wikipedia.org/wiki/Chinarindenb%C3%A4ume Chinarindenbäume.
  4. https://archive.org/details/BIUSante_pharma_011803x03/page/n571/mode/2up/search/cinchona Carl von Linné: Genera plantarum eorumque characteres naturales secundum numerum, figuram, situm, & proportionem omnium fructificationis partium. Editio secunda aucta & emendata. 1742.
  5. https://de.wikipedia.org/wiki/Luis_Jer%C3%B3nimo_de_Cabrera Luis Jerónimo de Cabrera.
  6. https://en.wikipedia.org/wiki/Luis_Jer%C3%B3nimo_de_Cabrera,_4th_Count_of_Chinch%C3%B3n Luis Jerónimo de Cabrera, 4th Count of Chinchón.
  7. https://de.wikipedia.org/wiki/Balsamb%C3%A4ume Balsambäume.
  8. https://www.chemie.de/lexikon/Chinin.html Chinin.
  9. https://en.wikipedia.org/wiki/Grain_(unit) Grain (unit).
  10. https://de.wikipedia.org/wiki/Avoirdupois Avoirdupois.
  11. https://de.wikipedia.org/wiki/Gran_(Einheit) Gran (Einheit).
  12. https://web.archive.org/web/20210310224005/https://www.gesetze-im-internet.de/aromv/BJNR016770981.html Aromenverordnung.
  13. https://de.wikipedia.org/wiki/Malaria Malaria.
  14. Michel de Montaigne: Essais. Erste moderne Gesamtübersetzung von Hans Stilett. Die Andere Bibliothek. ISBN 3-8218-4472-8. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main, 1998. – Zweites Buch. Über die Ähnlichkeit der Kinder mit ihren Vätern.
  15. https://archive.org/details/bub_gb_LwQHAAAAcAAJ/page/n139/mode/2up/search/chininwein?q=chininwein Friedrich Ludwig Meissner: Encyclopädie der medicinischen Wissenschaften nach dem Dictionnaire de Médecine frei bearbeitet und mit nöthigen Zusätzen versehen. Dritter Band. Leipzig, 1830.
  16. https://de.wikipedia.org/wiki/Chinin Chinin.
  17. https://archive.org/details/in.ernet.dli.2015.32573/page/n81/mode/2up/search/quinine?q=quinine The Asiatic Journal and Monthly Register for British India and its Dependencies. Vol. XXX, Juli 1825.
  18. http://www.deutschestextarchiv.de/book/view/humboldt_chinawaelder_1807?p=1 Alexander von Humboldt: Über die Chinawälder in Südamerika. In: Der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin Magazin für die neuesten Entdeckungen in der gesammten Naturkunde. Erster Jahrgang, Berlin, 1807.
  19. https://archive.org/details/b29291550/page/n7/mode/2up Sigmund Graf: Die Fieberrinden in botanischer, chemischer und pharmaceutischer Beziehung. Wien, J. G. Heubner, 1824.
  20. https://de.wikipedia.org/wiki/Relative_Dichte Relative Dichte.
  21. https://en.wikipedia.org/wiki/Relative_density Relative density.
  22. https://books.google.de/books?id=KZAeAAAAYAAJ&pg=PA617&lpg=PA617&dq=spirit+sp.+gr.&source=bl&ots=1kckrzCApv&sig=ACfU3U0BIzBwC0r8J2JMa2hYKuVflKJpxg&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwiv4fOdgtnnAhXMyqQKHZzFDYoQ6AEwBXoECAgQAQ#v=onepage&q=%22sp.%20gr.%22&f=false J. Forbes Royle: Materia medica and therapeutics; including the preparations of the pharmacopœias of London, Edinburgh, Dublin, and [of the United States.] with many new medicines. Philadelphia, 1847.
  23. https://en.wikisource.org/wiki/1911_Encyclop%C3%A6dia_Britannica/Quinine 1911 Encyclopædia Britannica/Quinine.
  24. https://slate.com/technology/2013/08/gin-and-tonic-kept-the-british-empire-healthy-the-drinks-quinine-powder-was-vital-for-stopping-the-spread-of-malaria.html Kal Raustiala, 28. August 1013: The Imperial Cocktail. How the gin and tonic became the British Empire’s secret weapon.
  25. https://de.wikipedia.org/wiki/Skrupel_(Ma%C3%9Feinheit) Skrupel (Maßeinheit).
  26. https://archive.org/details/b28038514/page/n31/mode/2up Anonymus: A description of the genus Cinchona, comprehending the various species of vegetables from which the Peruvian and other barks of a similar quality are taken. Illustrated by figures of all the species hitherto discovered. To which is prefixed Professor Vahl’s dissertation on this genus, read before the Society of natural history at Copenhagen. Also a description, accompanied by figures, of a new genus named Hyænanche: or hyæna poison. London, 1797.

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Hallo, ich bin Armin, und in meiner Freizeit als Blogger, freier Journalist und Bildungstrinker möchte ich die Barkultur fördern. Mein Schwerpunkt liegt auf der Recherche zur Geschichte der Mischgetränke. Falls ich einmal eine Dir bekannte Quelle nicht berücksichtigt habe, und Du der Meinung bist, diese müsse berücksichtigt werden, freue ich mich schon darauf, diese von Dir zu erfahren, um etwas Neues zu lernen.

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